# taz.de -- Journalismus und Corona: Verwaist und prekär fürs System | |
> Leere Newsrooms, eingestellte TV-Produktionen und abgesagte | |
> Pressekonferenzen – die deutschen Medienhäusern sind im Krisenmodus. | |
Bild: Leere Reihen bei einer Pressekonferenz von Julia Klöckner vergangene Woc… | |
Berlin taz | Ein Laptop, eine Maus, eine Tastatur und drei Monitore, dann | |
kann es losgehen: Der Onlineauftritt des Spiegels entsteht dieser Tage auch | |
an einem Esstisch im Norden der Republik – [1][zu Hause, bei einem der | |
sogenannten Chefs vom Dienst]. Der Newsroom an der Hamburger Ericusspitze | |
ist genauso weitgehend verwaist wie das größte journalistische Großraumbüro | |
der Republik – der Newsroom der Deutschen Presseagentur in Berlin. | |
Nachdem ein Mitarbeiter Kontakt zu einem Corona-Verdachtsfall hatte, | |
arbeiten die Redakteur*innen der dpa-Zentrale von draußen. In dem 2.200 | |
Quadratmeter großen Büro hält Chefredakteur Sven Gösmann die Stellung, | |
zusammen mit zwei Assistentinnen, einem Techniker und seinem | |
Nachrichtenchef. Der [2][hat auf Twitter „Die große Leere – der Film“] z… | |
Aufführung gebracht, einen Rundgang durchs redaktionelle Nichts. | |
„Wenn man sich überlegt, dass sonst mindestens 250 Menschen hier arbeiten, | |
ist das ein verdammt stiller Raum“, sagt Gösmann. Konferiert wird nun per | |
Videoschalte oder Chat. Gösmann sagt: Glücklicherweise sei Vernetzung in | |
der 70-jährigen Geschichte bei dpa schon immer ein Thema gewesen. „Wir | |
haben 150 Standorte und unsere Journalist*innen sind es auch gewohnt, aus | |
dem Homeoffice zu arbeiten.“ Im Fall der Fälle ist Dezentralität Gold. Auch | |
die öffentlich-rechtlichen Sender, die ihre Newsrooms für Radio und TV | |
nicht so einfach aufgeben könnten und immer neue, immer größere bauen, | |
haben Pandemiepläne ausgelöst, Mitarbeitende getrennt. | |
Besondere Vorsicht gilt bei der „Tagesschau“. „Sie muss bis zum Schluss | |
durchhalten“, sagte Chefredakteur [3][Marcus Bornheim in einem Interview | |
mit „Zapp“], das nur vor und nicht im Nachrichtenhaus geführt wurde – die | |
„Tagesschau“ hat sich auch intern isoliert. Ein Teil der Redaktion arbeite | |
inzwischen auch an einem anderen Ort. So gebe es für den Fall, dass im | |
Newsroom Corona-Alarm ausgelöst werde, einen „zweiten Sturm“, sagte | |
Bornheim. | |
## Wenn einem die Puste ausgeht | |
„Wir müssen damit rechnen, dass die Krise auch uns zum Teil | |
beeinträchtigt“, mahnte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow auf einer | |
Pressekonferenz. Die Dritten erwägen demnach, im Fall der Fälle ihre | |
Programme zu bündeln – bis auf regionale Informationen. Im Hörfunk seien | |
„Übernahmen von Teilstrecken möglich, wenn einem Inforadio etwas die Puste | |
ausgeht“. Beim BR ist es soweit: Ein Corona-Fall bei der Info-Welle B5 | |
dünnt die Redaktion bedrohlich aus. Ab Montag wird deshalb „bis auf | |
Weiteres überwiegend gemeinsames Programm“ mit Bayern 2 gesendet. | |
Schon heute kürzen oder streichen die Dritten einzelne Sendungen, um | |
Personal für die Aktualität zusammenzuziehen – nicht zuletzt für ein „ARD | |
Extra“, das nun nahezu täglich nach der Tagesschau um 20 Uhr laufen soll. | |
„Hier zeigt sich die Stärke des Föderalismus“, betont ARD-Programmdirektor | |
Volker Herres. Die neun Landesrundfunkanstalten wechselten sich reihum | |
wöchentlich ab. Damit könne jede zwischendurch wieder zu Kräften kommen. | |
Gleichzeitig lassen die Sender weiter auch Stoffe jenseits der Information | |
abdrehen: Serien und Spielfilme, also Nachschub für die Ablenkung von der | |
Krise. | |
Das Problem: An Filmsets wimmelt es nur so vor Schauspieler*innen, | |
Kompars*innen, Kameramenschen und anderen Beteiligten. Corona freut das. | |
„Wir kommen da in eine Situation, die für die fiktionalen Produktionen | |
wirklich heikel ist“, sagt selbst ARD-Programmdirektor Herres. Einige | |
Beteiligte wollten nicht mehr ans Set. „Das ist für die Produzenten | |
natürlich mit erheblichen Risiken verbunden.“ Wenn es zu Verschiebungen | |
kommen sollte, sei die ARD bereit, Mehrkosten von bis zu 50 Prozent des | |
ursprünglichen Auftrags zu übernehmen. | |
Die Sender stoppen die Produktionen als Auftraggeber*innen allerdings | |
nicht, sondern schieben diese Verantwortung den Produzenten zu – trotz | |
mitunter fragwürdigen Bedingungen. Von einem Krimidreh für das ZDF | |
erreichte die taz das Foto einer Flasche mit Desinfektionsmittel. Auf einem | |
aufgeklebten Zettel für die Crew stand: „Bitte seid sparsam. Wir haben nur | |
das und haben keine Möglichkeit, noch welches zu kaufen.“ | |
Das ZDF geht bei einer Anfrage der taz nicht auf diesen Hinweis ein. „Die | |
Gesundheit aller Beteiligten hat für uns höchste Priorität“, heißt es. | |
Mitte der Woche liefen für den Mainzer Sender noch fiktionale Produktionen | |
im Wert von gut 50 Millionen Euro. Sie könnten „im Zweifelsfall geschoben | |
und zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden“. Ein Angebot, das immer | |
mehr Produzenten annehmen: Auch der besagte Krimi-Dreh ist nun gestoppt. | |
## Es sieht mau aus | |
Ein besonders Risiko ist die Lage für freischaffende Künstler*innen, | |
darunter auch Journalist*innen. Öffentlich-rechtliche Sender wollen | |
Ausfallhonorare zahlen und Mitarbeitende anderweitig einsetzen, etwa für | |
die Aufbereitung der Sendungen, die nun speziell für Schüler*innen | |
angeboten würden und ARD und ZDF viel Applaus bringen. | |
Auch wenn teils noch an Details gearbeitet wird: Tarifverträge für | |
regelmäßige freie Mitarbeiter*innen sehen oft Sonderzahlungen vor, | |
Redaktionen weniger bestellen. ARD-Vorsitzender Tom Buhrow versprach, im | |
Zweifel werde man sich „großzügig“ zeigen. | |
Prekärer ist die Lage schlagartig außerhalb der beitragsfinanzierten | |
Medienhäuser, wo es keine Tarifverträge für „arbeitnehmerähnliche Freie“ | |
gibt. Freie Fotograf*innen stehen plötzlich teils ganz ohne Aufträge da. | |
Besonders mau sieht es bei jenen aus, die sonst über Pressekonferenzen und | |
Veranstaltungen berichten. | |
Georg Rudiger berichtet beispielsweise von Freiburg aus über das Musikleben | |
im Südwesten, dem Elsass und der Schweiz – für Zeitungen und Fachmagazine. | |
„Fast alle Themen sind weggebrochen“, sagt er. Immerhin: Statt eines | |
geplanten Vorberichts führt er mit einem Dirigenten nun ein Interview | |
darüber, wie die Corona-Krise auch diese Szene trifft. Das laufe gut. Er | |
schreibt auch noch weiter an Programmheften für Festivals, die „im Sommer | |
hoffentlich stattfinden“. Die nächsten vier Wochen habe er so wohl noch zu | |
tun. Und dann? „Wenn bis zum Sommer keine Konzerte stattfinden, habe ich | |
ein echtes Problem.“ | |
Gleichwohl: Das Bild ist divers. „Einigen fällt komplett alles weg – je | |
nachdem, in welchem Bereich sie arbeiten“, sagt Anna Heidelberg-Stein aus | |
dem Vorstand des Berufsverbands Freischreiber. Dazu gehörten auch viele, | |
die ihr Geld vor allem damit verdienten, Podien oder Kongresse zu | |
moderieren. Veranstalter und Zeitungen zahlten selten Ausfallhonorare. | |
## Anerkennung der Systemrelevanz | |
In ersten Bundesländern sind Nothilfen angelaufen, auch für sogenannte | |
Soloselbstständige. In der kommenden Woche soll zudem der Bundestag ein | |
milliardenschweres Hilfspaket beschließen. Auch Verwertungsgesellschaften | |
wie die VG Wort haben Notfonds. Vor allem die Hilfen der Politik brauche es | |
dringend flächendeckend und ohne große Bürokratie, sagt Heidelberg-Stein. | |
Einige Kolleg*innen, vor allem auf Wissenschaft spezialisierte, könnten | |
sich aber auch „aufgrund ihrer Expertise vor Aufträgen gar nicht retten“. | |
Auch Zeitungen trifft die Entwicklung. Viele Regionaltitel haben ihren | |
Umfang reduziert, da über Corona hinaus im Regionalen fast nichts mehr los | |
ist. Der Verlegerverband BDZV rechnet zudem mit deutlichen | |
Anzeigenrückgängen, etwa weil es vorerst keine Veranstaltungen gebe, die | |
beworben werden könnten. „Sicher bekommt der Lebensmitteleinzelhandel seine | |
Regale derzeit auch ohne Sonderangebote leer verkauft und storniert bereits | |
gebuchte Anzeigen“, sagt eine Sprecherin der Zeitungsbranche. „Gleiches | |
gilt für andere Geschäfte, in denen durch behördliche Anordnungen die | |
Öffnungszeiten reduziert werden oder deren Betrieb untersagt wird.“ | |
Was nun alle beschäftigt, ist die Frage, wie Journalismus bei einer | |
Ausgangssperre funktioniert. Frank Überall, Vorsitzende der | |
Journalist*innen-Gewerkschaft DJV, freut sich, dass immer mehr Bundesländer | |
Journalist*innen als „systemrelevante Berufsgruppe“ einstufen. „Dass man | |
sich zur Berichterstattung noch vor Ort ein Bild machen kann, sind gute | |
Ansätze“, sagt er. Außerdem helfe die Einstufung denjenigen, die noch in | |
Funkhäuser müssten und Kinder hätten: Sie können Notbetreuung beantragen. | |
[4][Sven Gösmann, Chefredakteur der dpa], denkt unterdessen darüber nach, | |
ob der Themenmix sich nicht langsam ein wenig verschieben sollte. „Immer | |
noch sterben in Idlib Menschen. Immer noch sitzen in Lesbos Menschen unter | |
menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern. Immer noch gibt es andere Themen. | |
Und immer noch gibt es natürlich auch das eine oder andere Schöne“, sagt | |
Gösmann. „Aber Corona überlagert alles.“ | |
20 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/JankoTietz/status/1238819209183887361 | |
[2] https://twitter.com/fhomburger/status/1240387396866396165 | |
[3] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Mit-Corona-schlaegt-die-Stunde-… | |
[4] https://daniel-bouhs.de/2020/03/19/dpa-chefredakteur-zu-coronaein-grosser-s… | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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