# taz.de -- Corona legt Berlin still: Jetzt hört man die Tauben gurren | |
> Berlin in Slow Motion: Den wenigen Touristen gefällt die Ruhe, denen, die | |
> von ihnen leben, aber nicht so gut. | |
Bild: Wenig los ist auf Berlins Straßen und Plätzen, hier der Gendarmenmarkt | |
BERLIN taz | „Do you want to take a tour? Maybe?“, fragt die | |
Ticketverkäuferin für die Sightseeing-Touren am Checkpoint Charlie ohne | |
große Hoffnung das amerikanische Pärchen, dass da am Montagmittag etwas | |
unschlüssig am Rande der für Checkpoint-Verhältnisse beinahe menschenleeren | |
Kreuzung steht. „You can have a whole bus for yourself!“ Doch die beiden | |
mögen nicht einsteigen, laufen zu Fuß weiter in Richtung des geschlossenen | |
Mauermuseums. | |
Bianca Shamrahl, die Tickets für die Unternehmen Top Tour und City | |
Sightseeing verkauft, seufzt: „Das Virus ist eine Katastrophe für uns.“ | |
Normalerweise würde jetzt die Saison langsam losgehen, sagt sie an diesem | |
ersten warmen Vorfrühlingstag. Stattdessen steuerten die Fahrer die | |
Doppeldeckerbusse jetzt leer durch die Stadt. Sie als Verkäuferin bekomme | |
den Mindestlohn, plus Provision für verkaufte Tickets. „Das sind rund 600 | |
Euro, die ich weniger haben werde im Monat“, schätzt Shamrahl. Das | |
Konkurrenzunternehmen habe bereits „drei, vier Leute auf die Straße | |
gesetzt“, will sie gehört haben. | |
„Eigentlich fahren wir alle acht Minuten. Jetzt alle halbe Stunde“, sagt | |
ein Fahrer, der seinen Bus neben Shamrahl an den Bordsteinrand manövriert | |
hat und sich jetzt aus der Fahrerkabine lehnt. Um seinen Arbeitsplatz | |
fürchte er noch nicht, die Saison sei lang, „aber Kurzarbeit, wenn das | |
kommt, ist natürlich auch ein finanzieller Einschnitt.“ Seinen Namen will | |
er lieber nicht in der Zeitung lesen, dafür lupft er kurz die weiße Maske, | |
die er vor Mund und Nase trägt: „Ein Gag für die Touristen, ich weiß ja, | |
dass die nicht wirklich hilft!“ | |
In einem Straßencafé ein paar Meter weiter die Friedrichstraße entlang | |
schätzt der Inhaber, dass ihn die Einschränkungen wegen des Coronavirus | |
„mindestens 70 Prozent“ der Einnahmen kosteten. „Die Stammkunden kommen | |
nicht mehr, weil sie wahrscheinlich zu Hause im Home Office sitzen. Und die | |
Touristen sind auch nicht mehr da.“ Der [1][Senat hatte am Freitagabend | |
verfügt, dass alle Clubs, Kneipen und Bars Samstag um Mitternacht schließen | |
müssen]. Restaurants und Cafés dürfen offen bleiben bis 18 Uhr, so sie denn | |
ihre Tische mindestens 1,5 Meter auseinander rücken. | |
In dem Straßencafé stehen die Tische eindeutig noch zu dicht vor der | |
Ladenfensterscheibe auf dem Gehweg – „aber gucken Sie, ist ja ohnehin | |
niemand da.“ Das stimmt, nur eine Frau löffelt einsam eine orangefarbene | |
Suppe aus einem Weckglas. | |
Der 100-Millionen-Euro-Liquiditätsfonds, den das Land unter anderem auch | |
für die Gastronomie aufgelegt habe, sei zwar gut, sagt der Café-Betreiber, | |
der ebenfalls anonym bleiben will. Aber für kleine Unternehmer sei es | |
trotzdem eine Herausforderung: „Große Unternehmen wie Starbucks, die setzen | |
da jetzt ihre Rechtsabteilungen dran. So etwas habe ich nicht.“ Lange werde | |
er seine drei MitarbeiterInnen nicht mehr weiter beschäftigen können. | |
Weiter in Richtung Gendarmenmarkt sind die Straßencafés zumindest an den | |
Außentischen teilweise noch recht gut besetzt. Die Leute blinzeln in die | |
Sonne, die Mantelkragen aufgeknöpft, die Schals gelockert. Vor den größeren | |
Restaurants wie Lutter & Wegner und dem Augustiner sind jedoch auch zur | |
besten Lunch-Time draußen die meisten Tische frei, die Stoffservietten | |
stehen unbenutzt. „Alle Gerichte auch zum Mitnehmen!“, hat eine Pizzeria in | |
der Charlottenstraße hinter jede Fensterscheibe geklebt. Die | |
Gesprächsfetzen, die man aufschnappt im Vorübergehen, haben nur ein | |
Gesprächsthema: „Corona...Home Office...crazy!“ | |
Auf dem Platz hinter dem Konzerthaus sitzt ein englisches Touristenpärchen | |
an den – hier tatsächlich weiter als sonst auseinander stehenden Tischen – | |
und nippt am Bier. Sie seien eigentlich bei der Familie in Polen gewesen, | |
sagt Brendan Glynane. Doch dann sei der Direktflug gestrichen worden, per | |
Zug hätten sie sich aufgemacht nach Berlin, zum Glück sei [2][die Grenze ja | |
gestern noch offen gewesen]. Jetzt wollen sie heute Abend einen Flug von | |
Schönefeld nach London nehmen. „Really exciting“, findet er den | |
unfreiwilligen Umweg über Berlin. „So freundlich und ruhig hier!“ | |
So kann man es auch sehen, zumindest, wenn man nur auf der Durchreise ist | |
und nicht im Ausnahmezustand festhängt. Auf dem Gendarmenmarkt gurren die | |
Tauben. Jetzt kann man sie hören. | |
16 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Shutdown-in-Berlin/!5671724&s=corona+bars+berlin/ | |
[2] /Grenzschliessung-wegen-Coronavirus/!5668563&s=grenze+corona/ | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Tourismus | |
Tauben | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Zwangsräumung | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Checkpoint Charlie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlin schließt Geschäfte: Aus mit Verkauf | |
Der Senat verschärft erneut seine Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus: | |
Ein Großteil der Geschäfte wird geschlossen. Spielplätze bleiben offen. | |
Mietinitiativen fordern Moratorium: Hilft Corona gegen Zwangsräumungen? | |
Initiativen verlangen die Aussetzung von Zwangsräumungen. „Wir arbeiten | |
daran“, heißt es aus der Verwaltung des Berliner Justizsenators. | |
Umgang mit Coronavirus in Berlin: Es geht weiterhin auch um Nuancen | |
Die Politik reagiere zu langsam in der Coronakrise, kritisieren viele | |
pauschal. Sie verkennen dabei, dass manchmal Details einen Unterschied | |
machen. | |
Corona-Shutdown: Linke Lichtblicke | |
Linke Projekte suchen angesichts der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des | |
Coronavirus nach neuen Protest- und Solidaritätsstrukturen. | |
Berliner Baupolitik: Der Wind hat sich gedreht | |
Der Bebauungsplan für den Checkpoint Charlie zeigt: Politik muss nicht vor | |
jedem Investor einknicken. |