# taz.de -- Reform Schwangerschaftsabbrüche: Vom Kopf auf die Füße | |
> Neuseeland reformiert seine Abtreibungsgesetze. Künftig werden dort | |
> Schwangerschaftsabbrüche bis zur 20. Woche legal sein. Und Deutschland? | |
Bild: Demonstrantin beim Frauentag 2019 in Berlin | |
In Neuseeland werden Schwangerschaftsabbrüche bis zur 20. Woche künftig | |
nicht mehr verboten sein. [1][Das hat das Parlament am Mittwoch | |
entschieden] und damit den ungewollt schwangeren Neuseeländer*innen | |
die Entscheidungsberechtigung übertragen. | |
Eine Abtreibung nach der 20. Woche wiederum wird möglich sein, sofern ein*e | |
Ärzt*in den Abbruch für die „gesundheitlich angemessene Entscheidung“ | |
hält. Bisher waren Abtreibungen in Neuseeland nur aufgrund von Gefährdungen | |
für die psychische und körperliche Gesundheit der Schwangeren legal, dafür | |
musste die Schwangere zwei Ärzt*innen finden, die ihr dies bestätigten. | |
Das bisherige Gesetz von 1977 sah Strafen von bis zu 14 Jahren Gefängnis | |
für Ärzt*innen vor. Gesundheitsminister Andrew Little betonte nach der | |
Abstimmung, endlich könnten Schwangerschaftsabbrüche wie Gesundheitsfragen | |
und eben nicht mehr wie Straftaten behandelt werden. | |
Verschiedene Zeitungen kommentierten, dass jetzt endlich auch Neuseeland, | |
wie die meisten reichen Nationen, keine Beschränkungen mehr in dieser | |
frühen Schwangerschaftsphase habe. | |
## Rüge für Deutschland | |
Deutschland, eine der reichsten Nationen der Welt, verbleibt hingegen in | |
diesem kleiner werdenden Grüppchen: [2][Der Paragraph 218] steht im | |
Strafgesetzbuch im Abschnitt Straftaten gegen das Leben. Ein Verstoß kann | |
mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden. | |
Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche gelten hier seit 1995 zwar | |
als „rechtswidrig, aber straffrei“, aber da ist eben etwas anderes als | |
legal. Die Bedingungen der Straffreiheit – eine verpflichtende Beratung und | |
eine Bedenkzeit von drei Tagen – sind im internationalen Vergleich eher | |
ungewöhnlich. | |
Diese Regelungen und die Verankerung der Abtreibungsgesetze im | |
Strafgesetzbuch widersprechen den Menschenrechten und der | |
UN-Frauenrechtskonvention. Der [3][Ausschuss zur Umsetzung der | |
UN-Frauenrechtskonvention] hat die deutsche Regierung erst Anfang März | |
für ihre fehlende Kooperation zur Beseitigung dieser Missstände explizit | |
gerügt. | |
Das Recht auf den eigenen Körper und die Streichung der Paragrafen 218 ff. | |
aus dem Strafgesetzbuch war in Westdeutschland seit Ende der 1960er Jahre | |
eine der Hauptforderungen der feministischen Bewegung. In der DDR galten | |
Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche seit 1972 als Recht der | |
ungewollt Schwangeren. | |
## Weg mit dem Paragrafen 218! | |
In West- und im wiedervereinigten Deutschland verhinderten die CDU/CSU und | |
das von ihnen angerufene Bundesverfassungsgericht zweimal im Namen des | |
„ungeborenen Lebens“ eine weitgehende Liberalisierung. | |
Ob Schwangerschaftsabbrüche als Straftat oder als medizinische Leistung | |
gelten, ist kein banaler Unterschied, sondern hat konkrete Auswirkungen auf | |
den Zugang zu Abbrüchen, auf die Finanzierung und auf das Wohlbefinden der | |
ungewollt Schwangeren. | |
Zurzeit verschlechtert sich die Situation für ungewollt Schwangere, vor | |
allem durch einen Mangel an Ärzt*innen, die bereit sind, Abbrüche | |
durchzuführen. Diese Bereitschaft liegt auch an der juristischen und | |
gesellschaftlichen Bewertung von Abtreibungen. Ist es ein medizinisches | |
Verfahren, das der Gesundheit der Patient*in dient oder ist es eine | |
Straftat gegen das Leben, die nur unter bestimmten Bedingungen nicht | |
verfolgt wird? | |
Die meisten Ärzt*innen haben ihren Beruf gewählt, um Menschen gesund zu | |
erhalten und Leben zu retten. Die Definition durch das Strafgesetz | |
behauptet aber, dass sie mit einem Schwangerschaftsabbruch genau das | |
Gegenteil tun würden. | |
Diesen Zustand stellt eine Gesetzesreform wie jene in Neuseeland vom Kopf | |
auf die Füße – und rückt die ungewollt Schwangere und ihre Bedürfnisse in | |
den Fokus der empathischen ärztlichen Aufmerksamkeit. Und so gilt heute wie | |
vor 50 Jahren: Weg mit dem Paragrafen 218! | |
19 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Neuseeland-legalisiert-Abtreibungen/!5672462 | |
[2] /Schwerpunkt-Paragraf-219a/!t5480560/ | |
[3] /Blauer-Brief-von-den-Vereinten-Nationen/!5667748 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Achtelik | |
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