# taz.de -- Die Wahrheit: Bewusstsein für den Oberförster | |
> Wenn Sprösslinge medizinische Beratungsgespräche mit schwarzer Kunst | |
> stören, können sie mit einer speziellen Crème zur Raison gebracht werden. | |
Dem Oberförster war klar, dass er ein Bewusstsein brauchte, am liebsten | |
eins mit drei Schaltungsarten. Über ein Gehirn verfügte er bereits. | |
Ontogenetisch betrachtet, ging es aus der Idee des Urdarms hervor, war aber | |
viel komplizierter. Auf organischer Ebene war alles vorhanden: der | |
Rebersdorffer-Katalysator, das Bartholdi-Darlistorium, die | |
Pernetty-Schubkanäle, die Fürnberg-Organklumpen. Lediglich das Bewusstsein | |
fehlte noch. Der Oberförster beschloss, das stellenweise erleuchtete | |
Holzgehäuse, das er mit seinem Jagdmündel bewohnte, zu verlassen, um den an | |
der Universität Rinteln lehrenden Professor Blum aufzusuchen und sich von | |
ihm fachmännisch beraten zu lassen. | |
Ärgerlicherweise fand die Besprechung in Blums Arbeitszimmer unter denkbar | |
ungünstigen Umständen statt. Des Professors Sohn störte nach Kräften. | |
Anfangs wiederholte er mit krähender Stimme alles, was die beiden zusehends | |
enervierten, doch hilflosen Männer sprachen. Dann aber bemächtigte er sich | |
vermöge schwarzkünstlerischer Kräfte der Unterhose seines Vaters. | |
Blitzschnell stülpte er sie dem Oberförster über den Kopf, wobei er sie bis | |
zu den Schultern des Mannes herunterzog. Der entledigte sich mit einem | |
Aufschrei des verbrauchten Textils und schleuderte es angewidert zu Boden. | |
Bevor Professor Blum sich erzieherisch betätigen konnte, hatte der Knabe | |
die Unterhose aufgehoben und ihm unter meckerndem Gelächter auf die gleiche | |
Weise appliziert wie vorhin dem Oberförster. Blum fuhr auf und brüllte | |
Grobheiten. Der Sprössling lachte aber nur und wiederholte seine Übergriffe | |
noch etliche Male. | |
Als er nicht mehr weiterwusste, griff der Vater zu seinem einzigen | |
wirksamen Disziplinierungsmittel. Er drohte, die Dematerialisierungs-Crème | |
zur Anwendung zu bringen. Der ungeratene Sohn reagierte mit einer Mischung | |
aus Kichern und Winseln, und für ein Weilchen gab er Ruhe. Der Oberförster | |
wollte schon aufatmen, da wurde ihm abermals die Unterhose über den Kopf | |
gezogen. | |
„Jetzt reicht’s“, schnaubte Blum. Er holte die Crème. Mit der | |
aufgeschraubten Tube in der Hand machte er Jagd auf seinen unter schrillem | |
Kreischen fliehenden Sohn. Nach langem Hin und Her bekam er ihn zu packen. | |
Mit dem Knie hielt er den sowohl Heulenden als auch Lachenden am Boden und | |
cremte ihn wie angedroht von oben bis unten ein. Danach wurde der Übeltäter | |
laufengelassen. Er verschwand spuckend und jaulend im Bad, wo er versuchte, | |
sich die Crème abzuwaschen. Wieder gab es etwas Ruhe. | |
„So, nun können wir uns endlich vernünftig unterhalten“, sagte Blum. Doch | |
in diesem Moment wurde er in sein Labor gerufen, jemand wollte sich ein | |
Bewusstsein wegmachen lassen. Blum lud den Oberförster ein mitzukommen. | |
„Und Ihr Sohn?“ fragte der Oberförster. „Der hört auf zu existieren, so… | |
wir die Wohnung verlassen“, antwortete der Professor. „Er wird von den | |
Tapeten resorbiert.“ | |
13 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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