# taz.de -- Klimakrise und Hysterie: Im Shitstorm für den Artenschutz | |
> Der Klimawandel ist nicht aufzuhalten. Die Fixierung auf CO2-Reduktion | |
> muss aufhören, findet US-Bestsellerautor Jonathan Franzen. | |
Bild: Der Autor Jonathan Franzen ist leidenschaftlicher Vogelbeobachter | |
Es ist zu spät. Die Katastrophe ist nicht mehr abwendbar. Dürren, | |
Überschwemmungen und Waldbrände werden in immer größerer Zahl das Leben | |
vielerorts immer unmöglicher machen. Wo normalerweise die Ausführungen von | |
Klimaaktivist*innen und Wissenschaftler*innen aufhören, setzt Autor | |
[1][Jonathan Franzen] in seinem gerade erschienenen Essay „Wann hören wir | |
auf, uns etwas vorzumachen?“ an. | |
In dem erstmals im September 2019 in der Zeitschrift [2][The New Yorker] | |
veröffentlichten Text betont Franzen, dass es längst nicht mehr darum geht, | |
ob der Klimawandel katastrophale Auswirkungen auf das menschliche Leben | |
haben wird – sondern darum, wie schnell und wie stark. Ein ungewöhnlicher | |
Ansatz, der wachrüttelt, was bei der einlullenden Omnipräsenz der | |
Klimakrise schon ein Verdienst an sich ist. | |
Anders als viele Autor*innen, die sich in den letzten Jahren dazu bemüßigt | |
gefühlt haben, zum Klimawandel zu schreiben, hat Franzen nicht erst | |
kürzlich angefangen, sich mit dem Thema zu befassen. Und gerade deshalb | |
kann er Neues zur Debatte beitragen. Als leidenschaftlicher Vogelbeobachter | |
hat ihn die Problematik der schwindenden Artenvielfalt bereits in den | |
1990er Jahren zum Naturschutz und damit auch zur Klimafrage gebracht. | |
Im Vorwort beschreibt Franzen, welche Erlebnisse sein Umweltbewusstsein | |
geprägt haben, vor allem aber, wie er sich bald mehr mit dem Diskurs um den | |
Klimawandel als mit der Krise selbst auseinandersetzte. In seinen Artikeln | |
beschrieb er, wie er die Debatte wahrnahm: Sie sei einseitig, fokussiere | |
sich zu sehr auf die CO2-Reduktion und den Klimawandel. Er forderte eine | |
Prioritätenverschiebung: „Da dieser Diskurs mir zunehmend fruchtlos vorkam, | |
fand ich, dass wir der Natur mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.“ Franzen | |
plädierte für Artenschutz und Maßnahmen zum Erhalt von Biodiversität. | |
## Ein Erklärungsversuch | |
Der jetzt erschienene Essay und auch das daran angefügte Interview, das | |
erstmals 2019 in der Welt erschien, können als Nachtrag gelesen werden. Es | |
ist ein Erklärungsversuch in Anbetracht des Shitstorms, der Franzen wegen | |
früherer Essays vonseiten der Klimaaktivist*innen entgegenschlug. Sie | |
bemängelten seine Prioritätensetzung und empfanden es als Affront, dass | |
Franzen schrieb, man solle sich auf das Machbare – den Naturschutz – | |
konzentrieren, statt immer weiter über den Klimawandel zu diskutieren. | |
„Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ ist deshalb eher Aufruf als | |
Frage. Wir sollten aufhören, uns einzureden, den Klimawandel stoppen zu | |
können. Wir sollten das kafkaeske Bemühen um CO2-Reduktionen hinterfragen. | |
Wir sollten uns eingestehen, dass es uns nicht gelingt, den CO2-Ausstoß | |
genügend zu reduzieren. Abgeklärt und nüchtern spielt Franzen alle | |
möglichen Szenarien durch, um zu zeigen, dass das Erreichen des | |
Zwei-Grad-Ziels illusorisch ist. | |
Leider verzichtet Franzen darauf, Zahlen und Daten zu belegen. Als | |
Shitstorm-erfahrener Autor muss er wissen, dass belastbare Fakten der | |
Schlüssel sind. Nicht, weil man damit Realitätsverweigerer*innen überzeugen | |
könnte, sondern weil man denjenigen, die bereit sind zuzuhören, das Glauben | |
und Vertrauen erleichtert. Und die Botschaft, die er vermitteln will, ist | |
schwer zu verdauen: „Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe | |
nicht verhindern können“, untertitelt Franzen seinen Essay. | |
Und arbeiten wir trotzdem weiter an einer besseren Welt, könnte man | |
ergänzen. Denn Franzen möchte auf keinen Fall Fatalismus und Pessimismus | |
fördern. Im Gegenteil: Er glaubt, dass eine bessere Welt trotzdem möglich | |
ist – besser als die Dystopie, die Klimaaktivist*innen zeichnen, | |
jedenfalls. | |
Und jede noch so kleine Handlung kann ein Beitrag zu dieser besseren Welt | |
sein: „Freundlichkeit gegenüber dem Nächsten und Achtsamkeit gegenüber der | |
Umwelt – Förderung gesunder Böden, ein vernünftiger Umgang mit Wasser, | |
Schutz von Bienen und anderen Bestäuberinsekten – werden in einer Krise und | |
in jeder Gesellschaft, die sie übersteht, wesentliche Bedeutung erlangen.“ | |
## Ganzheitliche Herangehensweise | |
Er schließt sich damit Denker*innen wie [3][Charles Eisenstein] an, der | |
in seinem Buch „Klima“ eine ganzheitliche Herangehensweise fordert. Diese | |
holistischen Ansätze sind der Überzeugung, dass eine eindimensionale | |
Problemlösungsstrategie (sprich: die Reduktion von Emissionen) zu kurz | |
greift. Selbst wenn wir gar kein CO2 mehr ausstoßen, bleibt die Erde nicht | |
per se lebenswert. Vor allem nicht, wenn die Biodiversität unter unseren | |
Bemühungen um alternative Energien leidet. | |
Franzen versucht, aus dieser Argumentation ein selbstermächtigendes | |
Moment zu schaffen: „Das Tun und Lassen eines Einzelnen hat zwar keinerlei | |
Auswirkungen auf das Klima, ist deshalb aber noch lange nicht | |
bedeutungslos“, schreibt er. Wer seiner Umwelt Liebe und Wertschätzung | |
entgegenbringt, trägt zum Guten auf der Erde bei, lautet die Botschaft, die | |
aus der Feder Franzens seltsamerweise weder kitschig noch esoterisch | |
klingt. | |
31 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Essayband-von-Jonathan-Franzen/!5599685&s=Jonathan+franzen/ | |
[2] https://www.newyorker.com/culture/cultural-comment/what-if-we-stopped-prete… | |
[3] /Archiv-Suche/!5640733&s=charles+eisenstein&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Laura Sophia Jung | |
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