| # taz.de -- Libyen-Direktor der IOM über Flüchtlinge: „84 Prozent kommen zu… | |
| > Anfang des Jahres eskalierte in Libyen der Bürgerkrieg. Federico Soda von | |
| > der IOM erklärt, warum viele Geflüchtete trotzdem im Land bleiben. | |
| Bild: Gekommen, um zu bleiben? Afrikanische Migranten in einem Lager in Tajoura… | |
| taz: Migranten in Libyen werden nicht in Flüchtlingsheimen versorgt, | |
| [1][sondern in sogenannte Internierungslager gesperrt]. Wie war es für Sie, | |
| so ein Lager zu betreten? | |
| Federico Soda: Gruselig. Das erste Lager, das ich besucht habe, wurde von | |
| Milizionären kontrolliert. Sie hatten Gewehre, trugen Sturmhauben und | |
| kugelsichere Westen. Ich hatte Personenschützer und fühlte mich trotzdem | |
| nicht sicher. Für Migranten muss es dort einfach nur grauenerregend sein. | |
| Einige Lager sind unterirdisch, haben keine Fenster, kein fließendes | |
| Wasser, keine Toiletten. Männer und Frauen schlafen in denselben Räumen. | |
| Diese Zustände sind Teil eines Geschäftsmodells. Milizionäre erpressen mit | |
| dem Leid der Insassen Lösegeld von deren Familien. Welches Ausmaß hat | |
| dieses Geschäft? | |
| Die Zahl der Menschen in den Lagern umfasste zuletzt recht stabil 5.000 | |
| Personen. Ich vermute, das Geschäftsmodell basiert auf dieser | |
| Größenordnung. Damit verdienen die bewaffneten Gruppen genug Geld, um trotz | |
| fehlender anderer Einnahmequellen nicht gegen die Regierung aufzubegehren. | |
| Berichte über den Missbrauch haben sich auf der ganzen Welt verbreitet. | |
| Zugleich endet die Flucht übers Mittelmeer oft tödlich. Und trotzdem ist | |
| die Zahl der Migranten in Libyen weiterhin hoch. Wie kann das sein? | |
| Im Land leben rund 650.000 Migrantinnen und Migranten. Und ja, die Zahl ist | |
| über die vergangenen Jahre stabil geblieben. Ich will den Missbrauch und | |
| die Folter nicht kleinreden. Doch es gibt noch eine andere Facette, eine | |
| wichtige, unerzählte Geschichte. Einige behaupten, dass jene Menschen nur | |
| auf ihre Chance warteten, in ein Boot nach Europa zu steigen. Das stimmt | |
| nicht. | |
| 75 Prozent der Migranten stammen aus den Ländern Tschad, Niger, Ägypten, | |
| Sudan und Nigeria. Diese Zusammensetzung deckt sich nicht mit den Ankünften | |
| in Italien. Für die meisten Migranten ist Libyen das Zielland – aus gutem | |
| Grund. Wir haben dort 13.000 Zuwanderer befragt: 84 Prozent sagten, dass | |
| sie zum Arbeiten nach Libyen gekommen sind, nicht für den Transit nach | |
| Europa. 80 Prozent konnten auch einen Job nachweisen. | |
| Diese Jobs sind oft besser als in ihrer Heimat. Libyen ist eine auf | |
| Energieproduktion basierende Wirtschaft mit einer sehr kleinen Bevölkerung | |
| – ein wenig vergleichbar mit den Golf-Staaten. Die Wirtschaft braucht diese | |
| Menschen. | |
| Wie wirkt sich der Bürgerkrieg auf die Situation der Migranten aus? | |
| Man hört in Tripolis jeden Tag Explosionen. [2][Im Internierungslager in | |
| Tajoura bei Tripolis starben im Juli 53 Migranten]. Tote gab es auch, als | |
| im November eine Keks-Fabrik getroffen wurde, in der Migranten aus | |
| Bangladesch ihren Dienst verrichteten. | |
| Macht es für Zuwanderer einen Unterschied, wer sich im Bürgerkrieg | |
| durchsetzt, General Chalifa Haftar oder die Regierung in Tripolis? | |
| Sobald auf dem einen oder anderen Weg mehr Stabilität einkehrt, wird die | |
| Zahl der Migranten sprunghaft steigen. Derzeit leben in Libyen nur halb so | |
| viele Zuwanderer wie vor der Revolution 2011. Verbessert sich die Lage, | |
| gehe ich davon aus, dass schnell mehr als eine Million Migranten wieder in | |
| Libyen arbeiten werden. | |
| Welche Rolle sollte Europa vor diesem Hintergrund spielen? | |
| Im Norden Afrikas sollte Europa die länderübergreifende Migrationssteuerung | |
| stärken und die Staaten dabei unterstützen, ihre Migrationspolitik | |
| effizienter zu gestalten. Europa muss aber auch selbst legale Wege für | |
| Migration eröffnen – für Flüchtlinge, für Saisonkräfte und für | |
| Arbeitssuchende, die bleiben wollen. Europa braucht einen Realitätscheck | |
| mit Blick auf die eigene demografische Entwicklung und die eigenen | |
| Erfordernisse des Arbeitsmarktes. | |
| 16 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Issio Ehrich | |
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