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# taz.de -- Linken-Politiker über sein neues Buch: Hört mehr Bruce Springstee…
> Die Krise der linken Parteien ist hausgemacht, meint Jan Korte. Denn die
> urbane Linke verstehe nicht mehr, was in Bitterfeld los ist.
Bild: Zwischen Oben und Unten zuspitzen: Bruce Springsteen, der Liebling der Ma…
taz: Ulf Poschardt, Welt-Chefredakteur, wirft der Linken gerne vor, sich in
einem Elfenbeinturm zu bewegen. Sie sehen das auch so?
Jan Korte: Bestimmt nicht so wie Poschardt. Aber es gibt die Neigung in der
deutschen Linken, in der eigenen Blase zu leben. Ist eine linke
Großstadtsicht kompatibel mit Menschen, die in meinem Wahlkreis in
Bitterfeld und Bernburg in Sachsen-Anhalt leben? Das ist eine zentrale
Frage.
Bitterfeld ist eine Hochburg der [1][AfD]. Sollen Linke um AfD-Wähler
werben – oder ist das eine Sackgasse?
Nein, ist es nicht. Das wäre zu bequem. 2009 habe mich in Bitterfeld 33
Prozent gewählt. Da waren welche dabei, die Ressentiments gegen Flüchtlinge
hatten. Sie haben trotzdem Linkspartei gewählt, obwohl wir eine andere
Migrationspolitik vertreten. Bei der Landtagswahl haben uns nur noch halb
so viele gewählt. Wir müssen versuchen alle, außer den Nazis, zurück zu
gewinnen. Viele haben vollständig mit diesem politischen System
abgeschlossen. Die sind in keinem Verein mehr und gehen nicht mehr zur
Wahl. Damit kann man sich als Linker nicht abfinden.
Das heißt konkret?
Wir müssen erstmal begreifen, dass viele von denen fragen: Seht ihr uns
eigentlich noch? Kennt Ihr unsere Sorgen und unseren Alltag? Ihr redet über
uns in einer Weise, die nichts mit uns zu tun hat.
Gilt das auch für die Linkspartei?
Ja, das gilt auch für meine Partei. Die Linkspartei wurde gegründet, um das
Leben von Arbeitern und Arbeitslosen zu verbessern und ihnen eine Stimme zu
geben. De facto wählen die uns kaum mehr. Das heißt: Wir machen was falsch,
nicht die.
Und was?
Wir haben das Gleichgewicht verloren. Wir haben erfolgreiche Kämpfe geführt
bei LGBT und Umweltbewegung. Aber wir haben Leute aus dem Auge verloren,
die kein Geld haben, um in Urlaub zu fahren und in deren Ort das Schwimmbad
dicht gemacht wird. Wir müssen auch unsere Sprache ändern. Leuten, die in
Bitterfeld zwei Deindustrialisierungen erlebt haben, kann man nicht sagen:
Jetzt kümmer dich mal um dein Selfempowerment.
Und eine angemessene Sprache und mehr Empfindsamkeit lösen das Problem?
Das ist eine Voraussetzung. Wir müssen so reden, dass auch die
alleinerziehende Kassiererin nach einem harten Arbeitstag bemerkt: Die
reden von mir. Das sind meine Leute. Im Rust-Belt in den USA sind 2016
Leute, die immer demokratisch gewählt haben, reihenweise zu Trump
übergelaufen.
Wenn die Demokraten mehr Bruce Springsteen gehört und verstanden hätten,
hätten sie die Gefühle dieses Milieus besser begriffen – und Trump wäre uns
erspart geblieben. Wir brauchen einen aufklärerischen, linken Populismus,
der zwischen Oben und Unten zuspitzt. Und die Zerstörung des Sozialstaates
thematisiert.
Letzteres ist doch Konsens in der Linken...
Es gibt linke Debatten, in denen die Wiederherstellung des Sozialstaates
als rückwärtsgewandt gilt. Wer so redet, hat den Bezug nach Draußen
verloren. Meine Mutter war Krankenschwester. Sie sagt: Früher hatten wir
das doppelte Personal für die Hälfte der Patienten. Ich will den
Sozialstaat der alten Bundesrepublik nicht verklären – aber für viele
Millionen waren die Verhältnisse damals besser. Wer das nicht sieht, kann
die Rechtsentwicklung nicht bekämpfen.
Das Klientel der Linkspartei gehört zum Teil selbst zu den Gewinnern der
Globalisierung...
Ja, richtig. Das hat [2][Andreas Reckwitz] brillant analysiert. Es gibt
eine neue Akademikerklasse, die Weltoffenheit und Aufklärung schätzt und
die Stimmung in diesem Land mit prägt. Die Kehrseite ist: Es gibt Milieus,
die abgewertet werden, weil sie weder ökonomisch noch kulturell über
ähnliches Kapital verfügen. Auch Teile der Linken strahlen oft etwas
unbewusst Abwertendes gegenüber diesen Menschen aus. Das ist falsch. Linke
dürfen niemals auf Schwächere herabblicken.
Sondern?
Begreifen, was es bedeutet, wenn Bahnhöfe, Schulen und Kneipen auf dem Land
dicht gemacht werden. Eine funktionierende soziale Infrastruktur hat auch
was mit dem Kampf gegen Rechts zu tun. In den Kneipen wurde auch viel
rechte Scheiße erzählt, keine Frage. Aber da gab es den Wirt, der
irgendwann gesagt hat: So, jetzt reicht es, hör auf mit diesem Schwachsinn.
Orte zu erkämpfen, an denen das gesellschaftliche Leben stattfinden kann,
auch das ist Job der Linken.
23 Feb 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
[2] /Zwei-Buecher-ueber-Liberalismus/!5651646
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Krise der Demokratie
Die Linke
Sozialpolitik
Jan Korte
Cum-Ex-Geschäfte
Hamburgische Bürgerschaft
Identitätspolitik
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