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# taz.de -- Ackergift schädigt Embryonen: EU verbietet hochgiftiges Pestizid
> Die EU-Staaten stimmen dafür, das Insektengift Chlorpyrifos vom Markt zu
> nehmen. Es war jahrzehntelang wegen irreführender Herstellerangaben
> zugelassen.
Bild: Mit Chlorpyrifos behandelte Mandarinen können giftig sein
Berlin taz | Die EU verbietet den Pestizidwirkstoff Chlorpyrifos, der
Embryonen schädigt und aufgrund irreführender Herstellerangaben zugelassen
wurde. Die Mitgliedstaaten hätten sich bei einer Sitzung am Freitag mit der
nötigen Mehrheit dafür ausgesprochen, auch die Zulassung der
Schwestersubstanz Chlorpyrifos-Methyl nicht zu verlängern, teilte die
Europäische Kommission mit. Die aktuelle Erlaubnis endet im Januar 2020.
Die EU-Länder könnten dann nur noch „eine kurze Übergangsfrist“ von
höchstens drei Monaten einräumen, erklärte die Kommission. „Danach dürfen
solche Pflanzenschutzmittel in der EU nicht mehr auf den Markt gebracht
oder benutzt werden.“
Die Kommission begründete die Verbote mit einem Gutachten der EU-Behörde
für Lebensmittelsicherheit (Efsa) von Anfang August. Darin hieß es, dass
Chlorpyrifos [1][Embryonen schaden könne] und nicht zugelassen sein dürfte.
In einem Versuch im Auftrag des Herstellers Dow von 1998 seien die
Kleinhirne von Ratten kleiner gewesen, deren Eltern das Insektengift
gefressen hatten. Die spanischen Behörden, die das Mittel ab 1999 für die
EU überprüft hatten, sahen aber kein Problem. Deshalb erteilte die EU 2005
eine Genehmigung für den Wirkstoff und verlängerte diese dreimal bis
aktuell Januar 2020.
Wie immer bei solchen Verfahren in Europa, den USA oder Kanada beriefen
sich die spanischen Regierungsexperten vor allem auf Studien, die
Hersteller des Pestizids in Auftrag gegeben und für die Behörden
zusammengefasst hatten.
## Unliebsame Ergebnisse weggelassen
Offenbar hatte sich die Behörde nur auf den Ergebnisbericht des Herstellers
verlassen. Wissenschaftler um den Chemiker Axel Mie von der schwedischen
Medizin-Universität Karolinska-Institut dagegen werteten die Rohdaten, also
zum Beispiel die Gehirngewichte, selbst aus. Im vergangenen Jahr
veröffentlichten sie ihr Fazit: Die Kleinhirne von Jungratten waren
kleiner, selbst wenn ihre Mütter nur sehr geringen Chlorpyrifos-Mengen
ausgesetzt waren.
Dies habe die Versuchszusammenfassung schlichtweg nicht erwähnt,
berichteten die Forscher in der Fachzeitschrift Environmental Health. Der
Hersteller habe [2][„irreführende“ Angaben] gemacht. Die spanische Behörde
hat das nicht gemerkt. Das zuständige Gesundheitsministerium in Madrid
antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf die Frage der taz, welche
Konsequenzen es aus dem Fall zieht.
Der US-Agrarchemiekonzern Corteva, in dem der Chlorpyrifos-Hersteller Dow
nach einer Fusion aufgegangen ist, bedauerte die Entscheidung der EU in
einer Stellungnahme für die taz. Er kritisierte, die Einschätzungen der
EU-Lebensmittelbehörde „stimmen nicht mit den Schlussfolgerungen anderer
wichtiger Regulierungsbehörden überein“. Das Unternehmen ergänzte: „Kein
Wirkstoff wurde gründlicher erforscht als Chlorpyrifos.“ Genau jenes
Argument hatten Verteidiger des Unkrautvernichters Glyphosat für ihr
Produkt benutzt – was die Frage aufwirft, welches Pestizid denn nun
wirklich am besten geprüft wurde.
„Wir begrüßen die Entscheidung der EU-Kommission sehr“, teilte Martin
Häusling mit, Koordinator der Grünen im Agrarausschuss des EU-Parlaments.
Allerdings komme das Verbot „15 Jahre zu spät“. „Chlorpyrifos hätte nie…
zugelassen werden dürfen“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Harald
Ebner. Die spanische Behörde habe die Studien-Zusammenfassung kritiklos
übernommen.
## Grüne fordern Reform der Pestizidzulassung
Ebner verlangte, das Zulassungssystem zu reformieren. „Es kann nicht sein,
dass der Hersteller selbst das Studiendesign erarbeitet, dann bestimmt, wer
die Studie durchführt und schließlich auch noch selbst deren Ergebnis
interpretiert und als direkte Textvorlage für den Behördenbericht
übermittelt“, so der Grüne. „Es müsste eine unabhängige Stelle geben, d…
die Studien vergibt, finanziert über Gebühren.“
Der Grüne forderte, dass Deutschland sich nun auch „für ein weltweites Ende
des gefährlichen Nervengifts“ einsetzt. „Chlorpyrifos gehört schleunigst
auf die,POP-Liste' der Stockholm Convention mit weltweit geächteten
Chemikalien.“ Die Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass die EU
Chlorpyrifos als Kandidat für die POP-Liste vorschlägt. Das Nervengift sei
sogar schon im arktischen Eis nachgewiesen worden, weitab aller
Einsatzorte. „Das belegt, dass Chlorpyrifos sich langfristig in der Umwelt
anreichert.“ Bundesagrarministerin Julia Klöckner hatte sich nach
monatelangem Zögern hinter ein Verbot der beiden Pestizidwirkstoffe
gestellt.
In Deutschland darf Chlorpyrifos anders als in [3][Spanien, Polen und 18
weiteren EU-Ländern] seit 2015 nicht mehr gespritzt werden. Laut Bundesamt
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurde es aber
beispielsweise 2017 vor allem in importierten [4][Orangen, Mandarinen sowie
Grapefruits] gefunden. Treffer gab es auch bei Äpfeln, Spargel und
Tafelweintrauben. Seit den 1960er Jahren töten Bauern in vielen Staaten mit
dem Wirkstoff Schildläuse, Raupen oder andere Schädlinge.
6 Dec 2019
## LINKS
[1] https://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/pub/5809
[2] https://ehjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12940-018-0421-y
[3] https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/public/?e…
[4] https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/01_Lebensmittel/nbpsm/07_nbpsm…
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
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