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# taz.de -- Rassistische Gewalt gegen Kinder: Völlig enthemmt
> Jeden zweiten Tag wird in Deutschland ein Kind rassistisch angegriffen.
> Beratungsstellen gegen rechts sind entsetzt – aber nicht überrascht.
Bild: Alle moralischen Hemmungen hinter sich gelassen: Rechte Angriffe auf Kind…
Hamburg taz | Mindestens an jedem zweiten Tag wird in Deutschland ein Kind
rassistisch angegriffen. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene
rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt hat in den fünf
ostdeutschen Bundesländern und Berlin 250 rassistische Angriffe auf Kinder
und Jugendliche im Jahr 2018 gezählt. Für 2019 liegen noch keine Zahlen
vor, aber allein in den vergangenen Wochen sorgten mehrere derartige
Übergriffe für bundesweite Empörung.
Am 17. Dezember hat ein etwa 70-jähriger Mann in Dresden einen vierjährigen
Jungen angegriffen. Die Mutter, die ein Kopftuch trug, hatte ihren Sohn
gerade aus der Kita abgeholt, als der Mann sie rassistisch bepöbelte und
gegen das Laufrad des Jungen trat, sodass dieser hinfiel. Die Mutter
schaffte es, den fliehenden Mann von hinten zu fotografieren, die Polizei
ermittelt.
Eter Hachmann, die Vorstandsvorsitzende des Dresdener Ausländerrats,
reagierte entsetzt. „Wer ein vierjähriges Kind angreift, hat die letzte
moralische Barriere fallengelassen. Was kommt als Nächstes?“, fragte sie.
Nur drei Tage vorher hatten Maskierte eine Unterkunft für minderjährige
unbegleitete Flüchtlinge in Dresden angegriffen. Mit Knüppeln schlugen sie
sechs Scheiben ein.
## „Immer mehr ungehemmte Vorfälle“
Am 8. Dezember hatten Jugendliche vor einem Supermarkt in Sebnitz,
ebenfalls Sachsen, einem elfjährigen Mädchen das Kopftuch runtergerissen
und auf die Irakerin eingetreten. Nach Angaben der Polizei habe eine
Angreiferin dem Opfer dem Mund zugehalten, ein anderer Angreifer habe
gerufen: „Was wollt ihr hier bei uns, macht zurück in euer Land.“
Für Roman Jeltsch, Sprecher der Hessener Beratungsstelle „response“ für
Betroffene rassistischer Gewalt, zeichnet sich an den Fällen eine
erschreckende Entwicklung ab. „Sicher ist die moralische Schwelle, ein Kind
anzugreifen, hoch“, sagt Jeltsch. „Das passt aber in den größeren Kontext.
Wir beobachten in den letzten Jahren immer mehr ungehemmte Vorfälle.“
In den Angriffssituationen fühlten sich die Täter*innen von der
[1][gesellschaftlichen Stimmung gegen Migrant*innen] gestärkt. „Die
Überfälle auf Kinder zeigen, wie virulent rechte, rassistische und
antisemitische Gewalt ist“, sagt Jeltsch. Bei mehreren Beratungsstellen in
verschiedenen Bundesländern habe es in den letzten Jahren immer wieder
Anfragen für Beratungen speziell für Opfer im Kindes- und Jugendalter
gegeben.
Für Kinder sind gewaltsame Angriffe oft noch traumatischer als für
Erwachsene, weil sie keine Bewältigungsstrategien haben und die Vorfälle
nicht einordnen können. Jeltsch weist aber darauf hin, dass derartige
Zustände ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen und nicht nur die
Betroffenen und ihr direktes Umfeld herausfordern. Die Botschaft – „Du bist
hier nicht erwünscht“ –, die in derartigen Taten stecke, komme auch bei
anderen Geflüchteten und Migrant*innen an und verursache ein Klima der
Angst. Kitas und Schulen stünden vor der Herausforderung, die Kinder zu
schützen, ohne sie zu sehr einzuschränken.
## Offizielle Zahlen weit niedriger
Obwohl das [2][gesellschaftliche Klima in Sachsen] schon länger stark
rassistisch aufgeladen sei, habe sie das Ausmaß an rassistischer Gewalt
gegen Kinder in einem so kurzen Zeitraum schockiert, sagt Franziska Jaster,
die sächsische Landeskoordinatorin des Bundesverbands für minderjährige
unbegleitete Flüchtlinge. „Da muss die neue Regierung jetzt aktiv werden“,
fordert sie. „Projekte, die sich diesem Klima entgegenstellen und
politische Bildungsarbeit leisten, müssen viel stärker gefördert werden.“
Unabhängige Beratungsstellen haben im Jahr 2018 einen Anstieg rassistischer
Gewalt um 7,25 Prozent auf 1.495 Angriffe festgestellt. Allerdings sind nur
sechs Bundesländer – die Ostländer und Berlin – überhaupt im Monitoring.
Dass die Beratungsstellen der anderen Bundesländer die Zahlen nicht
erfassen, liegt an ihrer schlechten finanziellen und personellen
Ausstattung.
Erst seit im Jahr 2015 eine neue Welle der Gewalt gegen Geflüchtete in ganz
Deutschland aufkam, etablierten sich unabhängige Beratungsstrukturen in den
westlichen Bundesländern. Die meisten geben lediglich eine qualitative
Lagebewertung ab, da die statistische Auswertung viele Ressourcen
erfordert.
Das [3][Bundesinnenministerium] erhebt regelmäßig eine bundesweite Zahl
rechtsmotivierter Gewaltdelikte. Allerdings bildet sie nur die Taten ab,
bei denen das Opfer Anzeige erstattete. Obwohl sie Fälle aus ganz
Deutschland berücksichtigt, liegt diese offizielle Statistik mit 1.156
Fällen deutlich unter der von den Beratungsstellen erhobene Zahl von 1.495
Angriffen, die allein in den Ostbundesländern und Berlin erfasst wurden.
30 Dec 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Rechtsradikalismus
Opfer rechter Gewalt
Kinder
Jugendliche
Rechtsruck
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CDU
Schwerpunkt Rassismus
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