# taz.de -- Bedrohtes Kultur-Areal in Köln: Hoffen auf die Stadt | |
> Zwei Künstler kämpfen im Otto-Langen-Quartier darum, einen Raum für | |
> Kultur zu erhalten. Die Stadt soll ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen. | |
Bild: Anja Kolacek und Marc Leßle sind das Künstlerkollektiv raum13 | |
BERLIN taz | Moos sprießt im meterhohen blumengeschmückten Foyer, | |
zerlöcherte Arbeiterschuhe stehen daneben. Maschinengeschriebene Briefe aus | |
den 1950er Jahren hängen an der Wand: „Wenn Ihr Sohn nicht bald bessere | |
Zeugnisse schreibt, müssen wir ihm den Ausbildungsvertrag kündigen.“ „Es | |
wird bescheinigt, dass Otto Brunner kein Mitglied der NSDAP war.“ | |
Dann führen [1][Anja Kolacek und Marc Leßle] auf den verwunschenen | |
Innenhof, wilder Flieder bricht aus dem Beton, vorbei am Schriftzug „Die | |
Kunst der Revolution“, in eine dunkle, rund 300 Meter lange und 13 Meter | |
hohe Halle, die früher eine Fabrikstraße war. 9.000 Mitarbeiter haben einst | |
an diesem Standort der [2][Klöckner-Humboldt-Deutz AG] (KHD) gearbeitet, um | |
Gasmotoren herzustellen – von Traktoren bis Panzern. | |
Es war tatsächlich genau hier, an einer Durchfahrtsstraße auf dem rechten | |
Rheinufer in Köln-Mülheim, wo 1869 die Geschichte der Weltmotorisierung | |
begann und der Viertaktmotor erfunden wurde – die KHD wurde zum | |
Weltimperium. Seit 1993 wurden die Werkshallen, auch Otto-Langen-Quartier | |
genannt, nach und nach aufgegeben. Nun gibt eine Landschaft aus vermoosten | |
Paletten an glitzernden Wasserflächen aus der Ferne ein surreales Bild, | |
vorne hat das Künstlerkollektiv Anja Kolacek und Marc Leßle alias raum13 | |
ein Klavier, Cafétische und Soundequipment hineingebaut. | |
Hier hat schon der Musiker FM Einheit auf alten Maschinen Konzerte gegeben, | |
finden Theaterperformances statt, Führungen, aber auch legendäre Partys. | |
„Diese Halle liebe ich am meisten“, erklärt Anja Kolacek, ehemalige | |
Tänzerin und Choreografin; hier haben sie die Sammlerstücke fürs Foyer | |
gefunden, hier kann man am Weitesten blicken, wirkt das Areal wie ein | |
dreidimensionales Bühnenbild. | |
## Zentralwerk der Schönen Künste | |
Aber die Fabriklandschaft geht noch mehrere Stockwerke hoch, über der Halle | |
liegen weitläufige, holzvertäfelte Vorstandsetagen, die aussehen wie | |
Bühnenbilder zu Marthaler-Inszenierungen. Durch eine Schiebetür in der | |
Halle, mit Vorhängeschlössern gesichert, könnte man noch weitergehen, in | |
die Bereiche, die Anja Kolacek und Marc Leßle nicht für Publikum geöffnet | |
haben, weil tiefe Löcher ragen, Schrott und Grün sich Land nehmen – und die | |
trotzdem heimlich belebt sind. | |
Sprayer treffen sich da, Lost-Places-Fetischisten, ganz hinten wohnen seit | |
Neuestem ein paar Leute mit Hund, ab und zu tönt ein Bellen herüber. Ganz | |
abzuriegeln ist das sechs Hektar große Areal nicht, das zum Teil dem Land | |
NRW, zum Teil einem Kölner Privatinvestor gehört. | |
Vor fast zehn Jahren hat er ihnen den vorderen Teil für eine kleine Miete | |
überlassen, um es zu beleben und nicht dem Vandalismus zu überlassen – auch | |
heute wird noch regelmäßig hier eingebrochen. Raum13 machten aus dem | |
Otto-Langen-Quartier einen verwunschenen Kulturort, den sie ein wenig | |
ausladend „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ nannten. | |
Sie bauten mehrere Bühnen hinein, investierten all ihre Zeit und Geld, | |
sammelten Fördergelder und einen großen Kreis von Liebhabern. In Köln, | |
einer der engsten Großstädte Deutschlands, ist das Areal seitdem zum | |
größten, aber auch zu einem der letzten urbanen Freiräume für Kunst | |
geworden. | |
Zugleich, und das ist den beiden am wichtigsten, sehen sie es als eine Art | |
Museum der Moderne und Matrix für die Zukunft zugleich: „Wir haben im | |
letzten Jahrzehnt den Geist des Ortes erkundet, als industriellen | |
Zeitzeugen, der wie kaum ein anderer etwas von Mobilität, Klima, dem Wandel | |
von Arbeit und Technik erzählt, wir sehen das als Reibungsort für die | |
Zukunft“, sagt Anja Kolacek. Und sie sehen es als einen idealen Ort, um ein | |
„Reallabor“ zu entwickeln, um mit alternativen Wohn- und Arbeitsmodellen zu | |
experimentieren. | |
## Labor und Start-up | |
Seit zwei Jahren halten die beiden auf dem Areal daher auch | |
„Zukunftswerkstätten“ ab, mit Architekten, Denkmalpflegern, Soziologen und | |
Künstlern, um hier ein Modellquartier für die Zukunft der Gesellschaft zu | |
entwickeln. | |
Mithilfe von Architekten haben sie errechnet, wie unter Wahrung der | |
historischen Schichten 430 Wohnungen in den Komplex gebaut werden könnten, | |
mit Ateliers, kreativen Start-ups, urbanen Gärten, Forschungslaboren für | |
Klima, Mobilität und Kunst: „Es geht darum, hier real zu erforschen, wie | |
wir als Gesellschaft in Zukunft leben wollen“, sagt Marc Leßle. Und | |
letztlich geht es auch darum, einen der virulentesten | |
Gesellschaftskonflikte der Zeit auszutragen: Gemeinwohl versus | |
Investorenlogik. | |
Denn weil auch in Köln Mieten und Bodenpreise explodiert sind, ist das | |
Otto-Langen-Quartier auch eins der letzten, von Großinvestoren | |
begehrten Filetstücke des derzeit größten Kölner Stadtentwicklungsprojekts, | |
dessen Zukunft noch unverplant ist. Rundherum haben bereits die Gerch- und | |
die CG-Group zugegriffen: Hektarweise wurden die rostbraunen | |
Backsteinfassaden in den letzten Monaten dem Erdboden gleichgemacht, um | |
hochpreisige Wohn- und Bürokomplexe zu bauen, nur wenige denkmalgeschützte | |
Gebäude blieben stehen. | |
„Ein katastrophaler Fehler der Stadt, dass sie beim Kauf nicht mehr | |
reglementiert hat“, sagt etwa der Denkmalpfleger Walter Buschmann vom | |
Verein Rheinische Industriekultur, der im Gelände Potenzial für einen | |
Eintrag als Weltkulturerbe sieht – er hat 1986 auch die Essener Zeche | |
Zollverein vor dem Abriss bewahrt. | |
## Vom Investor gekündigt | |
Auch raum13 wurde vom Investor zum 30. April dieses Jahres gekündigt und es | |
wurden schon viele Makler durch das Gebäude geführt. Dem | |
Otto-Langen-Quartier droht nun ein ähnliches Schicksal wie den umliegenden | |
Industriebauten: der Abriss und gesichtsloser Neubau. | |
Vieles ist da schon verloren gegangen. Seit über zwei Jahren arbeiten | |
Kolacek und Leßle daran, die Stadt Köln dazu zu bringen, das Gelände zu | |
kaufen – auch wenn der Investor bisher noch 22 Millionen Euro dafür fordert | |
und mittlerweile auf kein Gesprächsangebot mehr reagiert. | |
Hunderte von Unterstützern haben sie mittlerweile gewonnen, darunter die | |
IHK Köln, renommierte Architekten, gemeinwohlorientierte Stiftungen wie | |
etwa die Trias-Stiftung, den Pfarrer Hans Mörtter, der hier eine reale | |
Utopie verwirklichen will, den stellvertretenden Geschäftsführer der IHK | |
Ulrich Soénius. | |
Vor einigen Wochen ist ihnen nach monatelangen Überredungs- und | |
Charmeoffensiven mit allen Parteien ein spektakulärer Erfolg gelungen: In | |
einer erstaunlichen Allianz haben sich die Fraktionen des Kölner Rats auf | |
eine gemeinsame Absichtserklärung geeinigt, die den „Aufbruch in eine neue | |
Art der Stadtentwicklung“ fordert. | |
## Verwaltungsmühlen | |
Ende März könnte nun also tatsächlich im Kölner Stadtrat beschlossen | |
werden, dass die Stadt ihr Vorkaufsrecht wahrnimmt – und den Ort mit | |
Denkmalschutz-Satzungen und Bebauungsvorschriften belegt, um den | |
geforderten Preis zu begrenzen. Dass die Investorenlogik durchbrochen wird, | |
ist trotz aller positiver Signale auch danach noch lange nicht ausgemacht, | |
die Verwaltungsmühlen von Köln mahlen langsam. Und selbst wenn die Stadt | |
kauft, müssen die Utopien von raum13 ja auch umgesetzt werden. | |
Ähnliche Reallabore, sogenannte Living Labs, in denen Zukunftsfragen in | |
Kleinform erforscht werden, wurden bereits, öffentlich gefördert, in | |
Schweden, Norwegen, Frankreich oder auch Baden-Württemberg gegründet, | |
Vorbilder sind etwa die île de Nantes, eine zur französischen Stadt Nantes | |
gehörene Loire-Insel, das RDM-Gelände im Hafen Rotterdam, das Hüttenwerk | |
Belval-Ouest in Luxemburg. | |
2018 hat der Deutsche Bundestag sogar eine europaweite Studie dazu | |
herausgegeben. Ein Reallabor, bei dem Kunst und Kultur die Entwicklung | |
leiten, wurde bisher allerdings noch nie geplant. | |
Für Mai ist immerhin ein gemeinsames Treffen von Stadtplanern und | |
Oberbürgermeisterin Henriette Reker geplant. Kolacek und Leßle sind | |
zuversichtlich: „Wir haben die Kraft, noch ziemlich lange weiterzugehen.“ | |
25 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.raum13.com/home/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutz_AG | |
## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
## TAGS | |
Gentrifizierung | |
Künstler | |
Köln | |
Köln | |
Theater | |
Vorkaufsrecht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kölns Oberbürgermeisterin Reker: „Ich bin noch nicht fertig“ | |
Die parteilose Henriette Reker regiert seit fünf Jahren in Köln. Bei der | |
kommenden Wahl wird sie von CDU und Grünen unterstützt. Sie hat gute | |
Chancen. | |
Theaterfestival im Netz: Die Stimme zurückerhalten | |
Das Kölner Sommerblut-Festival findet dieses Jahr online statt. Mit | |
berührenden Begegnungen mit Seniorinnen und Recherchen über rechte | |
Netzwerke. | |
Vorkaufsrecht in Neukölln: Für Pears nur saure Birnen | |
Die Ausübung des Vorkaufsrechts gestaltet sich in Corona- Zeiten nochmal | |
schwieriger. Beim Luftbrückenhaus im Schillerkiez klappt es dennoch. |