# taz.de -- Herbie Hancock in Berlin: Guru mit Weltraum-Flöte | |
> Einer der letzten Jazz-Götter, der US-Musiker Herbie Hancock, spielte in | |
> der Philharmonie. Der Abend war zugleich Party und Labor für | |
> Klangforschung. | |
Bild: „Habt keine Angst! Niemals!“: Hohepriester Hancock spricht zu seinen … | |
Es wirkte, als stehe der Dalai Lama auf der Bühne. Und nicht ein Musiker. | |
Herbie Hancock, als einziger seiner Band ganz in Schwarz, das Hemd | |
geschnitten wie eine Robe, erschien und grüßte ganz päpstlich erst einmal | |
sehr lange nach allen Seiten die Menge. | |
Das passte gleich aus zwei Gründen. [1][Manch einer verehrt diesen | |
Pianisten und Keyboarder wie einen Guru]. Und er selbst, seit über 40 | |
Jahren Buddhist, spendete später Weisheiten wie „Habt keine Angst! | |
Niemals!“ Mit dem Satz hatte er zuerst nur seinen Bassisten James Genus | |
gemeint, weil der sich so furchtlos in jeden Song stürze. Aber dann fiel | |
Hancock auf, dass das ja immer gelte, nicht nur in der Musik, auch „in | |
life!“ | |
Der große Herbie Hancock war also in Berlin. Zum Abschluss einer | |
ausgedehnten Deutschland-Tour spielte er am Montagabend im ausverkauften | |
großen Saal der Philharmonie – vor 2.250 Gästen. Der 79-Jährige gilt als | |
einer der letzten lebenden Jazzgötter, unter anderem, weil er noch mit | |
Miles Davis gespielt hat. Hancocks erstes Album, „Takin’ Off“, erschien | |
1962 und enthielt seinen Hit „Watermelon Man“. Aber eigentlich klang der | |
Pianist da noch wie der kleine Bruder von Horace Silver. Seinen eigenen | |
Sound fand er ab 1973, mit der Platte „Headhunters“, mit Jazzrock und | |
Fusion, stets von etlichen Keyboards und Synthesizern umgeben. | |
Solche Musik, die nicht immer Spaß machen will, gab es auch am Montag in | |
Berlin zu hören. Man darf davon ausgehen, dass der Meister seinen Sound | |
genau so wollte: Sehr laut, das Schlagzeug des jungen Justin Tyson | |
knallhart und spitz abgemischt, bis es wehtut. Hancock spielt wie immer | |
einen Fazioli-Flügel, der ebenfalls scharf und streng klingt, ohne jede | |
gefällige Wärme. | |
## Sounds wie aus „Blade Runner“ | |
Aber zu Beginn des Abends geht er erst ans Keyboard und spielt ein paar | |
Minuten einen weichen Space-Pad-Sound, der nach dem Score des 80er-Films | |
„Blade Runner“ klingt. Da war – wie auch später oft in diesem Konzert – | |
alles eine Spielerei, da basteln ein paar große Jungs an ihren Geräten | |
herum, und wir sollen zuhören. Irgendwann mischt sich endlich Lionel Loueke | |
in die Klangsuppe ein, er darf das erste Solo spielen. Mit seinem | |
faszinierenden Stil wird der Gitarrist und Sänger aus Benin der heimliche | |
Star des Abends werden. | |
Allerdings spielt auch Hancock zwei unbekannte Nummern – vielleicht ein | |
Vorgeschmack auf sein neues Album, das bald fertig sein soll. Mag sein, | |
dass Hancock in all den Jahren, die Fans darauf warten, auf der Suche | |
danach ist, was Jazz und Fusion heute bedeuten können. | |
Während der US-Jazzpianist Keith Jarrett mit der kürzlich erschienenen | |
Konzertaufnahme „Munich“ gerade ganz herkömmlich den vergrübelten | |
Tastenvirtuosen gibt, will Hancock das Gegenteil. Er zeigt dem Publikum | |
fast nichts von seinen Weltklasse-Fähigkeiten, stellt immer die anderen aus | |
dem Quartett in den Vordergrund – oder das klangliche Experiment. [2][Durch | |
den Vocoder] singt er eine Art A-cappella: „I thought it was you“ – noch | |
roboterhafter als sein Original von 1978. Beim Spielen schraubt er am | |
Sound. Genus benutzt eine Loop-Station, sampelt sich selbst. Loueke lässt | |
die Gitarre wie eine Weltraum-Flöte klingen. Hier wird der Patient Jazz | |
live auf der Bühne operiert. | |
## Das Wunder kluger Musik | |
Das alles ist so aufregend wie anstrengend. Und dann knallt es plötzlich in | |
den tieferen Lagen des Flügels, und sie spielen „Cantaloupe Island“, direkt | |
danach noch so einen Klassiker, die Funk-Nummer „Chameleon“. Dazu studiert | |
Hancock mit dem Publikum einen fünfstimmigen Chor ein. Er spielt am | |
Umhängekeyboard etwas vor, die verschiedenen Blöcke des Saals singen brav | |
ihre Stimme. | |
Am Ende also echte Groove-Musik. Hancock soliert in Quarten und | |
Halbtonschritten, eben so, dass er sich gerade nicht dem Klischee des Blues | |
hingibt. Einfach nur Nicken und „Yeah“ schreien, das will er nicht | |
gestatten, und doch steckt der Sound voller Kraft – das Wunder wirklich | |
kluger Musik. Das Publikum springt auf, die meisten tanzen. | |
Alles schön und gut. Aber jetzt bitte Schluss mit der niemals endenden | |
Welttournee, nun bitte das Album, auf das alle warten. Die Chancen stehen | |
gut: Mit dem Berlin-Konzert macht Hancock Pause, er wird erst in vier | |
Monaten wieder spielen, dann in seiner Wahlheimat Los Angeles. | |
3 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Lindemann | |
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