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# taz.de -- Kino-Film „Die perfekte Kandidatin“: Mit Nikab in die Politik
> Die saudische Regisseurin Al Mansour erzählt in „Die perfekte Kandidatin“
> den Weg einer Ärztin zur Lokalpolitikerin, mit reichlich Charme.
Bild: Maryam (Mila Al Zahrani) ist Ärztin und eine Filmheldin mit Botschaft
Geradezu genussvoll wird in diesem Film das Auto der Hauptfigur in Szene
gesetzt. Die junge Ärztin Maryam (Mila Alzahrani) pflegt nämlich mit dem
Wagen zur Arbeit zu fahren. Mit seiner leuchtend blauen Lackierung fällt
ihr Auto, wie man in einer späteren Einstellung sehen wird, sehr auf im
farblosen saudischen Straßenbild, das von weißlackierten Fahrzeugen
dominiert wird, gesprenkelt von wenigen silbergrauen oder schwarzen
Limousinen.
Haifaa Al Mansour, die in Saudi-Arabien geboren und aufgewachsen ist, in
Ägypten und Australien studiert hat und heute in Kalifornien lebt, ist 2012
erstmals international als Regisseurin in Erscheinung getreten. Sie machte
Furore mit ihrem Kinoerstling [1][„Das Mädchen Wadjda“], der von einem
jungen Mädchen handelte, das Fahrrad fahren will – gegen alle Widerstände
und Verbote. Inzwischen hat sich in Saudi-Arabien das gesellschaftliche Rad
ein gutes Stück weitergedreht. Seit 2018 dürfen Frauen sogar Auto fahren;
und in Al Mansours neuem Film ist Maryams schnittiger blauer Wagen so oft
im Bild, dass er damit unmissverständlich zum Symbol weiblicher
Selbstbehauptung schlechthin wird.
Da Maryam allerdings, wie wir aus einem Dialog mit ihrer Schwester Selma
(Dae Al Hilali) erfahren, all ihr Erspartes in dieses Wunderding gesteckt
hat, muss sie sich nun Geld leihen, um zu einem Kongress nach Riad fliegen
zu können. Sie erhofft sich berufliche Aufstiegschancen, will raus aus der
Provinzklinik, wo sie arbeitet und permanent mit Widerständen zu kämpfen
hat.
Immer wieder kommt es vor, dass Männer sich nicht von einer Frau behandeln
lassen wollen. Außerdem führt zum Krankenhaus nicht einmal eine richtige
Straße. Oft können PatientInnen die Klinik kaum erreichen und müssen von
Angehörigen durch Schlammpfützen getragen werden.
## Nächste Klippe: Reisefreiheit
Nach Darlegung dieser Grundsituation macht der Film eine kleine Volte, um
zu seinem eigentlichen Thema zu gelangen und nebenbei ein weiteres Unrecht
zu zeigen: Bei der Flughafenkontrolle stellt sich heraus, dass Maryam nicht
fliegen darf, da sie die Erlaubnis ihres gesetzlichen Vormunds nicht
digital vorlegen kann. (Diese Episode ist glücklicherweise inzwischen von
der Realität überholt worden. 2019 wurde den saudischen Frauen
Reisefreiheit gewährt.) Dieser Vormund, ihr Vater, ist gerade auf
Konzerttournee und nicht erreichbar.
Hilfesuchend fährt Maryam zu einem politisch einflussreichen Verwandten,
der just an diesem Tag nur Kandidaten für die nächste Gemeinderatswahl
empfängt. Es bleibt der jungen Frau nichts anderes übrig, als das
KandidatInnen-Anmeldeformular auszufüllen (das passive Wahlrecht bei
Kommunalwahlen haben Frauen in Saudi-Arabien seit 2015). Dann beschließt
sie, aus der Not eine Tugend zu machen und wirklich zu kandidieren.
Vielleicht kann sie ja als Gemeinderätin erreichen, dass vor dem
Krankenhaus eine Straße gebaut wird.
„Die perfekte Kandidatin“ ist ein Film mit einer Botschaft, die fast
gänzlich unverschleiert daherkommt – abgesehen davon, dass Haifaa Al
Mansour es offenbar für nötig hält, Maryams Kandidatur als Ergebnis jener
zufälligen Verkettung von Umständen darzustellen. Eine junge Frau, die nur
dem eigenen Trieb gehorchend in die Politik will – das glaubwürdig
darzustellen, scheint der Regisseurin/ Drehbuchautorin doch zu schwierig
oder heikel gewesen zu sein.
## Älterer macht sie lächerlich
Wie sehr trotz gewisser Verbesserungen in manchen Menschenrechtsdingen die
alten Normen in den Köpfen präsent sind, zeigt der Film in vielen Szenen.
„Ich würde Sie auf jeden Fall wählen, wenn ich wählen ginge!“, sagt eine
Frau nach einer Wahlkampfveranstaltung für Frauen zu Maryam. Aber sie wähle
eben leider nicht.
Eine andere erklärt, sie halte sich aus der Politik heraus, verspricht aber
immerhin, mit ihrem Mann zu reden. Auf einer anderen Veranstaltung, diesmal
für Männer, darf die Jungpolitikerin nicht persönlich vor ihrem Publikum
auftreten, sondern muss über einen Monitor sprechen. Ein älterer Mann macht
sie mit Zwischenrufen als Angehörige einer Musikerfamilie und Tochter einer
Sängerin lächerlich.
Musik ist ein wichtiger Topos im Film, gilt sie doch religiösen Eiferern
als haram und wird regelmäßig zum öffentlichen Streitobjekt. So ist zu
sehen, dass die Konzerte von Maryams Vater – gespielt von dem in
Saudi-Arabien bekannten Musiker Khalid Abdulrahim – mancherorts unter
Polizeischutz stattfinden müssen.
Wenn Maryam am Ende in der Halböffentlichkeit einer Hochzeitsfeier auf der
Bühne steht und ein Lied singt, das ihre verstorbene Mutter besonders
liebte, so ist auch das ein Aufbegehren gegen die überholten Normen einer
archaischen Gesellschaft alter Männer. Junge Männer dagegen stehen der
Heldin in diesem Film hilfreich zur Seite.
In dem Bild, das „Die perfekte Kandidatin“ von der saudischen Gesellschaft
zeichnet, ist sicherlich manches vereinfacht, anderes überdeutlich
vorgeführt. Ein gewisses offensives Zeigenwollen bleibt nicht aus, wenn man
eine Botschaft zu übermitteln hat. Wenn diese (gerechte) Botschaft so
charmant daherkommt wie in diesem Film, stört das aber rein gar nicht.
12 Mar 2020
## LINKS
[1] /Saudische-Filmemacherin-ueber-Wadjda/!5059901
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Film
Saudi-Arabien
Emanzipation
Frauen
Politik
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