# taz.de -- Neues Buch von Matthias Wittekindt: Nur irgendeine Art von Wahrheit | |
> Matthias Wittekindts Roman „Die Brüder Fournier“ tarnt sich als Krimi, | |
> ist aber eher ein Gesellschaftsroman. Es geht um ein merkwürdiges | |
> Brüderpaar. | |
Bild: Im Brüsseler Winter spielt „Die Brüder Fornier“. Hier eine Aufnahme… | |
Im Grunde ist es Etikettenschwindel, wenn Matthias Wittekindt seine Bücher | |
als Krimis bezeichnet. Auch sein neues – „Die Brüder Fournier“ – ist e… | |
Gesellschafts- und Entwicklungsroman, der sich in erster Linie für die | |
seelische Dynamik einer Gruppe Jugendlicher interessiert – wobei nicht | |
unterlassen wird, die [1][nötigen Krimi-Elemente] zu berücksichtigen. | |
Es gibt Tote, und die Frage, wer dafür verantwortlich ist, trägt bis zum | |
Ende. Dass es einer der Brüder Fournier gewesen sein dürfte, wird von | |
Anfang an angedeutet. | |
Ihrem Lebenslauf folgt Wittekindt von 1966 bis in die unmittelbare | |
Vergangenheit. Die Fournier-Eltern führen in einem Brüsseler Vorort eine | |
erfolgreiche Confiserie, für die Kinder bleibt kaum Zeit. Vincent, der | |
Jüngere, wirkt durchgeistigt, den profanen Anforderungen des Lebens nicht | |
gewachsen, weshalb sein ein Jahr älterer Bruder auf ihn aufpassen soll. | |
Doch Iason ist nicht minder sensibel, zudem mit einer außergewöhnlichen | |
Sinneswahrnehmung ausgestattet. Überfordert ist er, wenn es darum geht, | |
andere Menschen zu verstehen, da wirkt er fast autistisch. Und weil er | |
stark und wild ist und ein ausgeprägtes Sensorium für Gerechtigkeit hat, | |
macht er Fehler. Er zündelt, prügelt sich und gerät ins Visier von | |
Jugendamt, Staatsanwaltschaft und Psychiatrie. | |
Wie gewohnt erzählt Wittekindt dieses Psychodrama in einer vordergründig | |
kühl referierenden, sachlichen Sprache, die suggeriert, die Oberhand über | |
den Stoff zu wahren. Die Kunst besteht darin, diesen Eindruck immer wieder | |
durch verunsichernde Zeichen zu konterkarieren. | |
Am Ende sind wir zwar über alles einigermaßen gut informiert, Bescheid | |
wissen wir aber nicht. Dass man nie mehr als nur „irgendeine Art von | |
Wahrheit“ zu erfahren fähig ist, könnte als Moral dieses magischen Romans | |
durchgehen. | |
13 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Schaefer | |
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