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# taz.de -- Parlamentswahl im Iran: Klassenziel erreicht
> In der neuen Volkskammer sitzen vor allem Ultras und Konservative. Die
> Wahlbeteiligung spricht Bände. In Teheran stimmen nur 22 Prozent ab.
Bild: Stimmabgabe am vergangenen Freitag in Teheran
Berlin taz | Die Machtverhältnisse sind klar: Bis auf wenige Gemäßigte
besteht [1][das neu gewählte Parlament der Islamischen Republik Iran] aus
Ultras und Konservativen. Die Monopolisierung des „Hauses des Volkes“, wie
das Parlament in Iran genannt wird, war nicht überraschend. Der von den
Konservativen beherrschte Wächterrat, der bei den Wahlen über die Eignung
der Kandidaten entscheidet, hatte mehrere tausend Reformer und Gemäßigte
als „ungeeignet“ eingestuft – darunter solche, die seit vier Jahren als
Volksvertreter im Parlament saßen.
Es scheint, dass die Hardliner mit Revolutionsführer Ali Chamenei an der
Spitze kein Risiko eingehen wollten. Zwar war ein Sieg der Reformer nicht
zu erwarten. Denn sowohl die als gemäßigt geltende Regierung von Hassan
Rohani als auch das Parlament, in dem die Reformer die Mehrheit hatten,
haben die Bevölkerung zutiefst enttäuscht.
Das Land steckt in einer existenzbedrohenden Wirtschaftskrise. Hinzu kommen
Misswirtschaft und eine weit verbreitete Korruption. Auch der Druck von
außen, allen voran der „maximale Druck“ aus den USA und die wachsende
Unzufriedenheit in der Bevölkerung, die sich immer häufiger bei
landesweiten Demonstrationen manifestiert, ließen den Reformern keine
Hoffnung, im Parlament wieder die Mehrheit erringen zu können.
Dennoch wollten die Ultras auf Nummer sicher gehen. Selbst die harmlosesten
Gemäßigten, die zumindest als republikanisches Feigenblatt hätten dienen
können, wurden nicht zugelassen. Das Parlament sollte eine Einheit bilden,
die wie ein Bollwerk hinter dem Revolutionsführer steht und dessen Willen
und Pläne umsetzt.
## Winzige Minderheit
Die Zusammensetzung des neuen Parlaments zeigt, dass Ultras ihr Ziel
erreicht haben. Sie haben 76,2 Prozent der Stimmen bekommen und damit 221
der 290 Sitze erobert. Die Reformer und Gemäßigten erhielten 5,5 Prozent
der Stimmen und bilden mit 16 Sitzen eine winzige Minderheit.
Der Rest der Sitze fiel an unabhängige Kandidaten, die wegen ihrer lokalen
Popularität gewählt wurden, oder an Vertreter religiöser Minderheiten. Alle
30 Sitze für Teheran gingen an die Ultras. Die meisten Stimmen erhielt der
ehemalige Teheraner Bürgermeister Bagher Ghalibaf, der vermutlich auch der
zukünftige Präsident des Parlaments sein wird.
Spannend war die Wahlbeteiligung, die bei früheren Abstimmungen immer hoch
war, was das Regime als eindeutigen Hinweis auf seine Legitimität
interpretierte. Aber dieses Mal war die Lage anders als sonst. Dabei ging
es nicht nur um die rigorosen Ausgrenzungen der Reformer und Gemäßigten.
Auch hatten die Ereignisse der vergangenen Monate, wie die landesweiten
Proteste im November mit laut der Nachrichtenagentur Reuters mehr als 1.500
Toten, der zunächst verschleierte Abschuss der ukrainischen
Passagiermaschine sowie [2][die sich daran anschließenden Demonstrationen]
viel Unmut in der Bevölkerung hervorgerufen. So gab es vor der Wahl
zahlreiche Boykott-Aufrufe, die in den sozialen Netzwerken verbreitet
wurden. Dagegen waren alle Appelle der Staatsführung wirkungslos.
## Historischer Tiefstand
Nach Angaben des Innenministeriums lag die Wahlbeteiligung bei 42,57
Prozent. Das ist der geringste Wert seit der Gründung der Islamischen
Republik. In der Hauptstadt Teheran nahmen demnach lediglich 22 Prozent an
der Wahl teil. In vielen Großstädten lag die Wahlbeteiligung bei 20 bis 30
Prozent. Selbst in der Pilgerstadt Ghom – Hochburg der Ultras – gingen
lediglich 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger an die Urnen.
Das ist eine herbe Niederlage für das gesamte Regime. Chamenei machte die
„Feinde der Islamischen Republik“ dafür verantwortlich. Sie hätten mit dem
Coronavirus Ängste geschürt und damit versucht, die Menschen davon
abzuhalten, ihre Stimme abzugeben, schrieb er am Sonntag auf seiner
Internetseite.
Auch die feindlichen Medien im Ausland hätten alle Mittel der Propaganda
eingesetzt, um einen Wahlboykott zu erreichen. Dennoch bedankte er sich bei
der Bevölkerung, die trotzdem an der Wahl beteiligt habe. „Es ist der Wille
Gottes, dass dieses Volk siegt“, sagte er vor einer Versammlung von
Geistlichen.
Chamenei musste klar sein, dass die Wahlbeteiligung gering ausfallen würde.
Aber warum sind er und die Ultras dieses Risiko eingegangen? Vielleicht
wollen die Konservativen angesichts der Vielzahl zu lösender Probleme, mit
denen das Land konfrontiert ist, Entscheidungen alleine treffen.
## Monopolisierung der Macht
Auch der Umstand, dass in den kommenden vier Jahren über die Nachfolge des
alternden und kranken Revolutionsführers entschieden werden muss, könnte
ein Grund für die Monopolisierung der Macht gewesen sein.
Wie auch immer: Das Risiko war zu groß, die Spaltung der Gesellschaft hat
sich stark vertieft. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Machtkämpfe
auch im neuen Parlament fortsetzen werden. Die absolute Herrschaft der
Geistlichkeit wird ohne Unterstützung der Massen nicht funktionieren.
24 Feb 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Bahman Nirumand
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Schwerpunkt Iran
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