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# taz.de -- Kriminalisierung von Adbusting: Auf die linke Tour
> Mit viel Aufwand verfolgen Behörden Adbusting – und legitimieren die
> Praxis, indem sie einen linksextremistischen Hintergrund konstruieren.
Bild: Adbusting auf Kosten der Polizei am Alexanderplatz, hier eine Aktion von …
Verfassungsschutz, Polizei und Bundesregierung schaffen es seit Jahren
nicht, insbesondere die nichtweiße Bevölkerung vor rechtem Terror und
Alltagsgewalt zu schützen – der [1][rassistische Anschlag in Hanau] hat das
gerade erst wieder gezeigt. Zugleich verfolgen dieselben
Sicherheitsbehörden mit unverhältnismäßig hohem Aufwand gewaltfreie linke
Protestformen. Das ergibt sich aus einer Kleinen parlamentarischen Anfrage
der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke), die der taz vorliegt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Bundeswehrgeheimdienst
MAD beschäftigen sich demnach systematisch mit Fällen von sogenanntem
Adbusting, also dem kapitalismus- oder gesellschaftskritischen Überkleben
von Werbeplakaten.
In der Vergangenheit richteten sich Adbusting-Aktionen vor allem gegen
Sexismus, unverhältnismäßige Polizeigewalt sowie institutionellen Rassismus
in Geheimdiensten und Bundeswehr. Laut Anfrage zählen Sicherheitsbehörden
und Bundesregierung seit 2016 über 20 solcher Aktionen, die sie teilweise
sogar „Tätergruppen“ mit Spaßnamen wie „Billboard Liberation Front Stadt
Rixdorf“ zuordnen. Selbst das länderübergreifende Terrorabwehrzentrum
(GETZ) sei mit 4 Fällen beschäftigt gewesen, in denen Plakate satirisch
überklebt wurden.
Zur Erinnerung: Im Terrorabwehrzentrum stimmen sich Geheimdienste und
Polizei der verschiedenen Bundesländer ab, um Anschläge zu verhindern.
Gegründet wurde es explizit als Abwehrzentrum gegen rechts, nachdem der NSU
aufgeflogen war. Wenig später wurden unter [2][Innenminister Hans-Peter
Friedrich] (CSU) die Kompetenzen in Richtung links ausgeweitet. Und so
beschäftigt man sich dort wohl mittlerweile auch mit übermalten
Werbeplakaten. Die Linke Jelpke kritisiert die Praxis als „lächerlich“ und
überzogen.
In Berlin gab es mehrfach polizei- und geheimdienstkritische
Adbusting-Aktionen, die sich an echte Werbekampagnen anlehnten. So klebten
Aktivist:innen Plakate wie „Da für 5.003 Schlagstockeinsätze und die beste
G20-Party. Da für Gewalt. Polizei Berlin.“, oder: „Rassismus schützen?
Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Unsere Behörde wurde von Alt-Nazis
gegründet.“
Vergangenen Oktober hatte auch ein Gerichtsverfahren in Berlin für Aufsehen
gesorgt. Gleich mehrere Polizeidienststellen hatten umfangreich gegen eine
Person wegen Adbusting und Werbeplakatdiebstahl ermittelt – sogar eine
Hausdurchsuchung hatten Fahnder:innen in dem Fall trotz des mutmaßlich
geringen Sachschadens erwirkt. Das Verfahren wegen fünf in Werbevitrinen
ausgehängten Plakaten mit Sprüchen wie „Nazis essen heimlich Falafel“ wur…
schließlich unter [3][Auflage von 120 Sozialstunden] eingestellt.
Allerdings warf dieser erste bekannte Prozess wegen Adbusting [4][ein paar
Fragen] auf: Warum etwa führt der Verfassungsschutzbericht 2018 Adbusting
im Kapitel [5][„gewaltorientierter Linksextremismus“] auf? Wieso verfolgen
Polizei und Geheimdienst derartige Vergehen mit einer solchen Akribie?
Die Kleine Anfrage der Linken gibt nun ein wenig Aufschluss:
Bundesregierung und Verfassungsschutz verteidigen erstaunlicherweise die
Einordnung von Adbusting im Bereich gewaltorientierter Linksextremismus.
Zwar sei Adbusting keine direkte Gewalt, auch seien bei den bekannt
gewordenen Taten keine Personen zu Schaden gekommen. Dennoch führe man
diese Aktionen unter „gewaltorientierter Linksextremismus“, „um den
thematischen Zusammenhang zwischen Adbusting als strafbarer Aktionsform zur
Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und
gewaltsamen Aktionsformen zu wahren“, wie es heißt.
## Die Antwort macht Staunen
Im Klartext heißt das: Verfassungsschutz und Bundesregierung konstruieren
diesen Zusammenhang mit dem gewaltorientierten Linksextremismus einfach.
Als Begründung reicht da bereits, dass die geäußerte Kritik
„verallgemeinernd“ sei und über „sachliche Kritik“ hinausgehe.
Jelpke kommt angesichts dieser Antworten kaum raus aus dem Staunen: „Mit
der Einstufung von Adbusting in den Bereich des ‚gewaltorientierten
Linksextremismus‘ macht sich der Verfassungsschutz wieder einmal absolut
lächerlich – und die Bundesregierung jetzt gleich mit.“
Sie empfiehlt den Behörden, an ihrer Kritikfähigkeit zu arbeiten. Zumal
Kritiker:innen an institutionellem Rassismus und unverhältnismäßiger
Polizeigewalt nicht gleich gewaltorientierte Linksextremisten seien – so
hatte die Linke ihre Anfrage auch begründet.
[6][Amnesty International] etwa kritisierte die [7][überzogene
Polizeigewalt beim G20-Gipfel]. Die Europäische Kommission gegen Rassismus
war besorgt über „diskriminierende Praktiken“ und „Racial Profiling“ d…
deutschen Polizei bei [8][anlasslosen Personenkontrollen].
„Das BfV tut gerade so, als stelle die massive Kritik durch Adbusting
blanken Terrorismus dar“, sagt Jelpke. Vielleicht „weil die
Adbusting-Künstler ins Schwarze getroffen haben“.
„Es ist ganz herrlich, mit anzusehen, wie sich die Überwachungsbehörden
hier lächerlich machen“, teilt ein Sprecher der Soligruppe Plakativ mit,
der sich „Klaus Poster“ nennt. Ähnlich sieht das auch einer der Autoren des
im Selbstverlag erschienenen Bildbands [9][„Unerhört! Adbusting gegen die
Gesamtscheiße“], der sich als Boris Buster vorstellt: „Die Überreaktion
zeigt, wie Sicherheitsbehörden völlig die Maßstäbe verloren haben. Wir
reden hier über Plakate und ein bisschen Kleber. Wir freuen uns sehr, wie
diese minimalinvasive Protestform dermaßen ins Ziel trifft.“
Eine Person, die bei Adbusting-Aktionen gegen den Verfassungsschutz im
Januar dabei war, stellt sich als Thomas vom Besonderen Amt für Veralberung
vor. Er sagt: „Als Kommunikationsguerillero geht mir das Herz auf. Man
sieht: Adbusting ärgert die wahnsinnig.“ Aber es könne einem auch schlecht
werden: „Das wäre nicht mal uns als Satire eingefallen: Gerade ziehen Nazis
mordend durchs Land, und die beschäftigen sich mit geklebten Postern.“
24 Feb 2020
## LINKS
[1] /Nach-rassistischem-Anschlag-in-Hanau/!5665545&s=hanau/
[2] https://www.bpb.de/politik/extremismus/linksextremismus/263507/contra-extre…
[3] /Gerichtsverfahren-in-Berlin/!5628524/
[4] /Ermittlungen-gegen-Adbusting-in-Berlin/!5628984/
[5] /Fake-Verfassungsschutz-Plakate-in-Berlin/!5662099/
[6] /Nachwirkungen-des-G20-Gipfels/!5438369/
[7] https://www.youtube.com/watch?v=6sTJChDG9Rw
[8] https://rm.coe.int/fifth-report-on-germany-german-translation-/16808b5682
[9] https://bbsc.blackblogs.org/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Adbusting
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