# taz.de -- Saudische Filmemacherin über „Wadjda“: „Mein Fenster zur Wel… | |
> Haifaa Al-Mansour hat mit „Das Mädchen Wadjda“ als erste Regisseurin | |
> einen saudischen Spielfilm gedreht. Sie arbeitete unter erschwerten | |
> Bedingungen. | |
Bild: Filmheldin Wadjda und ihr Sehnsuchtsobjekt Fahrrad. | |
taz: Frau al-Mansour, Sie sind die erste Frau Ihres Landes, die bei einem | |
Spielfilm Regie führte. Warum muss das extra betont werden? | |
Haifaa al-Mansour: Es ist tatsächlich so. Außerdem ist es der erste | |
Spielfilm, der komplett in Saudi-Arabien gedreht wurde. Ich ahnte, dass | |
mein Film daher viel Aufmerksamkeit bekommen würde, auch weil wir ja keine | |
Kinos haben. Aber ich wollte einfach eine bewegende Geschichte erzählen, | |
die den Zuschauern unser Land näherbringt. | |
Ihr Film handelt von der zehnjährigen Wadjda, die sich in den Kopf setzt, | |
ein Fahrrad zu kaufen, und ihrer Mutter, die ihr erklärt, dass Frauen nicht | |
Fahrrad fahren dürfen. | |
Auch wenn „Das Mädchen Wadjda“ nicht autobiografisch ist, wollte ich eine | |
Geschichte aus meiner Perspektive erzählen. Deshalb geht es um Frauen. In | |
Saudi-Arabien herrscht Geschlechtertrennung. Als Kind ging ich auf | |
Mädchenschulen. Mein Zugang zur männlichen Welt war sehr begrenzt. | |
Geht es um unterdrückte Frauen? | |
Da bin ich mir nicht sicher. Es geht hier nicht um Opfer, sondern um | |
Frauen, die versuchen, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Wadjda und ihre | |
Mutter manövrieren ständig und nutzen das System, um glücklich zu werden. | |
Dabei geraten sie in Konflikt mit ihrer Umgebung. Natürlich hat man in | |
einer solchen Situation Mitgefühl. Aber die Charaktere sind keine | |
traurigen, passiven Figuren. Sie bestimmen ihr Schicksal selbst. | |
Wichtige Rollen spielen auch der ausländische Fahrer der Mutter und Wadjdas | |
streng konservative Lehrerin. | |
Zwischen Frauen und ihren Fahrern geht es in saudischen Haushalten zu wie | |
bei „Tom und Jerry“: ein ewiger Machtkampf. Die Frau fühlt sich als | |
Arbeitgeberin, aber der Fahrer weiß, dass sie ohne ihn nichts machen kann. | |
Die Lehrerin ist ein Beispiel dafür, wie Frauen das System reproduzieren. | |
Ich habe absichtlich keine Gesellschaft dargestellt, in der Männer die | |
Unterdrücker und Frauen die Guten sind. Alle Figuren sind in einer | |
komplexen Situation gefangen. | |
Hatten Sie überhaupt eine Drehgenehmigung? Kinos wurden in den siebziger | |
Jahren geschlossen. | |
Ja, wir hatten eine, denn es gibt bei uns Fernsehen. Als Frau durfte ich | |
bei den Dreharbeiten allerdings nicht mit den Männern zusammenarbeiten. | |
Deshalb musste ich mein Filmteam in einem Lieferwagen mit Funkgerät und | |
Monitor anweisen, was es zu tun hat. Das hat alles kompliziert gemacht. | |
Aber ich respektiere die Kultur und arbeite nicht dagegen an. | |
Drehten die Schauspielerinnen draußen? | |
Da hat uns die Handlung geholfen. Als Kind genießt meine Protagonistin mehr | |
Freiheiten. Ihre Mutter bleibt dagegen zu Hause. | |
Reem Abdullah, die die Mutter spielt, ist berühmt. Was für Karrieren sind | |
für saudische Schauspielerinnen möglich? | |
Bekannt wurde sie durchs Fernsehen. Für Wadjdas Rolle haben wir eine | |
Laiendarstellerin gesucht. Zum Casting kam Waad Mohammed mit zerzausten | |
Haaren und Turnschuhen mit lila Schnürsenkeln und hörte Justin Bieber. Sie | |
ist ein normales saudisches Kind. Im Ausland war sie zum ersten Mal, als | |
wir für die Premiere nach Venedig geflogen sind. Ich wollte ein saudisches | |
Mädchen, das trotzdem Teil einer globalen Jugendkultur ist. | |
Warum sind Sie Filmemacherin geworden, obwohl Ihnen so viele Steine in den | |
Weg gelegt wurden? | |
Ich bin in der Kleinstadt Zulfi aufgewachsen, als Nummer acht von zwölf | |
Kindern in einem konservativen Elternhaus. Trotzdem brachte mein Vater | |
viele Filme mit nach Hause. Bruce Lee und Jackie Chan waren die Helden | |
meiner Jugend. Ansonsten war der Alltag in Zulfi ziemlich eintönig. | |
Spielfilme waren mein Fenster zur Welt. Schon als kleines Mädchen verliebte | |
ich mich in das Medium Film. Später habe ich in Ägypten Literatur studiert. | |
Wieder zu Hause fing ich zunächst in einem normalen Job an. Als junge Frau | |
fühlte ich mich im Arbeitsleben unsichtbar. Meine Filmleidenschaft wirkte | |
wie eine Therapie. So fing ich dann an, Filme zu machen. | |
Wie haben Sie Ihren Debütfilm „Das Mädchen Wadjda“ überhaupt finanziert? | |
Es ist eine deutsch-saudische Koproduktion. Razor-Film aus Berlin hat viel | |
Geld eingebracht und Rotana aus Saudi-Arabien … | |
… das Medienunternehmen von al-Waleed bin Talal. Warum unterstützte ein | |
Prinz Ihren Film? | |
Er drängt auf progressive Ideen und will Frauen in der Kunst fördern. Die | |
Finanzierung war schwierig, denn „Wadjda“ ist ein unkonventioneller Film. | |
In der arabischen Welt sind eher die großen Dramen tonangebend. Deshalb | |
wurde mein Drehbuch auch häufig abgelehnt. | |
Sind Sie auf den großen Erfolg von „Das Mädchen Wadjda“ stolz? | |
Den ersten Spielfilm (komplett, d.Red) in Saudi-Arabien gedreht zu haben, | |
ist eine ziemliche Leistung. Es zeigt doch, es gibt bei uns Raum für Kunst, | |
Raum für die Frauen. Für mich ist es aufregend, ein Teil davon zu sein. | |
Damit trage ich dazu bei, die Saudis toleranter und entspannter zu machen. | |
Lange Zeit war Saudi-Arabien sehr konservativ und verschlossen. Langsam | |
öffnet sich nun das Land. | |
Lange waren ägyptische Filme prägend für das arabische Kino. Kommt das | |
Arthousekino der Zukunft aus dem Golf? | |
Ägypten hat eine alte, bisher sehr kommerzielle Filmtradition. Doch was nun | |
in Ägypten passiert, macht das Land zu einem interessanten Ort, um | |
Geschichten zu erzählen. Ich bin sicher, dass viele gute, unabhängige Filme | |
aus Ägypten kommen werden. Aus den Golfstaaten kommen auch wichtige | |
Impulse. Die Menschen sind dort vielen Dingen ausgesetzt, die das Leben | |
interessant machen. Besonders wir Saudis werden aufregende und kraftvolle | |
Geschichten zu erzählen haben. | |
3 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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