# taz.de -- Schnaken-Plage im Nordwesten: Chemie-Keule oder nicht? | |
> Niedersachsens Landesregierung denkt darüber nach, Wiesenschnacken mit | |
> einem Insektizid zu bekämpfen. Die Grünen sind entsetzt. | |
Bild: Vom Gift „Steward“ bedroht: Wiesenvögel wie der Kiebitz | |
Göttingen taz | Niedersachsens Landesregierung erwägt, einer | |
Wiesenschnaken-Plage im Nordwesten des Bundeslandes durch den Einsatz | |
eines Insektengiftes beizukommen. Das sorgt für Unruhe. Das Gift mit der | |
Produktbezeichnung „Steward“ hätte fatale Auswirkungen auf die ohnehin | |
bedrohten Wiesenvögel, sagen die Grünen im Landtag. Auch widerspreche eine | |
solche Maßnahme dem angekündigten Artenschutzprogramm der Landesregierung. | |
Schließlich riskiere Niedersachsen damit ein weiteres | |
Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Union. | |
Unstrittig ist, dass die Grünland-Standorte im nordwestlichen | |
Niedersachsen wohl auch infolge der Klimakrise nicht nur ein Mäuseproblem | |
haben, sondern auch massiven Befall mit Wiesenschnaken. Bei diesen | |
Insekten mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Tipula paludosa handelt es | |
sich um eine große Mückenart – die Männchen werden bis zu zweieinhalb | |
Zentimeter lang. Die Larven der Wiesenschnaken ernähren sich von den | |
Wurzeln der Gräser und verursachen so ein Absterben der Pflanzen. | |
Wie das Landwirtschaftsministerium in Niedersachsen bei einer Anhörung im | |
Februar mitteilte, wird zurzeit der stärkste Befall durch Wiesenschnaken | |
seit Beginn der Messungen im Jahr 1995 registriert. Betroffen sind demnach | |
insgesamt rund 35.000 Hektar, teilweise handelt es sich dabei um Flächen in | |
Schutzgebieten. | |
„Dramatisch dabei ist, dass die Flächen, die von Mäusen befallen sind, auch | |
durch Tipula mitbefallen sind“, sagte Ministerialrat Volker Garbe bei dem | |
Hearing. „Die Mäuse haben nicht nur das Grüne, sondern teilweise auch die | |
Wurzeln weggefressen, so dass kaum etwas nachwächst. Wenn aber noch | |
Wurzeln da sind, geben die Wiesenschnakenlarven den verbliebenen Pflanzen | |
den Rest, so dass dann auf den betroffenen Flächen überhaupt nichts mehr | |
wächst.“ | |
Garbe zufolge sind bei der Bekämpfung der Schnakenplage zwei Varianten | |
denkbar: Mechanisch mit sogenannten Sternwalzen – das sind Ackerwalzen mit | |
stachelförmigen Gliedern, die mit den Larven auch den Boden zerkleinern. | |
Und die Gelege von am Boden brütenden Vögeln zerstören könnten. | |
Oder chemisch. Weil solche Substanzen zurzeit aber nicht zugelassen seien, | |
müsse mit einer Notfallzulassung gearbeitet werden, so das | |
Agrarministerium. Diese sei für das Insektizid „Steward“ auch schon beim | |
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit beantragt | |
worden. Noch gebe es keine Rückmeldung, „wir rechnen aber eher mit einem | |
positiven als mit einem ablehnenden Bescheid“, sagte Garbe. | |
Bei „Steward“ handelt es sich um ein Insektizid aus dem Obstbau, das nicht | |
für die Anwendung im Haus- und Kleingartenbereich zugelassen ist und nur | |
mit Sachkundenachweis verwendet werden darf. Der darin enthaltene Stoff | |
Indoxacarb wirkt vor allem gegen Raupen von Schmetterlingen, Libellen oder | |
Käfern. Die allgemeine Zulassung für das Mittel des Herstellers DuPont de | |
Nemours läuft am 31. Oktober 2020 aus. | |
Die Landesregierung in Hannover − konkret: das CDU-geführte Agrar- und das | |
SPD-geführte Umweltministerium − ist sich über die Folgen eines | |
„Steward“-Einsatzes offenbar nicht einig. „Der Einsatz eines nicht selekt… | |
wirkenden Boden-Insektizids gegen Tipula-Larven in | |
Wiesenvogelschutzgebieten wird zum Teil kritisch gesehen“, heißt es in der | |
Antwort der Ministerien auf eine Anfrage der Grünen. Es sei damit zu | |
rechnen, „dass negative Auswirkungen auf die Nahrungsbasis von | |
Wiesenvogelarten bestehen“. | |
Den Vögeln und ihrer Brut dienen die Schnakenlarven nämlich als Nahrung. | |
Bei der Bekämpfung der Insekten gehe es laut Landesregierung denn auch | |
nicht um eine Totalausrottung. Sondern darum, den Befall unter eine | |
bestimmte Schwelle zu drücken: Es würden also auch nach der Bekämpfung | |
Schnakenlarven als Nahrungsquelle für Wiesenvögel zur Verfügung stehen. | |
Aus Sicht der Grünen ist die Antwort der Ministerien ein „Armutszeugnis“. | |
Es belege vor allem, dass es beim Einsatz von Giften auf Grünland keine | |
gemeinsame Linie gebe. „Die Idee, nur Grünland in Vogelschutzgebieten von | |
Insektiziden freizuhalten, greift viel zu kurz“, bemängeln die Abgeordneten | |
Miriam Staudte und Christian Meyer: „Vögel kennen die Grenzen der | |
Schutzgebiete nicht.“ | |
Die Grünen-Politiker verweisen darauf, dass es schon jetzt dramatische | |
Rückgänge bei den Populationen von Wiesenvögeln gibt. So sei der | |
niedersächsische Bestand der Uferschnepfe in den vergangenen 15 Jahren um | |
fast 70 Prozent gesunken. Ähnlich stark bedroht ist auch die durch ihren | |
langen Schnabel auffällige Bekassine. Auch die Bestände von Kiebitz und | |
Großem Brachvogel sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. | |
18 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
## TAGS | |
Insektizide | |
Insekten | |
Plage | |
Schwerpunkt Artenschutz | |
Niedersachsen | |
Landwirtschaft | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Pestizide | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Artenschutz in Niedersachsen: Natur-Volksbegehren verschoben | |
Die Initiatoren des Volksbegehrens zur Artenvielfalt im wichtigen Agrarland | |
Niedersachsen wollen später Unterschriften sammeln. Wegen Corona. | |
Kontrolle von Pestiziden in Gefahr: Artensterben? Ist doch egal! | |
Das Umweltbundesamt warnt vor den Folgen zweier Gerichtsurteile. Diese | |
würden die Überprüfung von Risiken durch Ackergifte erschweren. | |
Insektengift Chlorpyrifos: Kritik an gefährlichem Pestizid | |
Verbraucherschützer und der SPD-Politiker Karl Lauterbach verlangen, den | |
Insektenkiller Chlorpyrifos zu verbieten. Der Einsatz sei nicht vertretbar. |