# taz.de -- Reformbestrebungen in der Kirche: Auch Katholiken haben eine APO | |
> Auf der Synodalversammlung kämpften feministische Katholikinnen, | |
> Transmenschen und Missbrauchsopfer um Inklusion und Entschädigung. | |
Bild: Kardinal Reinhard Marx im Frankfurter Dom | |
FRANKFURT/MAIN taz | „Seit zehn Jahren ein Verschleppen, Hinhalten, | |
Vertrösten. Es reicht jetzt!“ Matthias Katsch – eigentlich ein nüchtern | |
wirkender Anzugträger mit Brille – kann seinen Ärger nicht verbergen. „We… | |
die Kirche uns nicht entschädigen will, werden sich politische Parteien auf | |
unsere Seite und gegen die Kirche stellen“, droht der Aktivist. | |
Zusammen mit Vertreter*innen der Frauenbewegung „[1][Maria 2.0“,] der „AG | |
Homosexuelle und Kirche“ und der „Kirchenvolksbewegung“ tritt Katsch an | |
diesem Nachmittag im Frauenbegegnungszentrum in der Frankfurter Altstadt | |
auf. Diese Gruppen bilden eine Art außerparlamentarische Opposition zur | |
frisch eingesetzten [2][„Synodalversammlung“.] Die Versammlung ist ein | |
Gremium, das den deutschen Katholizismus demokratisieren soll und das am | |
Donnerstag in Frankfurt erstmals zusammentrat. | |
Matthias Katsch trägt das weiße Andreaskreuz der Initiative [3][„Kein Raum | |
für Missbrauch“] am Revers. Als Schüler am Canisius-Kolleg in Berlin wurde | |
der 57-Jährige selbst Opfer sexualisierter Gewalt, heute kämpft er im | |
Verein „Eckiger Tisch“ um finanzielle Entschädigungen. „Die Synodalen | |
dürfen nicht anfangen, Innerkirchliches zu diskutieren, während die Opfer | |
außen vor bleiben“, mahnt Katsch. Vor genau zehn Jahren wurde der | |
strukturelle Missbrauch an dem Jesuitengymnasium öffentlich – Hunderte | |
weitere Enthüllungen, auch bischöflicher Vertuschung, folgten seitdem | |
bundesweit. | |
## Hierarchie begünstigt Missbrauch | |
Die Oberhirten unter ihrem Vorsitzenden Reinhard Kardinal Marx sahen sich | |
schließlich genötigt, gemeinsam mit der Laienvertretung, dem Zentralkomitee | |
der deutschen Katholiken, den „Synodalen Weg“ einzuschlagen, mehr | |
Demokratie zu wagen. Denn, so legt eine von der [4][Bischofskonferenz | |
(DBK)] beauftragte wissenschaftliche Untersuchung, die sogenannte | |
MHG-Studie, von 2018 nahe: Sexualisierte Gewalt wird vom exklusiven und | |
hierarchischen System dieser Kirche begünstigt, von männerbündischen Macht- | |
und Schweigekartellen. | |
„Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, „Priesterliche Existenz heute�… | |
„Liebe in Sexualität und Partnerschaft“ heißen nun die Synodalforen des | |
neuen 230-köpfigen Gremiums, das in einem zweijährigen Prozess dauerhafte | |
Strukturveränderungen herbeiführen und die Glaubwürdigkeit der Kirche | |
verbessern soll. Neben Klerikern und anderen kirchlichen Mitarbeiter*innen | |
setzt es sich auch aus prominenten Katholik*innen wie der Dichterin Nora | |
Gomringer, Wissenschaftler*innen, Ordensleuten und 15 Vertreter*innen der | |
Katholik*innen unter 30 Jahren zusammen. Anfang September sollen in einer | |
zweiten Versammlung Ergebnisse präsentiert werden. | |
Ein richtiges Parlament ist die Synodalversammlung freilich nicht, denn sie | |
besteht aus benannten und nicht vom Kirchenvolk – 23 Millionen | |
Katholik*innen leben in Deutschland – gewählten Delegierten. Und: die DBK | |
behielt sich in der Satzung vor, dass kein Beschluss ohne eine | |
Zweidrittelmehrheit der Bischöfe gefasst werden kann. Das vierte Forum, | |
„Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“, wurde erst nach Protesten | |
hinzugefügt. | |
„Frauenweihe jetzt!“ steht auf einem der Plakate bei der vorabendlichen | |
Kundgebung vor dem Eingang des Frankfurter Kaiserdoms, in dem in wenigen | |
Minuten der Eröffnungsgottesdienst zur Synodalversammlung stattfinden soll. | |
Auf einem anderen: „Um Füße zu waschen und Brot zu brechen, braucht man | |
Hände, nicht Geschlechtsteile. Schluss mit dem Peniswahn“. | |
## Maria 2.0 für Gleichberechtigung | |
Etwa 200 feministische Katholik*innen unter anderem von Maria 2.0 bilden | |
hier für Geschlechtergerechtigkeit betend und singend eine Gasse, die alle | |
Delegierten passieren müssen. Aus Kassel, aus Paderborn und anderen | |
Gegenden sind Gruppen angereist. Ins Gremium selbst möchte Maria 2.0 nicht | |
integriert werden. „Wir wollen nicht zu einem großen Pudding der Harmonie | |
eingedampft werden“, begründet die Frankfurter Rechtsanwältin Monika | |
Humpert diese Entscheidung. | |
Jedoch, schon im Gottesdienst fallen klare Worte. „Ich unterstütze mit | |
meiner Arbeit ein System, das so viele Menschen zu Opfern hat werden | |
lassen“, sagt eine Gemeindereferentin. Sie wolle aber in einer befreiten | |
Kirche Freiheit verkündigen. Auch die Ordensschwester Philippa Rath bekennt | |
im Dom: „Ich schäme mich zuweilen für meine Kirche.“ Seit 1.500 Jahren | |
würden Frauen in Ordensgemeinschaften ihre Leitungskompetenz beweisen, es | |
sei Zeit, dies in der ganzen Kirche zu ermöglichen, so Rath. Stefan Heße, | |
der Bischof von Hamburg, fordert in Frankfurt sogar die Segnung | |
gleichgeschlechtlicher Paare. | |
## Kritik von rechts | |
Doch längst nicht alle Synodal*innen sind so selbstkritisch und | |
reformbereit, auch von rechts wird die Legitimität der Synodalversammlung | |
infrage gestellt. Die Schlussfolgerungen der MHG-Studie seien nicht | |
wissenschaftlich gedeckt, so etwa der Bischof Rudolf Voderholzer am | |
Freitagmorgen. Erst nach Vergleichsstudien könne man Entscheidungen | |
treffen. Erzbischof Rainer Maria Woelki wiederum betont, dass Maßnahmen zur | |
Missbrauchsprävention schon umgesetzt seien. Kirchenparlamentarismus, | |
Demokratisierung, Diversität – für diese Delegierten ein protestantischer | |
Irrweg. | |
Für Janosch Roggel ist die Synodalversammlung noch längst nicht | |
demokratisch und inklusiv genug: „Aber wenn wir schon mal hier sind, wollen | |
wir auch was draus machen.“ Der Lehramtsstudent ist einer der Delegierten | |
unter 30. „Eigentlich bin ich schon zu alt, um ein Jugendvertreter zu sein. | |
Selbst zwischen mir und den Jugendlichen in meiner Heimatgemeinde in | |
Arnsberg ist der Abstand schon zu groß.“ | |
Die kirchliche Sprache mache die Verhandlungen wenig zugänglich, so Roggel. | |
„Außerdem sind wir nicht angestellt bei der Kirche. Wir werden im Gegensatz | |
zu anderen Delegierten nicht für unsere Gremienarbeit bezahlt und | |
freigestellt“, erklärt der 24-Jährige in einer Kaffeepause. Dennoch habe | |
die U-30-Gruppe stundenlang telefoniert, um über Änderungsanträge Einfluss | |
auf die Geschäftsordnung der Synodalversammlung zu nehmen. | |
## Standing Ovations | |
Am Samstagmittag, gegen Ende der Verhandlungen, nimmt Janosch Roggel jedoch | |
mit einem persönlichen Statement mehr Einfluss auf den Synodalen Weg, als | |
er es mit einem Änderungsantrag je könnte. Nachdem die Medizinethikerin | |
Christiane Woopen zum Punkt Sexualmoral deutlich macht, dass auch die | |
Kirche nicht länger von einer Geschlechterbinarität ausgehen dürfe, tritt | |
Roggel ans Mikrofon und muss als trans* Person und als Opfer sexualisierter | |
Gewalt durch einen Priester formulieren: „Meine ganze Existenz wird von der | |
Kirche infrage gestellt.“ | |
Die Standing Ovations, die er für diesen mutigen Schritt von der | |
Synodalversammlung erhält, können Hoffnung machen, dass sich das in Zukunft | |
ändern wird. | |
3 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mariazweipunktnull.de/ | |
[2] https://www.synodalerweg.de/ | |
[3] https://www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/ | |
[4] https://www.dbk.de/themen/sexueller-missbrauch/ | |
## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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Pfeiffer. |