| # taz.de -- Die Wahrheit: Das Flüstern der Serviererinnen | |
| > Außergewöhnliche Lichterscheinungen im Café gebieten eigentlich den | |
| > Einsatz klappernder Metallstangen. Es darf aber auch gratuliert werden. | |
| Das sogenannte Vergehen der Zeit empfand ich von Anfang an als ein Zerren | |
| ohne Vorankommen, der Ablauf der Geschehnisse schien in die Länge gezogen | |
| und irgendwie festzuhängen. Ich hatte das Gefühl, dass die Atmosphäre | |
| insgesamt aus verschmierten Dissonanzen bestand. | |
| Dadurch entstand ein ermüdender, fast schon Übelkeit erzeugender Druck im | |
| Kopf. Abends verschlechterte sich mein Befinden noch. Im Freien roch es | |
| obendrein unangenehm seifig. Deshalb hielt ich mich nur in geschlossenen | |
| Räumen auf. So etwa in dem Café, das ich seit Jahren aufsuchte, weil man | |
| dort nicht von arbiträrer, viel zu lauter Musik belästigt wurde. | |
| Eines Nachmittags, als ich dort als einziger Gast saß und Kuchen mit | |
| Schlagsahne verzehrte, benahmen sich die Serviererinnen plötzlich seltsam. | |
| Sie standen beieinander und starrten ratlos in die Höhe. Ihrem aufgeregten | |
| Flüstern und Raunen entnahm ich, dass ihnen an der Decke des großen Raums | |
| runde Lichterscheinungen aufgefallen waren, die sie sich nicht erklären | |
| konnten. Den Blick hebend, sah ich, was sie meinten. Zunächst vermutete ich | |
| Reflexionen von Geschirr, Zuckerstreuern oder anderen in Frage kommenden | |
| Gegenständen, doch die Serviererinnen, denen ich meine schlichte Hypothese | |
| nannte, widerlegten dieselbe im Handumdrehen. | |
| Nun starrte auch ich ratlos in die Höhe. Gut zwanzig Jahre nach den | |
| massenhaften Ufo-Sichtungen in Deutschland gab es offenbar noch immer | |
| außergewöhnliche Phänomene zu beobachten. Der herbeigerufene | |
| Geschäftsführer vermochte auch nichts zur Lösung des Rätsels beizutragen | |
| und suchte unter fadenscheinigen Reden schnell das Weite. | |
| Ich überlegte, was zu tun sei. Daheim mussten unter dem Bett oder dem | |
| Schrank noch ein paar lange klappernde Metallstangen liegen. Weil die | |
| Lichterscheinungen an der Decke keinen nachteiligen Einfluss auf den Kuchen | |
| zu haben schienen, wollte ich ein zweites Stück bestellen. Da erfuhr ich | |
| aber von den Serviererinnen, dass es galt, „dem jungen Hochzeitspaar“ zu | |
| gratulieren. Wie es hieß, hatten wir viel Zeit verloren und waren nun die | |
| letzten Gratulanten. Ausgestattet mit allem, was wir brauchten, eilten wir | |
| zu dem betreffenden Kunstmuseum. | |
| An der Kasse trugen wir unser Anliegen vor. Nachdem schon vor einer Woche | |
| viele andere in dieser Angelegenheit vorgesprochen hatten, wusste man | |
| Bescheid. Eine dafür zuständige Museumsangestellte bat uns, ihr zu folgen. | |
| Sie führte uns zu einem großen, leeren Ausstellungssaal in der ersten Etage | |
| und entfernte sich. Wir stellten uns, mit Blick auf die Wand, in eine Ecke. | |
| Und wie wir so dastanden, uns gegenseitig festhielten und nicht mehr | |
| wussten, was wir eigentlich vorgehabt hatten, näherte sich ein | |
| Motorengeräusch. „Der 622er Bus!“, kreischte mein Bruder. | |
| Später stellte sich heraus, dass ich gar keinen Bruder hatte. Der | |
| behandelnde Arzt hatte lediglich einen Fehler beim Ausfüllen meiner | |
| Patientenakte gemacht. | |
| 15 Jan 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
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