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# taz.de -- Abschiebungshaft in Niedersachsen: Im Zweifel gegen den Jugendlichen
> In Niedersachsen sitzt ein Geflüchteter seit 14 Tagen in Haft sitzt. Der
> Flüchtlingsrat hält ihn für minderjährig, die Behörden für erwachsen.
Bild: Jugendliche dürfen nur in Ausnahmefällen in Abschiebungshaft genommen w…
Hannover taz | Seit zwei Wochen sitzt in Hannover-Langenhagen ein junger
Mann in Abschiebungshaft. Die Bundespolizei hatte ihn aufgegriffen, als er
am 19. Februar versuchte, aus den Niederlanden nach Deutschland
einzureisen. Ein Amtsrichter hat dann seine sofortige Unterbringung in
Abschiebungshaft angeordnet, obwohl der Jugendliche sagte, er sei erst 16
Jahre alt und dies in den Gerichtsunterlagen auch so vermerkt ist.
Schon an dieser Stelle hätte die Polizei sofort das Jugendamt hinzuziehen
und einen Vormund bestimmen müssen, kritisiert Johanna Lal vom
Flüchtlingsrat Niedersachsen – vor allem hätte man den Jungen gar nicht
erst in Abschiebungshaft nehmen dürfen, denn das sei bei Minderjährigen nur
in Ausnahmefällen erlaubt.
Das sieht das Justizministerium anders: Der Gefangene habe bei früheren
Gelegenheiten in anderen Ländern andere Geburtsdaten und andere Identitäten
genannt – und denen zufolge sei er schon volljährig, sagt
Ministeriumssprecher Christian Lauenstein. Auch der Bundespolizei gegenüber
habe er als Geburtsjahr 2001 angegeben.
Lal berichtet hingegen, dass sich der junge Mann nach eigener Aussage nur
einmal älter gemacht habe, als er sei: Bei der Registrierung in Kroatien,
weil er Angst gehabt habe, dass man ihn sonst nicht weiterreisen ließe.
Später, sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland, habe er immer 2003
als Geburtsjahr angegeben.
## Ganz sicher sind sich die Behörden nicht
So ganz sicher, welches Alter nun stimmt, sind sich Amtsgericht und
Behörden aber nicht: Untergebracht wurde der junge Mann „vorsorglich“, wie
Lauenstein sagt, in einem gesonderten Trakt, getrennt von den erwachsenen
Gefangenen. Außerdem wurde eine Inaugenscheinnahme durch das Jugendamt
Langenhagen veranlasst – ohne Ergebnis. „Es ist nicht geklärt, ob der junge
Mann minderjährig ist“, heißt es von der Pressestelle des Jugendamtes.
Die Isolation von den restlichen Gefangenen sei für den psychisch
angeschlagenen Jugendlichen fatal, kritisiert Lal, die ihn zweimal
getroffen hat. Und weil sich sein Zustand verschlechterte und die
herbeigerufene Psychologin eine Gefahr der Selbstverletzung
diagnostizierte, habe man ihn dann auch noch in die Hauptanstalt verlegt –
also in Strafhaft. Es ist jedoch verboten, Abschiebungsgefangene und
Straftäter gemeinsam unterzubringen.
Laut dem Justizministerium wurde der junge Mann zunächst in einen
kameraüberwachten Haftraum, den er demolierte, dann in einen besonders
gesicherten Haftraum ohne Möbel, an denen man sich verletzen kann,
gebracht. Nach einer Nacht und einer erneuten Untersuchung wurde er zurück
nach Langenhagen gebracht.
Am Dienstag dieser Woche brachte man ihn dann zur Feststellung des Alters
an das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums
Hamburg-Eppendorf (UKE). Ergebnis: Der Gefangene sei mit „sehr großer
Wahrscheinlichkeit über 18 Jahre alt“, sagt Lauenstein.
## Kritik am Amtsgericht
An dieser Einstufung und dem ganzen Verfahren übt der Flüchtlingsrat
dennoch weiterhin scharfe Kritik und versucht, mit seinem Anwalt juristisch
dagegen vorzugehen. Die medizinische Alterseinstufung ist umstritten, weil
sie immer nur Näherungswerte liefert: Es lässt sich nicht mit letzter
Gewissheit bestimmen, ob jemand 17 oder 19 Jahre alt ist – für die
Betroffenen hängt davon aber viel ab. Nur wenige Kliniken beteiligen sich
an dieser Art von Verfahren.
Auch an den Beschlüssen der Amtsgerichte zur Abschiebungshaft hat der
Flüchtlingsrat oft etwas auszusetzen: „Viele halten einer Überprüfung nicht
stand“, sagt Lal. Die Gerichte seien überfordert und prüften ungenau.
Dagegen vorzugehen kostet allerdings viel Zeit, manchmal dauert es Wochen,
bevor die Anwälte überhaupt Akteneinsicht bekommen. Dann geht die
Beschwerde zunächst ans Amtsgericht selbst, wird von dort ans Landgericht
gereicht. Bis zur Entscheidung gehen oft weitere Wochen oder Monate ins
Land.
Deshalb hatte sich der Flüchtlingsrat in diesem Fall zunächst ans
Familiengericht und das Ministerium und danach an die Öffentlichkeit
gewandt. „Im Zweifelsfall muss der Minderjährigenschutz vorgehen“, sagt
Lal.
6 Mar 2020
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Minderjährige Geflüchtete
Altersfeststellung
Abschiebung
Niedersachsen
Flüchtlingsrat
Minderjährige Geflüchtete
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Minderjährige Geflüchtete
Schwerpunkt Flucht
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