# taz.de -- Die Wahrheit: Zettels Traumtänzer | |
> Twitter-Jugend voll im Trend der Zeit: Twittern einmal ganz anders – | |
> analog mit Stiften und auf Papier. Die brandneue Sensation! | |
Bild: Zettelkörbe statt Zettelkästen lieben Zettelwirte | |
„Schreiben? Analogisch!“ So lautet das Motto der analogen Twitterer. Das | |
sind Leute, die ihre Nachrichten auf viele kleine Zettel schreiben und an | |
Pfosten posten. Denn überall feiert das Handgemachte fröhliche | |
Auferstehung, alle Welt strickt, klöppelt und malt wieder Vorlagen mit | |
Buntstiften aus. | |
Mit ihrer Liebe zu handbeschrifteten Zetteln liegt die analoge | |
Twitter-Jugend also voll im Trend der Zeit. Die aufgeweckten Jugendlichen | |
treffen sich regelmäßig zu ihren Zettelrunden und einmal im Monat zur | |
„Langen Nacht der kurzen Zettel“. Dabei schreiben sie sich gegenseitig | |
kurze Zettelbotschaften, die maximal 140 Buchstaben aufweisen dürfen – die | |
sogenannte Schwätzergrenze. | |
So ein Twiet oder Zwitsch wird dann „gepostet“, das heißt, er kommt in den | |
großen Zettelkasten. Dieser wird von einem Administrator verwaltet, der | |
vorher ausgelost wird. Die Freunde des oder der Schreibenden nennen sich | |
„Follower“ oder Verfolger und bekommen den Schlüssel für den Zettelkasten. | |
Dieser Schlüssel ist ein Wort mit mindestens fünf Buchstaben und Zeichen – | |
zum Beispiel „Sesam6“. Das Schlüsselwort flüstert der Follower dem | |
Administrator ins Ohr. Stimmt der Schlüssel, darf der Verfolger in den | |
Kasten gucken und die Zettel lesen. | |
Das sind dann meist Texte wie „Ich sitze hier mit euch zusammen und | |
schreibe Zettel. Cosima.“ Diesen Zettel kann der Follower „liken“ oder | |
„faven“. Er schreibt dann drunter „Findichjut.“ Weiter kann er den Zett… | |
„retweeten“ oder „teilen“. Durch das Teilen wird die Nachricht zwar kü… | |
aber auch lustiger durch den „stillen Post-Faktor“. Das bedeutet, dass | |
viele kleine Fehler den Text immer lustiger machen. Geteilte Nachricht soll | |
ja doppelte Freude bedeuten. | |
## Zettelschnipsel im Zettelkasten | |
Der folgende Follower kann den Zettel aber auch „haten“ oder „deleten“. | |
Delete-Lust erkennt man daran, dass viele kleine Zettelschnipsel im | |
Zettelkasten liegen. | |
Gefürchtet sind auch die fiesen „Trolle“, die sich gern kleine Streiche | |
ausdenken und anstelle von Zetteln viele kleine Konfetti posten (siehe auch | |
„Analoges Lochen“). „Mikroblogs“ sind beschriftete Konfetti, die den | |
Schreiber zwingen, sich sehr kurz zu fassen. Mehr als drei Buchstaben sind | |
da nicht drin, fak! | |
Ein Doppelkreuz auf dem Zettel heißt bei den Zwitscherern „Hashtag“. Das | |
ist ein besonders schöner Tag („Hash mich, ich bin der Frühling!“), den | |
alle liken. Drei Kreuze bedeuten „Waschtag“, das liken die meisten nicht | |
so. | |
Aber was schreibt ein analoger Twitterer denn so? Meist schreiben sie an | |
der unendlichen Geschichte ihres Onlinetagebuchs: „Ich sitze hier und | |
beschreibe einen Zettel. Der ist gleich voll. Ich nehme einen neuen Zettel | |
und schreibe ihn auch voll.“ Das ist der Duktus, bei dem jeder mit muss, in | |
der kleinen Welt der Verzettler. | |
Am Wichtigsten ist den notorischen Narzissten natürlich das „Schnellfie“, | |
die schnell hingeschriebene Nachricht an sich selbst. Denn wer keine | |
Verfolger hat, hat immer noch sich selbst. Und der sollte sich selbst ganz | |
doll lieb haben, denn Selbsthass ist krass und deflated! | |
Wenn dann die Zettelkreisgruppe nach der langen Nacht in den jungen Morgen | |
tritt, dann ist sie bereit für einen neuen Tag. Zum Beispiel für den | |
Hashtag „Einkaufszettel“! | |
28 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Kriki | |
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