# taz.de -- Empfehlung zum Filmfestival: Intervention und Formsuche | |
> 1971 wurde das Internationale Forum des Jungen Films als | |
> Berlinale-Sektion gegründet. Zum 50. Jubiläum wird das komplette Programm | |
> wieder gezeigt. | |
Bild: Repression gegen die Black Panther: „The Murder of Fred Hampton“ (197… | |
1971 findet das Internationale Forum des Jungen Films zum ersten Mal auf | |
der Berlinale statt. Doch alles begann im Jahr zuvor. 1970 kommt es auf dem | |
Festival zum Eklat. Auslöser ist ein Film über Männer im Wald in Bayern, | |
„o.k.“ von Michael Verhoeven. | |
Verhoevens Film zeigt nicht einfach irgendwelche Männer im Wald, vielmehr | |
verfremdet sein Film ein US-Kriegsverbrechen aus dem Vietnamkrieg, indem er | |
Schauspieler die Ereignisse im Wald in Bayern nachspielen lässt. Die Gruppe | |
der Männer beobachtet ein Mädchen im Wald, schikaniert es unter dem Vorwand | |
einer Durchsuchung, vergewaltigt es und ermordet es schließlich. | |
Am Morgen nach der Premiere des Films beginnen die Verwerfungen. | |
Festivalleiter Alfred Bauer bestreitet am nächsten Tag Informationen, nach | |
denen der Film nachträglich aus dem Wettbewerb ausgeschlossen wurde. Der | |
Juryvorsitzende, der US-Regisseur George Stevens, hatte Bauer vor die Wahl | |
gestellt, den Film auszuschließen, sonst reise er ab. | |
Er verwies auf die damals übliche Satzung von großen Filmfestivals, in der | |
es hieß, die Filme sollten „zur Verständigung und Freundschaft unter den | |
Völkern beitragen“. Der Festivalleiter und die Berliner Filmpolitik | |
lavierten unglücklich und fuhren den Festivaljahrgang an die Wand. Die | |
Berlinale wurde abgebrochen. | |
## Fassbinder und Stummfilme | |
Ganz regulär zu Ende geführt wurde ein Programm, das die Freunde der | |
deutschen Kinemathek im wenige Monate zuvor gegründeten Arsenal „aus Anlass | |
der Berliner Filmfestspiele“ zeigten. Es liefen Filme von Rainer Werner | |
Fassbinder, Rosa von Praunheim, amerikanische Avantgardefilme, französische | |
Stummfilme und kubanische Dokumentarfilme. | |
Das Programm wurde in seinem Nebeneinander von Filmgeschichte und aktuellem | |
Film, von politischer Intervention und experimenteller Formsuche der | |
Grundstein für das Internationale Forum des Jungen Films bei der Gründung | |
im Jahr darauf. Anlässlich des Jubiläums zeigt das Forum nun ein | |
Jubiläumsprogramm mit 28 Filmen während der Berlinale. Den März hindurch | |
folgen weitere Filme im Kino Arsenal. | |
Zu den Filmen, die während des Festivals laufen gehören neben Verhoevens | |
Film, mit dem alles begann, Klassiker wie Luchino Viscontis „Ossessione“, | |
einer der Gründungsfilme des Neorealismus, und politische Momentaufnahmen | |
vom Beginn der 1970er Jahre wie William Kleins Porträt des Black-Panther | |
Aktivisten Eldridge Cleaver. Kleins Film ruft zusammen mit Howard Alks | |
Dokumentarfilm „The Murder of Fred Hampton“ die Geschichte der Black | |
Panther in Erinnerung und die Repression, denen die Gruppe ausgesetzt war. | |
Alk begann Ende 1968 gemeinsam mit Mike Gray mit einem Porträt des | |
Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton. Im Dezember 1969 wird Hampton bei | |
einer Aktion der Chicagoer Polizei in seinem Appartement erschossen. Der | |
Film versucht die Ereignisse rund um Hamptons Tod zu rekonstruieren. Kurz | |
nach Fertigstellung des Films fand sich bei einem Einbruch in einem | |
FBI-Büro unter anderem ein Grundriss von Hamptons Wohnung. | |
## Politischer Aufbruch | |
Das Programm dokumentiert den umfassenden gesellschaftlich-politischen | |
Aufbruch jener Jahre: auf dem Programm stehen einige frühe, feministische | |
Filme wie Helke Sanders Arbeiterinnenfilm „Eine Prämie für Irene“. „The | |
Woman's Film“ des San-Francisco-Newsreel-Kollektivs dokumentiert in | |
Interviews die alltägliche Gewalt und Unterdrückung gegen Frauen. Vor allem | |
aber gibt das Programm einen Eindruck von der internationalistischen | |
Verschränkung der Kämpfe. | |
Eldridge Cleaver geht in William Kleins Film wiederholt die Stufen der | |
Casbah in Algier hinauf, die wenige Jahre Schauplatz brutaler Episoden des | |
Algerienkriegs waren. Annie Tresgot begleitet einen jungen Algerier durch | |
Frankreich zeigt in Gesprächen die Ablehnung, die ihm entgegen schlägt. | |
Sarah Maldoror produzierte zeitgleich in Algerien ihren Film „Monangambeee“ | |
über die Unabhängigkeitsbewegung in Angola. Med Hondo formuliert in seinem | |
ersten Spielfilm „Soleil Ô“ eine präzise Anklage gegen das Verbrechen des | |
europäischen Kolonialismus. | |
Das Forum 1971 war Ausgangspunkt einer Sektion, die bis heute fortlebt. Es | |
war aber auch Ausgangspunkt des Filmverleihs der Freunde der Deutschen | |
Kinemathek. Viele der Filme wurden anschließend in den Verleih übernommen. | |
Im ersten Verleihprogramm von 1972 heißt es: | |
„Damit ist es endlich möglich geworden, Filmfestspiele nicht nur an einem | |
Ort und zu einer Zeit stattfinden zu lassen […] Das „Festival“ wird seiner | |
kulturellen Mythologie entkleidet, es ist nicht länger nur Ritual, | |
Selbstbestätigung und Selbstzweck, sondern es wird zum Motor einer | |
permanenten sinnvollen Arbeit.“ Eine Forderung, die sich als | |
zukunftsträchtig erweisen sollte. | |
20 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
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