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# taz.de -- Umstrittene Altersdiagnostik: Unsicheres Ergebnis
> Um herauszufinden, wie alt ein Mensch ist, gibt es verschiedene Methoden.
> Als Ergebnis kommt jedoch nur eine Zeitspanne heraus.
Bild: Röntgenbild von der linken Hand eines jungen Menschen im Alter von 16 bi…
Wie alt sind Sie? Die Antwort auf diese Frage kann Schicksale besiegeln.
Die von Straftätern, die entweder nach Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht
verurteilt werden. Oder die von Geflüchteten, die, wenn sie alleine und
noch keine 18 Jahre alt sind, in Obhut des Jugendamts kommen, nicht
abgeschoben werden dürfen. Am einfachsten lässt sich das Alter eines
Menschen klären, wenn es ein offizielles Dokument gibt, das bescheinigt: An
diesem Datum bin ich geboren. Doch was, wenn so ein Dokument fehlt, wenn es
auf der Flucht verloren gegangen ist, gefälscht oder vielleicht nie
ausgestellt wurde?
Wenn die Jugendämter Zweifel am angegebenen Alter haben, können sie eine
medizinische Untersuchung verlangen. Die ist nicht verpflichtend, doch wer
ihr nicht zustimmt, wird automatisch als volljährig eingestuft. Nach der
Tötung einer 15-Jährigen in Kandel fordert nun unter anderem der bayerische
Innenminister Joachim Herrmann eine verpflichtende Altersprüfung von
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gleich bei der Einreise. Der
Vater des getöteten Mädchens hatte bezweifelt, dass der tatverdächtige
Afghane tatsächlich minderjährig sei.
Aber wie stellt man das Alter eines jungen Menschen fest? Auf den Tag genau
zu sagen, wann jemand geboren wurde, ist unmöglich. Das Alter lässt sich
nur schätzen. Dazu nutzen Mediziner unterschiedliche Verfahren. „Man darf
dabei nie eine Methode alleine verwenden, sondern muss sie immer
kombinieren“, sagt die Rechtsmedizinerin Kathrin Yen vom
Universitätsklinikum Heidelberg.
Am Anfang der Altersschätzung stehe eine Befragung, erklärt Yen. Mit Hilfe
eines standardisierten Fragebogens versuche man die Lebensumstände der
Menschen zu erfassen. Denn Lebensgewohnheiten, die Ernährung oder auch
bestimmte Krankheiten wie Stoffwechselerkrankungen können sich auf die
Entwicklung des Körpers auswirken. Dann stimmt das körperliche Alter nicht
mit dem chronologischen Alter überein.
Um das Knochenalter zu bestimmen, wird die linke Hand geröntgt. Die
Radiologen schauen sich die Handwurzelknochen an und untersuchen, in
welchem Entwicklungsstadium sie sich befinden. Bei kleinen Kindern sind
diese Knochen nur Kerne, die dann mit der Zeit wachsen und größer werden.
Dabei schließen sich die sogenannten Wachstumsfugen. Bis zum 19. Lebensjahr
sei dieser Prozess in der Regel abgeschlossen, erklärt Yen. „Danach kann
man keine weiteren Aussagen mehr machen.“ Anders bei den Schlüsselbeinen:
Wenn Kinder zu Erwachsenen werden, schließt sich die Wachstumsfuge im
Bereich des Brustbeins – in den meisten Fällen geschieht das spätestens bis
zum 26. Lebensjahr. Für diese Untersuchung wird ein Computertomograf
eingesetzt.
## Besondere Umstände
Auskunft über das Alter bieten auch die Zähne, erklärt Yen. Ein Zahnarzt
oder eine Zahnärztin schauen sich dazu den Status der Zähne an: Gibt es
Abnutzungen, Ablagerungen, Karies, sind die Weisheitszähne schon
durchgebrochen? Dann wird das Gebiss geröntgt: Besonders interessant sind
dabei die Weisheitszähne, denn sie bilden die letzte Entwicklungsstufe des
Gebisses.
Alle diese Daten, erklärt Yen, fließen dann in die Gesamtbeurteilung ein.
„Dabei werden besondere Umstände berücksichtigt, vor allem Krankheiten,
aber auch die ethnische Herkunft und die Unsicherheitsbereiche der
einzelnen Ergebnisse.“ Am Ende gebe man dann stets ein Mindestalter an, das
man annehmen müsse. „Das wahrscheinliche Alter der Person liegt immer höher
als das Mindestalter“, sagt Yen.
Doch das Verfahren, das auf Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für
Forensische Altersdiagnostik (AGFAD) beruht, ist unter Medizinern
umstritten. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer kam 2016 in
einer Stellungnahme zu dem Schluss, dass durch keine der empfohlenen
Untersuchungen ein Alter über oder unter 18 Jahren mit hinreichender
Zuverlässigkeit festgestellt werden könne. Das gleiche gelte bei einem
Alter über oder unter 14 beziehungsweise 16 Jahren.
Zu den schärfsten Kritikern der gängigen Altersdiagnostik gehört der
Kinder- und Jugendarzt Thomas Nowotny aus Stephanskirchen. Er findet, die
Methoden seien zu ungenau, die Datenlage nicht ausreichend, um derzeit zu
sagen, ob jemand volljährig sei oder nicht. Und: Die Strahlenbelastung, die
beim Röntgen und der Computertomografie anfalle, sei medizinisch nicht
gerechtfertigt. Ähnlich argumentiert auch der Präsident der
Bundesärztekammer: „Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff
in die körperliche Unversehrtheit“, sagte Frank Ulrich Montgomery der
Süddeutschen Zeitung und sprach sich damit gegen verpflichtende
Altersuntersuchungen aus.
„Wir dürfen Jugendliche nicht auf ihr Knochenalter reduzieren“, fordert
Nowotny. Stattdessen brauche es eine umfassende psychosoziale
Alterseinschätzung. „Der Vorteil dabei wäre, dass man nicht nur das Alter
schätzt, sondern auch, welche Hilfe benötigt wird.“ Yen sieht das kritisch:
Für eine solche Methode gebe es noch keine wissenschaftliche Grundlage.
Währenddessen wird auch an alternativen Methoden geforscht, wie zum
Beispiel an der Magnetresonanztomografie oder DNA-Untersuchungen.
5 Jan 2018
## AUTOREN
Anna Schughart
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Altersfeststellung
Minderjährige Geflüchtete
Minderjährige Geflüchtete
DNA
Kika
Flüchtlinge
CDU/CSU
Schwerpunkt Flucht
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