# taz.de -- Klimawandel und Wachstumsparadigma: Die Krise als Katalysator | |
> Die Katastrophe in Australien ist nicht nur ein Hilferuf der Natur. Sie | |
> zeigt, wie nötig die Abkehr von einer wachstumsorientierten Wirtschaft | |
> ist. | |
Bild: Einheimische und Touristen mussten vor den Buschfeuern in Conjala flücht… | |
Im 19. Jahrhundert warfen Ökonomen noch sehnsüchtige Blicke auf ihre | |
Kollegen in der Naturwissenschaft. Gut hundert Jahre später scheinen sie | |
sich den wissenschaftlichen Realitäten nicht mehr zu fügen. Es ist | |
ausnahmslos die Wirtschaft, die einen Großteil der politischen | |
Entscheidungsfindung vorantreibt – nicht die Naturwissenschaft mit ihren | |
evidenzbasierten Modellen und Prognosen. | |
Der Spieß hat sich umgedreht. Und nirgendwo zeigt sich dies so akut wie in | |
[1][Australien]. Buschfeuer wüten im ganzen Land, angeheizt durch die | |
Rekordhitze, und fressen sich durch die ausgetrockneten Hektar Land, | |
trockener als je zuvor nach der schlimmsten Dürre seit Generationen, | |
gefolgt von Unwettern und Überschwemmungen. | |
Trotzdem hält der australische Premierminister Scott Morrison an der Vision | |
fest, dass eine Wirtschaft des Wachstums die einzige Option sei. Er sagte | |
im Fernsehen: „Was wir nicht tun werden, ist, uns auf rücksichtslose und | |
arbeitsplatzvernichtende und wirtschaftsschädigende [grüne] Ziele | |
einzulassen“. Geltend macht Morrison hier, dass die [2][Wirtschaft mehr | |
zähle als die Wissenschaft]. Aber nicht nur irgendeine Wirtschaft. | |
Er hält an einem System fest, in dem der einzige Zweck der Umwelt ist, | |
Input für die Produktion zu liefern, und in dem davon ausgegangen wird, | |
dass Wachstum Vorteile für alle bedeutet. Das positioniert die Wirtschaft | |
an der Spitze der Nahrungskette, von wo aus sie lediglich Krümel an die | |
Gemeinschaft abgibt und Raubbau an der Erde betreibt, anstatt von der | |
Gesellschaft abhängig zu sein und als Teil der Natur zu agieren. | |
## Australien wird die neue Normalität sein | |
Der Glaube, dass die Vormachtstellung der Wirtschaft es rechtfertige, alle | |
anderen Bedenken herunterzuspielen, missachtet unzählige wissenschaftliche | |
Beweise und Warnungen. Er verschließt die Augen vor der Frage, warum ganze | |
Gemeinden aufgefordert werden, an Stränden Schutz vor dem Feuer zu suchen, | |
warum die australische Marine zu ihrer Rettung hinzugezogen werden muss und | |
warum ein Kleinkind eine Medaille zu Ehren seines Feuerwehrmann-Vaters | |
bekam, der zusammen mit zwei anderen getötet wurde, als ein Baum auf ihr | |
Fahrzeug fiel. | |
Was in Australien geschieht, ist beispiellos. Es ist das, wovor | |
Wissenschaftler gewarnt haben. Und es wird die neue Normalität sein. Es ist | |
der lauteste Weckruf, den Mutter Natur der Menschheit hätte senden können. | |
Die Wunden, die wir ihr zugefügt haben, fordern unerbittlich ihren Tribut. | |
Manche Befürworter eines neuen Wirtschaftsmodells sind der Ansicht, dass | |
die Bewegung für eine humanere Wirtschaft gerade im Falle einer „Krise“ mit | |
Ideen und Visionen bereitstehen müsse, denn nur dann würden diese endlich | |
greifen. Diese Haltung erscheint als eine eher privilegierte Perspektive, | |
die ignoriert, dass viele Menschen auf der ganzen Welt bereits seit vielen | |
Jahren unter den Auswirkungen eines Wirtschaftsmodells leiden, das Menschen | |
und Planeten als Produktionsmaterial behandelt. | |
Zugegeben: Ein solch vordergründiger Mangel an Solidarität mag mit | |
Realpolitik einhergehen. Vielleicht erkennt aber gerade diese Perspektive, | |
die auf die Krise als Katalysator setzt, die dem Ganzen zugrunde liegenden | |
Machtungleichgewichte an. | |
## 2020 könnte das Jahr für neue Allianzen werden | |
Und viele derer, die von den australischen Bränden betroffen sind, sind | |
mächtig. Viele sind wohlhabend. Viele sind Menschen, die vom | |
[3][Wachstumsparadigma] profitiert haben: Die Küstenhäuser von Bankern, | |
Ärzten und Bauunternehmern wurden zerstört. Es sind die Leute, die die | |
meisten Mittel haben, um mit der Katastrophe fertig zu werden und ihr Hab | |
und Gut wieder aufzubauen. Aber vielleicht können sie helfen, das Gespräch | |
zu drehen. | |
Denn während Australien weiterhin brennt, müssen wir hoffen, dass das, was | |
die meisten Australier erkannt haben, auch anderswo endlich beachtet wird. | |
Dass dieser monströse Hilferuf des Planeten die Tagesordnung so auf den | |
Kopf stellt, dass die Wirtschaft zu ihrer Ehrfurcht vor der Wissenschaft | |
zurückkehrt. | |
Dass nun, da auch reiche und mächtige Menschen von der Wut der Natur | |
getroffen werden, sie sich an vorderster Front auf der ganzen Welt stark | |
machen, ihre Stimmen erheben und ihr Kapital mobilisieren für den Übergang | |
zu einer Wirtschaft, die den Planeten respektiert und eine sozial gerechte | |
wie gesunde Umwelt in den Vordergrund stellt. | |
2020 könnte das Jahr werden, in dem neue Allianzen zusammenkommen – in der | |
Erkenntnis, dass eine sogenannte Wellbeing Economy, also eine Wirtschaft | |
des Wohlbefindens, gut für alle ist – für die Menschen wie für den | |
Planeten. Glücklicherweise werden viele dafür notwendige Schritte bereits | |
getan. | |
## Das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab ersetzen | |
Aber sie werden so lange vereinzelt bleiben, bis die Institutionen, | |
Finanzströme und Unternehmen so gestaltet sind, dass sie sich regenerieren, | |
anstatt andere auszubeuten. So lange, bis neue Maßstäbe, die näher an dem | |
liegen, was für die Menschen und den Planeten am wichtigsten ist, das | |
Bruttoinlandsprodukt ersetzen. | |
Daraus müssen andere Prioritäten und Entscheidungen folgen, einschließlich | |
einer Verlagerung hin zum präventiven Wirtschaften. Das Steuersystem sollte | |
Aktivitäten belohnen, die sich für eine Wellbeing Economy einsetzen, und | |
diejenigen entmutigen, die dem entgegenstehen. | |
Erstere werden so lange die Ausnahme bleiben, bis die Preise von Gütern und | |
Dienstleistungen die vollen Kosten enthalten – so preisen derzeit noch | |
viele umweltschädliche Formen des Reisens ihre Folgen nicht ein und sind | |
daher für die Verbraucher fälschlicherweise attraktiv. Dann würde auch eine | |
bessere Nutzung der Ressourcen durch gemeinsames Eigentum und Nutzen | |
gefördert. | |
Der Aufbau einer nachhaltigen Wellbeing Economy muss nicht disruptiv sein. | |
Es gibt Wege und Ressourcen, um die Lebensgrundlagen aller zu schützen – | |
und, noch besser, um sicherzustellen, dass diejenigen, die im derzeitigen | |
Wirtschaftsmodell gerade so überleben, zuerst etwas davon haben. | |
21 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Katherine Trebeck | |
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