# taz.de -- Drummer und Pianist Jack DeJohnette: „Du spielst schließlich fü… | |
> Jack DeJohnette spielte mit Alice Coltrane und Miles Davis. Er findet, | |
> viele junge Jazzmusiker wüssten nicht, wie man Verbindung zum Publikum | |
> aufnimmt. | |
Bild: „Erzeuge Magnetismus, eine Verbundenheit mit dem Publikum!“, sagt Joh… | |
taz: Jack DeJohnette, kennen Sie den Spielfilm „Miles Ahead“ von Don | |
Cheadle? Er verwendet Musik, die Sie mit Miles Davis aufgenommen haben. | |
Jack DeJohnette: Den werde ich mir ganz bestimmt nicht antun. | |
Warum nicht? | |
Weil er nur ein einseitiges, düsteres Bild von Miles zeigt und ausblendet, | |
dass er ein großartiger Künstler gewesen ist. Jazzmusiker als | |
Drogenabhängige darzustellen, ist doch ein alter Hut. Für mich hat bisher | |
nur Milos Forman das musikalische Genie von Mozart mit „Amadeus“ adäquat | |
abgebildet. Da kam ich aus dem Kino und habe Mozarts Melodien gesummt. | |
„Miles Ahead“ vermittelt dagegen keinerlei Eindruck davon, weshalb Miles | |
Davis zur treibenden Kraft des Jazz wurde, warum er bei den Hörern so | |
beliebt war und im Kollegenkreis so respektiert wurde. Seine Musik, seine | |
Kreativität inspirieren uns noch heute. | |
Als Sie Ende der 50er begannen, Schlagzeug zu spielen, herrschte im Jazz | |
Aufbruchstimmung. Bedeutende Impulse kamen dabei aus Ihrer Heimatstadt | |
Chicago. Was hat sich davon bewahrt? | |
Im Chicago der Sechziger wurde das Schlagzeug von seiner angestammten Rolle | |
als Taktgeber befreit. Und genauso entdeckten Jazzmusiker auch neue | |
Möglichkeiten bei anderen Instrumenten. Meine Kollegen, der Pianist Muhal | |
Richard Abrams und die Saxofonisten Roscoe Mitchell und Joseph Jarman, um | |
nur einige zu nennen, erweiterten seine Spielformen. Abrams und Mitchell | |
brachten Komposition und Improvisation, Solo- und Gruppenimprovisation auf | |
eine höhere Ebene. Ich habe mit ihnen zusammengespielt, sowohl in kleinen | |
Combos als auch in großen Ensembles, die experimentierten. | |
Ich habe Chicago bereits 1964 verlassen, im Jahr darauf gründete Abrams die | |
Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM). Aber wir | |
blieben immer in Kontakt. Zum 50-jährigen Bestehen der AACM beim Chicago | |
Jazz Festival 2015 habe ich wieder mit ihnen gespielt. | |
Ihr Schlagzeugspiel wird oft als multidimensional beschrieben. Ihr Ansatz | |
sei orchestral, ja architektonisch. Wie urteilen Sie selbst? | |
Ich bin ein Farbenkünstler. Ich trommle wie ein Maler, der Pastelle, Öl- | |
und Wasserfarben aufträgt. Weil ich auch Klavier spiele, höre ich beim | |
Drummen immer Harmonien, Melodien und Rhythmen. Menschen in der westlichen | |
Welt hören Drums nicht als melodisches Instrument, sondern als Begleitung. | |
Ich spiele aber damit Melodien, gleichzeitig interagiere ich mit den | |
anderen Musikern. Es ist ein Dialog, der innerhalb von Nanosekunden vor | |
sich geht. Dafür muss ich sehr konzentriert sein. Das liebe ich sehr. Meine | |
Leidenschaft für Musik gilt den Menschen, mit denen ich spiele, und der | |
Art, wie sie ihre Geschichten erzählen. | |
Verraten Sie mir bitte Details über Ihr Drumset? | |
Ich benutze sechs Trommeln mit Durchmessern zwischen 20 und 40 Zentimeter. | |
Die beiden kleinen sind auf Bongo-Register eingestellt, sodass der Sound | |
direkt herausspringt, wenn ich sie anschlage. Die anderen vier Trommeln | |
habe ich meist im Abstand von zwei Tonstufen gestimmt. Ich stimme die | |
Trommeln neutral, so kann ich in unterschiedlichen Stilen arbeiten, sei es | |
im Pop, Reggae, Jazz oder in offenen Formen. Mein Beckensound ist eher | |
dezent, er überdeckt nie den Bandsound, insgesamt klingen die Drums also | |
klar und nicht verwaschen. | |
Sie haben indianische Vorfahren. Anfang der 90er Jahre trafen Sie | |
Grandmother Twyla Nitsch, eine Seneca, in einem Reservat im Bundesstaat New | |
York. Diese Begegnung war für Sie auch Anlass, sich musikalisch mit Ihrem | |
indigenen Erbe auseinanderzusetzen. | |
Ja, Grandma Twy hat „Music for the Fifth World“ inspiriert, eines meiner | |
Lieblingsalben. Darauf ist der Song „Miles“, den ich für Miles Davis | |
komponiert habe. Den nahm ich mit indianischen Sängern auf. Ein anderer | |
Song ist von dem Saxofonisten Jim Pepper, der auch Native-American war und | |
1992 starb, „Witchi-Tai-To“ habe ich gesungen. Twyla Nitschs Lehrbuch | |
„Other Council Fires Were Here Before Ours“ hat die Rockmusik von Native | |
Americans beeinflusst. | |
Was denken Sie über die Wissensvermittlung zwischen den Generationen? Der | |
Austausch zwischen jungen JazzmusikerInnen und Veteranen wie Ihnen ist | |
schwierig geworden, im Vergleich zu Ihrer musikalischen Sozialisation in | |
den Sechzigern. | |
Stimmt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Heute können junge Musiker zwar Jazz | |
an der Uni studieren, aber viele Hochschulabsolventen wissen nicht, wie man | |
auf der Bühne Verbindung zum Publikum aufnimmt. Das versuchen wir Musiker, | |
die viele Erfahrungen auf Tourneen gesammelt haben, den Kids zu vermitteln: | |
Übertrage deine Musik, denn du spielst schließlich für Menschen! Erzeuge | |
Magnetismus, eine Verbundenheit mit dem Publikum! Dafür ist es zum Beispiel | |
gut, auch mal einen Standard zu spielen, damit die Zuhörer etwas an die | |
Hand bekommen, womit sie sich identifizieren können. | |
Aber in diesen ökonomisierten Zeiten sind viele Künstler ständig auf Tour, | |
auch weil sie wegen geizigen Streamingdiensten wie Spotify und Pandora kaum | |
noch Tantiemen an ihren Aufnahmen verdienen. Diese Dienste verdienen | |
Milliarden und nichts davon kommt bei den Musikern an! Ich engagiere mich | |
aktiv, um dieses Problem anzugehen. | |
Generell, was sind die Gründe für den schweren Stand von Jazz heute? | |
Als Jazz in die Konzertsäle Einzug hielt, musste man akzeptieren, dass die | |
Leute dabei sitzen und den Soli applaudieren. Einst hatten die Menschen zu | |
Jazz aber getanzt. Ich spiele gerne mit Grooves und ich tanze auch gerne, | |
wenn ich einen guten Groove höre. Bill Graham, der legendäre | |
Konzertveranstalter, war da Ende der 60er Jahre schon weiter. Er setzte | |
Jazz zusammen mit Rock und Blues auf ein Programm und das in einem Tanzsaal | |
in San Francisco. Keith Jarrett und ich spielten dort, im Fillmore West im | |
Quartett von Charles Lloyd. Im Wechsel mit Groove-basiertem Jazz | |
funktionierten auch die anspruchsvolleren Stücke richtig gut. Natürlich | |
waren viele Kids high, aber insgesamt war die Unternehmung ein | |
Riesenschritt. | |
Gibt es Ihrer Meinung nach jüngere Jazzmusiker, die HipHop-Fans mögen? | |
Robert Glasper macht es heute mit seiner Band The Experiment gut: Sie | |
spielen R&B-Grooves, haben aber auch vielschichtige Stücke im Repertoire. | |
Die Frage, ob das Jazz ist, stellt sich dann gar nicht mehr, Glaspers Musik | |
sickert auch so in die Wahrnehmung ein. | |
Ravi Coltrane und Matthew Garrison, Ihre Trio-Partner, kennen Sie seit | |
Kindesbeinen, wie klappt die Verständigung heute? | |
Gut, ich habe bereits mit Ravis Eltern (John und Alice Coltrane) und Matts | |
Vater Jimmy Garrison gespielt. Seit über 40 Jahren gehören die beiden zur | |
Familie. Matt ist mein Patensohn. Bevor er zum Studium ans Berklee College | |
ging, hat er bei mir gelebt und seinen Stil entwickelt. Beide spielen einen | |
außergewöhnlichen Sound, und das auf den gleichen Instrumenten wie ihre | |
berühmten Väter. 1996 traten wir zum ersten Mal gemeinsam auf, inzwischen | |
spiele ich in der Band wieder mehr Klavier. Wir können es kaum erwarten, | |
gemeinsam auf die Bühne zu gehen. Unsere Musik lebt von der Liebe und | |
unserem großen Respekt füreinander. | |
4 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Franziska Buhre | |
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