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# taz.de -- Bildungsgerechtigkeit in Brasilien: Wider die Unterdrückung
> Jair Bolsonaro zieht über den Pädagogen Paulo Freire her. Bolsonaro ist
> nicht der Erste, der sich Freire als Feindbild ausgesucht hat.
Bild: Demonstranten protestieren gegen die Sparpolitik der Regierung Bolsonaros…
Als Jair Bolsonaro am Montag über den bekannten brasilianischen Pädagogen
[1][Paulo Freire] herzog, wusste er wohl nicht, was das nach sich ziehen
würde. Bolsonaro nannte Freire ignorant und besessen, zog eine Verbindung
zwischen dem Denker und [2][der brasilianischen Bildungspolitik]. Den
Pädagogen, der übrigens schon 1997 verstorben ist, hätte das vermutlich
kaum beeindruckt.
Paulo Freire erlangte in den 1960ern nationale Aufmerksamkeit. Damals
gelang es ihm, 300 erwachsenen Analphabeten innerhalb von 45 Tagen das
Lesen beizubringen. Daraufhin leitete Freire mit Unterstützung der
Regierung eine nationale Alphabetisierungskampagne. Weil kurz darauf die
brasilianische Militärdiktatur begann, konnte er die Arbeit nicht
vertiefen. Freire erhielt Hausarrest, wurde festgenommen und floh ins Exil.
Seine Ideen aber blieben: Freires Werke wurden in über 20 Sprachen
übersetzt, 28 Universitäten haben ihn zum Ehrendoktor ernannt. Mit seinem
Denken beeinflusste er das Black Consciousness Movement. Sein Hauptwerk
„Pädagogik der Unterdrückten“ zählt [3][zu den meist zitierten
sozialwissenschaftlichen Werken] der Welt – noch vor Marx. Die Unterzeile:
Bildung als Praxis der Freiheit.
Freire nennt das damals herrschende Bildungssystem darin Bankiers-Methode.
Lehrende, so Freire, füllen Köpfe der Lernenden nach kapitalistischer Logik
wie eine Geldanlage. „Je vollständiger er die Behälter füllt, ein desto
besserer Lehrer ist er“, schreibt er. „Je williger die Behälter es
zulassen, dass sie gefüllt werden, um so bessere Schüler sind sie.“
## Die Welt lesen lernen
Er selbst wollte durch Bildung kritische Menschen heranziehen, sie zum
Fragen und Hinterfragen ermächtigen. Alphabetisierung hieß für ihn nicht
allein das Erlernen des Alphabets, es bedeute sich der gesellschaftlichen
Strukturen bewusst zu werden – und für Marginalisierte, die eigene
Unterdrückung zu verstehen. „Ler o mundo“, pflegte Paulo Freire zu sagen:
Die Welt lesen lernen.
Wieso es so wichtig ist, das zu lernen? Weil Bildung sonst zu einem
Instrument der Unterdrückung wird. Vor ungefähr 30 Jahren erklärte er das
übrigens schon im Gespräch mit der taz: „Erziehung dient immer einem
bestimmten politischen Traum, einer etablierten Macht, einer bestimmten
Gruppierung von Klasseninteressen“.
Auch wegen dieser Klarheit war er Reaktionären schon immer ein Dorn im
Auge. In den 1960ern der katholischen Kirche, in den 70ern und 80ern den
Militärs. Und spätestens seit dem neuen Jahrtausend der erstarkenden
Rechten. Auf Bildern von [4][Demonstrationen] gegen die linke
Präsidentin Dilma Roussef aus 2015 ist ein Schild mit der Aufschrift zu
sehen: „Genug marxistische Indoktrination, genug Paulo Freire“.
Jair Bolsonaro ist mit seinen Angriffen auf Freire also in passender
Gesellschaft. Für den rechtsextremen Präsidenten, der für die
brasilianische Bildungspolitik übrigens [5][die eigentliche Katastrophe]
ist, ist die Aktion ziemlich nach hinten losgegangen: Nach seinen Ausfällen
reagierte der brasilianische Senat kurzerhand und beschloss, am kommenden
Todestag des Pädagogen dessen Schaffen zu ehren.
20 Dec 2019
## LINKS
[1] /Brasilianischer-Paedagoge-Paulo-Freire/!5158988
[2] /Grossdemos-fuer-Bildung-in-Brasilien/!5593000
[3] https://xn--blogs-4ha.xn--lse-gfa.ac.uk/%C2%ADim%C2%ADpac%C2%ADtofsoci%C2%A…
[4] /Anti-Regierungs-Proteste-in-Brasilien/!5261385
[5] /Brasilien-kuerzt-im-Bildungswesen/!5599422
## AUTOREN
Simon Sales Prado
## TAGS
Bildungschancen
Jair Bolsonaro
Brasilien
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