# taz.de -- Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Erfurter Demokratielabor | |
> An diesem Mittwoch will sich Bodo Ramelow im Erfurter Landtag wieder zum | |
> Ministerpräsidenten wählen lassen. Kann das gelingen? | |
Bild: Am Dienstag haben Grüne, Linkspartei und SPD in Erfurt ihren Regierungsv… | |
Wer steht an diesem Mittwoch im Erfurter Landtag als Ministerpräsident zur | |
Wahl? | |
Für die Linkspartei kandidiert Amtsinhaber Bodo Ramelow erneut für das Amt | |
des Ministerpräsidenten. CDU-Landes- und Fraktionschef Mike Mohring wollte | |
Ramelow und die Linkspartei aus der Regierung verdrängen. Er landete aber | |
mit seiner Partei bei der Landtagswahl im Oktober nur abgeschlagen auf dem | |
dritten Platz und hat erklärt, nicht anzutreten. Das gilt auch für den | |
AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke. Aber die AfD, zweitstärkste | |
Fraktion im Landtag, hat angekündigt, einen anderen Gegenkandidaten | |
aufzustellen. | |
Wen? | |
Die Rechtsaußenpartei will den parteilosen Christoph Kindervater ins Rennen | |
schicken. Der ehrenamtliche Bürgermeister von Sundhausen im | |
Unstrut-Hainich-Kreis, einer Gemeinde mit 350 Einwohner:innen, hatte sich | |
am Wochenende sowohl der AfD als auch CDU und FDP als Kandidat selbst | |
angeboten. Die AfD nahm das Angebot dankend an. | |
Und was macht die FDP, die dritte und kleinste Oppositionspartei? | |
Für die ersten beiden Wahlrunden wollen die Liberalen keinen eigenen | |
Kandidaten aufstellen. Aber FDP-Landes- und Fraktionschef Thomas Kemmerich | |
hält sich die Option offen, [1][im dritten Wahlgang seinen Hut in den Ring | |
zu werfen] – unter der Voraussetzung, dass noch der AfD-Bewerber im Rennen | |
ist. | |
Welche Fraktionen unterstützen den bisherigen Amtsinhaber Ramelow, welche | |
nicht? | |
Bodo Ramelow hat die Unterstützung sowohl seiner eigenen Partei, die bei | |
der Landtagswahl mit Abstand stärkste Kraft wurde, als auch von SPD und | |
Grünen. Mit ihm an der Spitze wollen die drei Parteien ihre gemeinsame | |
Regierungsarbeit fortsetzen, auch wenn sie über keine Mehrheit mehr im | |
Landtag verfügen. Die anderen drei Fraktionen haben hingegen allesamt | |
erklärt, dass sie Ramelow nicht wählen werden. | |
Wie viele Stimmen braucht Bodo Ramelow, um erneut gewählt zu werden? | |
„Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder | |
ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt“, heißt es in der Thüringer | |
Landesverfassung. Da dem Landtag 90 Abgeordnete angehören, braucht Ramelow | |
also mindestens 46 Stimmen. | |
Kann er das schaffen? | |
Nicht aus eigener Kraft: Linkspartei, SPD und Grüne kommen zusammen nur auf | |
42 Abgeordnete. Um im ersten oder zweiten Wahlgang gewählt zu werden, | |
bräuchte Ramelow daher mindestens vier Stimmen aus dem Oppositionslager. | |
Und wenn er das nicht schafft? | |
Es gibt ja noch den dritten Wahlgang. Dann bedarf es laut Landesverfassung | |
keiner absoluten Mehrheit mehr, eine einfache Mehrheit würde reichen. | |
Alles klar, dann wird Ramelow im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit | |
von Linken, Grünen und SPD gewählt? | |
Hat Ramelow mindestens einen Gegenkandidaten, ist die Sache einfach. Gemäß | |
Landesverfassung ist im dritten Wahlgang gewählt, wer „die meisten Stimmen | |
erhält“. Da dürfte der Linksparteiler gute Karten haben. | |
Dann ist ja alles paletti, oder? | |
Nicht ganz. Kompliziert wird es, wenn er keinen Gegenkandidaten hat. Was | |
ist, wenn Ramelow dann mehr Nein- als Jastimmen bekommt? | |
Was ist dann? | |
Das ist die spannende Frage. Für Linkspartei, SPD und Grüne wäre Ramelow | |
dann trotzdem gewählt, weil nur die Jastimmen zählen würden. Diese | |
Interpretation der Landesverfassung haben sie sich auch von einem | |
Verfassungsrechtler bestätigen lassen. Die CDU sagt aber: Auch die | |
Neinstimmen seien Stimmen – Ramelow wäre daher nicht gewählt, wenn mehr | |
Abgeordnete gegen ihn als für ihn stimmen. Sie zitiert dafür ebenfalls ein | |
verfassungsrechtliches Gutachten und will die Wahl gegebenenfalls im | |
Nachhinein anfechten. | |
Und wer ist in diesem Fall gewählter Ministerpräsident? | |
Niemand. | |
Wäre Thüringen in einem solchen Fall unregierbar? | |
Nein, Ramelow ist laut Verfassung so lange geschäftsführend im Amt, bis ein | |
Nachfolger gewählt wird. Aber in einem solchen Fall könnte er keine neuen | |
Minister:innen ernennen oder den Zuschnitt von Ministerien verändern. | |
Falls es mit der Wahl Ramelows klappt, kann Rot-Rot-Grün trotzdem nur eine | |
Minderheitsregierung bilden. Könnte die stabil regieren? | |
Durchaus. Der Spielraum einer Landesregierung ist ziemlich groß – auch ohne | |
Parlamentsmehrheit. Vieles kann sie über Erlasse und Verordnungen regeln. | |
Nur für neue Gesetze und für die Aufstellung des Haushalts, die im Sommer | |
nächsten Jahres ansteht, muss sie bei der Opposition um Zustimmung werben. | |
Wenn die dann geschlossen dagegen stimmt, wird's hart. | |
Gibt es Beispiele für funktionierende Minderheitsregierungen in der | |
Vergangenheit? | |
Es gab zwar auf Länderebene schon ein paar Minderheitsregierungen, | |
[2][allerdings ist nur eine mit der in Thüringen vergleichbar]: das war | |
2010 bis 2012 Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen – und die hat ziemlich gut | |
funktioniert. Geradezu virtuos regierte die rot-grüne „Koalition der | |
Einladung“ mit wechselnden Mehrheiten im bevölkerungsreichsten Bundesland: | |
mal stimmte die Linkspartei mit ihr, mal die CDU, mal die FDP. Dass das | |
Experiment schließlich beendet wurde, lag denn auch nicht an seinem | |
Scheitern, sondern an den allzu guten Umfragewerten der Regierung: Die | |
Verlockung war zu groß, per Neuwahl eine eigene absolute Mehrheit erringen | |
zu können. Auch das ging auf: Nach der Landtagswahl 2012 brauchten SPD und | |
Grüne keine Leihstimmen mehr, um weiterregieren zu können. | |
Ist NRW auf Thüringen übertragbar? | |
Nein. Denn in NRW fehlte SPD und Grünen nur eine Stimme zur absoluten | |
Mehrheit. Mit der Linkspartei auf der einen sowie CDU und FDP auf der | |
anderen Seite war Rot-Grün de facto nicht überstimmbar. Da hat es | |
Rot-Rot-Grün in Thüringen weitaus schwerer. Denn die CDU und die FDP können | |
darauf hoffen, dass ihnen die AfD bei etlichen Anträgen zu einer Mehrheit | |
im Landtag verhilft. | |
Gäbe es eine Alternative? | |
Wenn sich Linkspartei und CDU auf eine Koalition einigen würden, hätten sie | |
im Landtag zusammen eine absolute Mehrheit. Aber die Frage stellt sich für | |
die Linkspartei erst gar nicht: Die CDU hat per Bundesparteitagsbeschluss | |
eine Zusammenarbeit mit ihr ausgeschlossen. | |
Gibt es denn überhaupt inhaltliche Schnittmengen für eine irgendwie | |
geartete Zusammenarbeit von Linken und CDU? | |
Die CDU hat auf ihrer Winterklausur Mitte Januar [3][22 Vorhaben zum Wohle | |
Thüringens beschlossen], die sie im Landtag aufgreifen und mit Mehrheit | |
beschließen lassen möchte. Diese Liste reicht von „Unterrichtsausfall | |
bekämpfen“ über „mehr Qualität in Kindergärten“ bis zu „Funklöcher… | |
und „Ärztliche Versorgung und Pflege“ sichern. Anliegen, die Rot-Rot-Grün | |
ebenfalls auf dem Zettel hat, beziehungsweise [4][in den am Dienstag | |
unterschriebenen Koalitionsvertrag] stehen hat. | |
Wo dürfte es zu Konflikten kommen? | |
Rot-Rot-Grün möchte ein Landesaufnahmegesetz für minderjährige unbegleitete | |
Flüchtlinge starten und den Mindestlohn für öffentliche Aufträge auf 12 | |
Euro erhöhen. Beides dürfte schwierig werden mit CDU und FDP. | |
Sind die Reihen der CDU denn geschlossen? | |
Nein. Es gibt durchaus Abgeordnete, die mit [5][Mohring und seinem Kurs] | |
Schwierigkeiten haben. Auf einige dieser Abweichler spekuliert | |
Rot-Rot-Grün. Neben jenen, die mit der Linken reden wollen, gibt es aber | |
auch jene, die die AfD als ganz normalen Gesprächspartner akzeptieren. Die | |
Fliehkräfte in der Thüringer CDU dürften mit einer rot-rot-grünen | |
Minderheitsregierung zunehmen. | |
Sind Neuwahlen wahrscheinlich? | |
Kaum. Außer der Linkspartei, die [6][in der jüngsten Umfrage von infratest | |
dimap] im Auftrag des MDR ihr Rekordergebnis noch ausbauen könnte und | |
aktuell auf 32 Prozent käme, und der AfD, die ebenfalls leicht zulegte, | |
kann keine Partei derzeit Interesse an Neuwahlen haben. Die CDU sinkt sogar | |
weiter in der Gunst der Wähler:innen. Die Verfassung sieht Neuwahlen vor | |
für den Fall, dass der Landtag mit Zweidrittelmehrheit seine Auflösung | |
beschließt oder der Ministerpräsident erfolglos die Vertrauensfrage | |
gestellt hat und innerhalb von drei Wochen kein Nachfolger gewählt wird. | |
Und letzteres Szenario würde bedeuten: Zurück zu Frage 1. | |
5 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.n-tv.de/regionales/thueringen/FDP-gibt-fuer-moegliche-Kandidatu… | |
[2] /Minderheitsregierung-in-Thueringen/!5657513 | |
[3] https://www.cdu-thueringen.de/aktuelles/2020/beschluss-der-cdu-fraktion-im-… | |
[4] https://www.die-linke-thueringen.de/start/koalitionsvertrag-2020/ | |
[5] /Thueringens-Linke-Chefin-ueber-CDU/!5655781 | |
[6] https://www.mdr.de/thueringen/umfrage-thueringentrend-januar-zweitausendzwa… | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Pascal Beucker | |
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