# taz.de -- Pressefreiheit in Spanien: 600 Euro und Kamera weg | |
> In Spanien müssen JournalistInnen Geldstrafen fürchten, wenn sie von | |
> Demos berichten. Ändert sich das unter der Linksregierung? | |
Bild: Riskantes Berichtsgebiet: Proteste in Barcelona im Januar | |
MADRID taz | Die Erwartungen an [1][Spaniens neue Linksregierung] sind | |
groß. Von allen Seiten kommen Forderungen an die Koalition aus | |
sozialistischer PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez und | |
linksalternativer Unidas Podemos von Pablo Iglesias, Maßnahmen der | |
konservativen Vorgänger zurückzunehmen. Auch die NGO Reporter ohne Grenzen | |
hat sich zu Wort gemeldet. | |
Mit einem Kommuniqué unterstützte die Organisation vergangene Woche | |
Berufsverbände und Journalistengewerkschaften, die mehr Meinungs- und | |
Pressefreiheit sowie eine Reform des staatlichen Radios und Fernsehens | |
verlangen. Auch unter Sánchez, der 2018 ins Amt kam, liefen ihre | |
Forderungen bislang ins Leere. | |
Ganz oben auf der Liste der Reformwünsche steht die sofortige Abschaffung | |
des „Gesetzes zur Bürgersicherheit“, das die damalige absolute Mehrheit | |
unter dem konservativen Premier Mariano Rajoy vor fünf Jahren im Zuge der | |
Proteste gegen die Eurokrise verabschiedete. [2][KritikerInnen nennen es | |
„Knebelgesetz“], denn es schränkt die Demonstrations- und Meinungsfreiheit | |
erheblich ein. Auf Werbung für spontane Proteste im Internet, die Teilnahme | |
sowie die Verbreitung von Fotos und Videos von Polizeieinsätzen sieht es | |
Bußgelder von bis zu 30.000 Euro vor. | |
Die Polizei kann diese Bußgelder ohne richterliches Urteil verhängen, was | |
sie in den letzten fünf Jahren regelmäßig getan hat – laut Innenministerium | |
bisher in einem Umfang von knapp vier Millionen Euro. „Gegen zahlreiche | |
Beschäftigte der Medien wurden Bußgelder verhängt“, schreibt Reporter ohne | |
Grenzen. Meist sind es Strafen von 600 Euro, darüber hinaus wird die Film- | |
und Fotoausrüstung beschlagnahmt. Das Gesetz habe „eine Willkür geschaffen, | |
die so in der Europäischen Union ungewohnt ist“, schreibt die Organisation. | |
## Kritik an Verschleppung | |
No Somos Delito („Wir sind kein Verbrechen) heißt eine spanische | |
Organisation, die sich um die Abschaffung dieses Gesetzes bemüht. „Die | |
beiden Regierungsparteien haben bisher eine völlig ambivalente Haltung an | |
den Tag gelegt“, beschwert sich ihr Vertreter Daniel Fernández. Beide | |
hätten gegenüber der Öffentlichkeit im Wahlkampf versprochen, das Gesetz | |
ersatzlos zu streichen. Jetzt nähmen sie das Vorhaben nicht in Angriff. | |
„Meine größte Sorge ist, dass sie das Gesetz nur leicht beschönigen“, so | |
Fernández. „Aus reiner Müdigkeit redet kaum noch wer über das Gesetz, aber | |
es wird nach wie vor angewandt“, sagt Alfonso Armada, Sprecher der | |
spanischen Sektion von Reporter ohne Grenzen. | |
Auch bei der Reform des staatlichen Rundfunks RTVE lassen entscheidende | |
Schritte auf sich warten. Zwar hat das Parlament 2017 noch unter Rajoy und | |
unter Enthaltung der Konservativen beschlossen, die Führungsebene von RTVE | |
künftig mittels öffentlicher Ausschreibung zu besetzen statt mit einfacher | |
Parlamentsmehrheit. Nach dieser neuen Bestimmung müssen sich Bewerber für | |
leitende Posten einem Expertenkomitee vorstellen, bevor die beiden | |
Parlamentskammern das letzte Wort haben. Zwar wurde das Komitee gebildet, | |
95 Bewerbungen wurden gesichtet und 20 zugelassen. Ausgeschiedene Bewerber | |
legten aber Beschwerde ein. Seither lässt das Parlament die Sache | |
schleifen. | |
Roberto Mendes ist einer der 20 Personen, die die Vorauswahl überstanden | |
haben. Von der Regierung verlangt der Musikredakteur: „Sie muss sich | |
raushalten und die Souveränität des Parlaments und die Unabhängigkeit der | |
Sendeanstalt respektieren.“ Vor knapp zwei Jahren hat Sánchez mit Rosa | |
María Mateo per Dekret „eine vorübergehende“, weitgehend parteiloyale | |
Verwaltungsrätin für die öffentlich-rechtliche Rundfunkgesellschaft RTVE | |
eingesetzt. Mendes wirft den Volksvertretern der beiden aktuellen | |
Regierungsparteien vor, sich damals darauf beschränkt zu haben, | |
„abzusegnen, was die Regierung vorlegte“. Und seither hat Sánchez keine | |
Eile, etwas am Status quo zu ändern. | |
Ohnehin macht der aktuelle Ministerpräsident wenig Hoffnung darauf, dass | |
die neue Linksregierung die Pressefreiheit stärken könnte: Immer wieder | |
lässt Sánchez keine Fragen von JournalistInnen zu, oder es werden nur | |
FotografInnen zu Presseerklärungen zugelassen, etwa zur Unterzeichnung des | |
Koalitionsvertrags. | |
8 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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