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# taz.de -- Ökobilanzen-Experte über Transparenz: „Wir zeigen, dass es geht…
> Ein Gesetz soll Kinderarbeit verhindern. Es gibt aber für Unternehmen
> viel mehr Gründe, die Lieferkette transparent zu machen, sagt Klaus
> Wiesen.
Bild: Wo kommen die Teile her? Produktion des E-Golf in Dresden
taz: Herr Wiesen, die Bundesregierung plant ein Lieferkettengesetz. Große
Wirtschaftsverbände regen sich darüber auf. Wieso ist es so schwierig,
Lieferketten transparent zu bekommen?
Klaus Wiesen: Ein Unternehmen hat heute keine Lieferkette mit zwanzig
Lieferanten, sondern mit mehreren Hundert oder sogar einigen Tausend. Und
die meisten können gar nicht sagen, wer ihren Lieferanten beliefert – oder
noch schlimmer: nicht einmal sagen, wo der Direktlieferant jetzt wirklich
produziert. Je tiefer ich in die Lieferkette hineingehe, desto schwieriger
und unübersichtlicher wird es. Die Unternehmen haben diese Daten also
selbst nicht, haben sie vermutlich auch gar nicht angefragt. Wenn sie
Transparenz über ihre Nachhaltigkeitsrisiken herstellen wollen, müssen alle
in der Lieferkette mitarbeiten.
Sie sprechen von Nachhaltigkeitsrisiken. Es geht für die Unternehmen also
nicht nur darum, nachzuweisen, dass sie ihrer menschenrechtlichen
Verantwortung nachkommen?
Menschenrechtliche Verantwortung ist derzeit ein wichtiger Treiber für ein
Lieferkettengesetz. Und die Einhaltung von Arbeitsstandards gehört generell
zum nachhaltigen Wirtschaften dazu. Aber allein mit dem Nachweis „keine
Kinderarbeit“ kann ein Unternehmen im Wettbewerb nicht punkten.
Kinderarbeitsfrei produzieren wollen ja alle.
Um was geht es sonst noch?
Die Welt – und vor allem die Investoren – verlangen zunehmend nachhaltiges
Produzieren. Und das bringt auch die Unternehmen nach und nach zu einem
Systemwechsel, weg vom: „Ich muss es gar nicht so genau wissen.“
Wo zum Beispiel?
In der Autoindustrie heißt es heute wegen der Wende zur E-Mobilität nicht
mehr: Wie viel verbraucht das Auto? Sondern: Wie nachhaltig wurde die
Batterie hergestellt? Wie nachhaltig ist der Motor, wie öko der Fahrstrom?
Die Autoindustrie hat diesen Weg als zentrale Lösung im Zusammenhang mit
den Klimazielen dargestellt. Sollte sich jetzt herausstellen, dass
Elektroautos nicht sozial- und ökologisch verträglich herzustellen sind,
ist das für die Autohersteller ein Super-GAU. Sie müssen sich also richtig
Mühe geben, können aber keine belastbare Ökobilanz machen, wenn sie nicht
die Fakten aller Akteure aus der Lieferkette haben.
Mit Ihrem „Sustainabill-Team“ stellen Sie eine Plattform bereit, über die
Unternehmen ihre Lieferanten und Vorlieferanten anfragen und auf der dann
alle ihre Daten miteinander teilen können. Wo sind die Schwierigkeiten in
diesem Prozess?
Lieferanten sind es zwar zu einem gewissen Maße gewohnt, dem Kunden
Auskunft über die eigene Geschäftstätigkeit zu geben. Um Transparenz zu
schaffen und Nachhaltigkeit entlang der Lieferkette bewerten zu können,
bedarf es aber auch anderer Daten, als die Lieferanten schon gewohnt sind
zu teilen. Dabei kann es sein, dass ihnen diese Daten selbst nicht
vorliegen, eben weil sie bis dahin nicht abgefragt wurden. In einigen
Fällen wollen Lieferanten diese Daten aber auch nicht teilen.
Kann man dann davon ausgehen, dass sie etwas zu verbergen haben?
Wenn Lieferanten Daten nicht teilen wollen, kann das unterschiedlichste
Gründe haben. Kulturelles Unverständnis, mangelndes Vertrauen und manchmal
auch die Angst, dass sie den Ansprüchen des Kunden an Nachhaltigkeit nicht
gerecht werden können. Am wichtigsten wäre aber, dass Lieferanten einen
Vorteil darin sehen, die Daten zu teilen. Das anfragende Unternehmen, muss
einen nachvollziehbaren Grund angeben können, warum die Daten wichtig sind
– eigene Nachhaltigkeitsziele zum Beispiel. Für den Lieferanten muss
nachvollziehbar sein, dass es hier um die langfristige Zusammenarbeit geht
und man gemeinsam mit dem Thema auf dem Markt erfolgreich sein möchte.
Oftmals bieten Unternehmen auch an, zusammen mit dem Lieferanten Probleme
anzugehen, wenn welche identifiziert werden. Wenn auf diese Weise
Missstände behoben werden, gewinnen am Ende alle Akteure in der
Lieferkette.
Woran hakt es dann bei der konkreten Umsetzung?
Viele Unternehmen haben keine Position, die das Thema Nachhaltigkeit
ernsthaft vorantreiben. Der Einkauf denkt in ökonomischen Kategorien. In
einer CSR-Abteilung (Corporate Social Responsibility oder Unternehmerische
Gesellschaftsverantwortung) geht es meist um Maßnahmen im Unternehmen,
nicht in der Lieferkette. Oft arbeiten dort Personen, die ursprünglich aus
anderen Bereichen kommen, ihnen fehlt das Wissen über nachhaltiges
Produzieren. Das ändert sich erst langsam.
Wie lässt sich das Problem des mangelnden Vertrauens lösen?
Kommunikation ist entscheidend. Für Lieferanten ist wichtig, dass die Daten
nur innerhalb der Lieferkette transparent sind, dass jedes Unternehmen die
volle Kontrolle über seine Daten hat. Und wenn es anfangs nur ganz wenige
Informationen sind, die sie teilen wollen, ist das ein guter Anfang. Da
hilft dann ja auch die Technik.
Inwiefern?
Wenn ein Lieferant nicht bereit ist, Geschäftsdaten zu teilen, aber
vielleicht seinen Standort preisgibt, lassen sich damit schon Risiken
highlighten. Und Risiken besser zu verstehen, ist für viele Unternehmen
noch wichtiger als die Frage der Nachhaltigkeit – wobei beides eng
zusammengehört. Eine Farm zum Beispiel: Wenn ich weiß, dass sie in einem
bestimmten Gebiet liegt, kann ich mithilfe von Geoinformationen sehen, ob
sich da Wald verringert, ob es dort nur Monokulturen gibt. Dorthin können
die Unternehmen dann Auditoren schicken, was für die gesamte Lieferkette
nicht leistbar wäre. Und mit künstlicher Intelligenz wird künftig noch viel
mehr möglich sein – etwa wahrzunehmen, wenn es über Social Media Hinweise
auf Kinderarbeit gibt. Oder zu erkennen, ob der Energieverbrauch eines
Unternehmens mit dem angeblichen Produktionsvolumen kompatibel ist.
Was nützt es, wenn die Unternehmen in der Lieferkette zwar die
Informationen haben, sie aber der Öffentlichkeit vorenthalten?
Bislang ist das ein Problem, dass die Unternehmen selbst die Daten gar
nicht haben und sich dann viel zu oft genau dahinter verstecken. Nun können
wir zeigen: Doch, Lieferketten sind nachvollziehbar, können transparent
gemacht werden. Das zeigen Unternehmen, die vorangehen – und es gibt
welche, die das tun. Für die Politik, den Gesetzgeber ist das wichtig, wenn
es um die Frage von Regulierung geht.
Welche Art von Regulierung wäre nötig?
Ein Lieferkettengesetz, wie es jetzt in Aussicht steht, würde schon sehr
helfen. Es müsste allerdings in die Tiefe gehen und nicht beim ersten oder
zweiten Glied der Ketten stehenbleiben. Es müsste Wettbewerb erlauben,
damit diejenigen, sie sich mehr Mühe geben und strengere Regeln einhalten,
auch etwas davon haben. Umgekehrt müsste es bei Verstößen auch Sanktionen
bereithalten. Abgesehen von diesem Gesetz würde es auch helfen, CO2-Preise
auf Waren zu verlangen und dabei die Emissionen der Lieferkette zu
berücksichtigen, wie es die EU im Green New Deal mit der CO2
-Grenzausgleichssteuer fordert.
28 Jan 2020
## AUTOREN
Beate Willms
## TAGS
Lieferketten
Kinderarbeit
Transparenz
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