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# taz.de -- Corona-Krisengebiet Südtirol: Die letzten Gäste
> In Südtirol vertreibt das Coronavirus den Tourismus. Eine Woche in in der
> nun abgeschotteten italienischen Provinz.
Bild: Medizinischer Check am Brenner Pass
Drei Dörfer, zwei Kirchen, ein paar verstreut liegende Höfe, rundherum hohe
Berge. An den Hängen klebt eine Handvoll bewirtschafteter Almen. Forstwege
und schmale Pfade finden sich hinauf. Das Gsieser Tal in Südtirol, ein
Seitental des Pustertales, geht noch gerade so als sogenannter
touristischer Geheimtipp durch. Knapp 2.200 Menschen siedeln hier. Sie
leben von der Landwirtschaft und ein bisschen vom Tourismus. Urlauber
kommen vor allem zum Wandern und zum Skilanglauf her. Am Ende des Tals, auf
1.500 Metern Höhe, liegt das Hotel Magdalenahof.
Dienstag, 3. März.
Der Eurocity 89 der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) verbindet im
Zweistundentakt München und Bologna. Ab Innsbruck ist der Nachmittagszug so
gut wie leer. Der Grenzbahnhof Brenner, wo er planmäßig eine viertel Stunde
Aufenthalt hat, wirkt verwaist. Kein Mensch ist auf den Bahnsteigen zu
sehen. Zwei Männer mit Atemschutzmasken und Sprühflaschen marschieren durch
die Waggons und bespritzen die Sitze mit einem Desinfektionsmittel.*
Mittwoch, 4. März.
Hotelchef Josef Burger, selbst begeisterter Wanderer, führt neun Gäste auf
einer Schneeschuhtour in das nahe Pragsertal. Durch Tiefschnee geht es
hinauf zum 2.300 Meter hohen Strudelkopf, vom Gipfel bietet sich ein
fantastischer Blick auf die sonnenbeschienenen Drei Zinnen, einen der
markantesten Gebirgsstöcke in den Dolomiten. Wir sind die einzige Gruppe am
Gipfelkreuz. „Es ist wegen des Virus“, sagt Burger. „Sonst sind bei solch…
Wetter hier oben Hunderte zum Schauen.“ Abends gehen an der Hotelrezeption
telefonische Stornierungen ein. Mehrere deutsche Gäste werden vorzeitig,
schon morgen, abreisen.
Donnerstag, 5. März.
Die Süddeutsche Zeitung, die an den Vortagen im Hotel auslag, wird nicht
mehr geliefert. Aktuelle Lektüre bieten nur noch Lokalblätter und, na klar,
die Gazetta dello Sport. Das Blättchen Dolomiten listet die Maßnahmen der
Südtiroler Provinzregierung auf, mit denen die Verbreitung des Coronavirus
gebremst werden sollen, unter anderem bleiben Schulen und Unis bis auf
Weiteres geschlossen. Das deutsche Robert-Koch-Institut hat Südtirol zum
Risikogebiet erklärt, die deutsche Bundesregierung warnt vor Reisen
dorthin. Begründet wird das mit der „Anzahl der Infektionen und der Dynamik
der Ausbreitung“ des Virus in der Provinz. Dabei gibt es in der Region
bislang nur vier bestätigte Coronafälle. Die letzten deutschen Gäste im
Hotel packen ihre Koffer und fahren zurück.
Freitag, 6. März.
Die mehr als 40 Kilometer lange Gsieser-Tal-Loipe, eine der beliebtesten
Langlaufstrecken in Südtirol, haben wir fast für uns alleine. Auch im Bus
zurück vom Brückenwirt nach St. Magdalena gibt es keine weiteren Fahrgäste.
In der Dolomiten kritisieren Südtiroler Ärzte die Reisewarnung aus
Deutschland: „In Südtirol gibt es nur eine Handvoll Fälle, in
Nordrhein-Westfalen mehrere Hundert. Eher sollten wir also eine Warnung für
Nordrhein-Westfalen aussprechen.“
Michi Ebner, Chef der Industrie- und Handelskammer Bozen, schimpft: Die
Einstufung Südtirols als Risikogebiet entbehre jeder Grundlage und sei ein
schwerer Schlag für die Wirtschaft. Die meisten Hotels und Gasthöfe im
Gsieser Tal schließen. Auch die Kneipe Talschlusshütte, sonst beliebtester
Treff im Tal von Wanderern und Langläufern, hat zugesperrt. Am Telefon an
der Hotelrezeption verhandelt Chefin Karin Burger mit absagenden Gästen
über die Konditionen der Stornierung. „So eine Stornierungswelle hatten wir
noch nie“, sagt sie.
Sonnabend, 7. März.
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb, die oberste Gesundheitsbehörde der Provinz,
teilt mit: Es gibt fünf weitere positiv getestete Patienten, insgesamt nun
also neun bestätigte Fälle. Zweihundert Südtiroler und Südtirolerinnen
wurden insgesamt getestet. Vor den Krankenhäusern in Bozen und Brixen haben
der Sanitätsbetrieb und das Rote Kreuz sogenannte Pre-Trihage-Zelte zur
Sortierung und Einteilung möglicher Coronapatienten aufgestellt. Die
Kliniken selbst sollen so Corona-frei bleiben.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigt an, dass an der Grenze zu
Italien Gesundheitschecks gemacht werden. Reisende aus Italien würden
stichsprobenartig kontrolliert. Die ÖBB stellen die Nachtverbindungen nach
Oberitalien ein.
Sonntag, 8. März.
Die Skisaison wird wegen des Coronavirus vorzeitig beendet, erklärt der
Hotel- und Gastwirteverband Südtirol. „Unseren Betrieben empfehlen wir,
sich zu bemühen, den Gästen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Ausweichtermine
anzubieten und bei Stornierungen möglichst kulant entgegenzukommen.“ Alle
Skilifte und Seilbahnen werden den Betrieb einstellen.
Normalverweise endet die Wintersaison in den Skigebieten an Ostern. In dem
kleinen Städtchen Welsberg am Eingang des Gsieser Tals haben mehrere
Geschäfte geschlossen. Die Apotheke ist aber noch geöffnet. Schutzmasken
und Desinfiziermittel gebe es nicht, sagt die Apothekerin, sie würden aber
auch kaum nachgefragt.
Montag, 9. März.
Die Stumpfalm liegt auf 2.000 Metern, zwei Stunden dauert der Fußweg vom
Hotel. Der alte Hüttenwirt schreckt hoch, als wir die kleine Stube
betreten, er hat auf einer der Bänke ein Nickerchen gemacht. „Hab nicht
gedacht, dass heute überhaupt wer kommt“, brummt er. Im Herd bollert ein
Holzfeuer, auf den beiden grob zusammengezimmerten Tischen liegen
Plastiktischdecken. „Die andern Tage war auch nix hier oben“, sagt der
Alte. In der Ecke sitzt seine Tochter und faltet Servietten für die Gäste,
die wohl nicht mehr kommen. Am Abend weitet die italienische Regierung das
bisher aus mehreren Nordprovinzen bestehende Sperrgebiet aus, das ganze
Land ist nun Rote Zone, also auch Südtirol. Höchste Zeit, abzuhauen.
Dienstag, 10. März.
Hinter dem Brenner stoppt der Eurocity 88 auf dem Weg nach München. Und
zwar „aufgrund einer behördlichen Anordnung“, wie der Zugchef durchsagt.
„Das wird einige Zeit dauern. Bitte, bleiben Sie auf Ihren Plätzen und
bewahren Sie Ruhe.“ Kanzler Kurz hat am Vorabend erklärt, die Grenzen
Österreichs für Reisende aus Italien zu schließen. Eine Gruppe von
Polizisten streift durch die Waggons, rüttelt auch an verschlossenen
Toilettentüren. Im Gefolge der Beamten laufen zwei Sanitäter mit Masken und
dicken Schutzanzügen. Sie messen mit taschenlampenähnlichen Instrumenten,
die vor die Stirn gehalten werden, bei allen Passagieren Fieber. Offenbar
gibt es keine Auffälligkeiten. Nach einer Stunde kann der Zug weiterfahren.
Bis Innsbruck, dort müssen alle aussteigen.
Mittwoch, 11. März.
Österreich stellt den Personenzugverkehr von und nach Italien ganz ein. Als
vorläufig letzter Zug passiert am Vormittag der Eurocity 88 aus Bologna die
Grenze in Richtung Innsbruck und München.
Donnerstag, 12. März.
Bekannte, die in Südtirol festhängen, berichten am Telefon von 50 Kilometer
langen Lkw-Schlangen am Brenner. Der Verkehr staut sich ab Brixen bis zur
Landesgrenze nach Österreich.
19 Mar 2020
## AUTOREN
Reimar Paul
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