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# taz.de -- Die Wahrheit: Merkwürdige Mystifizinskys
> Die Poesie der Namen: Künstler- und Decknamen sind nicht unwichtig,
> manchmal sogar dringend notwendig. Pseudonyme können Leben retten.
Bild: Vom Pirol zum Loriot
Namen sind nicht Schall und Rauch. Loriot wusste das, weshalb „Herr
Müller-Lüdenscheid“ und „Herr Doktor Klöbner“ heißen, wie sie heißen
müssen: der Doppelname für den mittelständischen Unternehmer, dem es
erlaubt ist, Ort oder Profession seinem Nachnamen beizufügen à la
„Gummi-Meier“; der Doktortitel für den akademisch gebildeten Angehörigen
der höheren Stände, der leitender Angestellter sein kann. So sorgen bereits
die Namen für den nötigen komischen Kontrast zum kindlichen Streit in der
Badewanne. Oder man denke an Herrn Hallmackenreuther, den Verkäufer im
Bettenladen, dessen fachliche Beschlagen- und Borniertheit schon durch
seinen Namen ins Lächerliche gezogen wird!
Es muss eben passen. In der klaren Erkenntnis, dass sein adliger Name nicht
zu seinem Beruf passte, wählte Vicco von Bülow den Namen des Wappentiers
seiner Familie: den Pirol, französisch Loriot. Der Name, den ein Mensch von
Geburt an trägt, kann eben eine Belastung sein – gerade für Künstler.
Er ist banal: Eduard Schmid verfeinert seinen Namen zu „Kasimir Edschmid“.
Er ist bieder: Aus Hellmuth Fliegel wird „Stefan Heym“, Hans Rolf Rippert
macht sich zum Schlagerrussen „Ivan Rebroff“, Gabriele Susanne Kerner zu
„Nena“. Er klingt proletarisch bildungsfern: Alfred Henschke veredelt sich
zu „Klabund“. Er provoziert ungünstige Assoziationen: Rudolf Leder wird
„Stephan Hermlin“; soll Neckische wecken: Alfred Richard Meyer verpuppt
sich zu „Munkepunke“; oder die Aura von Geheimnis verbreiten: Friedrich
Leopold Freiherr von Hardenberg verwandelt sich in „Novalis“.
Wessen Namen sich nicht für die große Welt eignet, macht aus einem nur im
Deutschen möglichen „Graß“ einen „Grass“, aber wettert später gegen …
neue Rechtschreibung, oder aus der italienischen Stefani Germanotta eine
global vermarktbare „Lady Gaga“.
## Kampfname als Tarnung
Im Gegenteil als Versteck und Tarnung kann ein Deckname auch behilflich
sein, um zum Beispiel der Obrigkeit zu entkommen wie der Regimentsmedikus
Friedrich Schiller, der sich auf der Flucht aus Stuttgart am Eßlinger Tor
als „Dr. Ritter“ einträgt und in Oggersheim als „Dr. Kohl“ … pardon:…
Schmidt“ ausgibt. Oder wie Herbert Frahm, der im Exil den Kampfnamen „Willy
Brandt“ wählt. Paul McCartney dagegen wollte nur von Fans unbehelligt
bleiben und nannte sich dann „Paul Ramon“. Der US-amerikanische
Bassgitarrist Douglas Colvin griff übrigens den Alias auf, nannte sich „Dee
Dee Ramone“ und gründete in den Siebzigern die Band Ramones.
Im Beruf kann die Wahl eines Nom de Plume nützlich, vielleicht notwendig
sein und als Ausweis der Zugehörigkeit zu sozialen Kreisen oder einer
Nation dienen, weshalb der englisch schreibende Pole Józef Teodor Nałęcz
Konrad Korzeniowski seinen Namen zu „Joseph Conrad“ anglisierte. Wer seinen
bürgerlichen Ruf als Dr. med. Alfred Döblin nicht gefährden will, nennt
sich als Polemiker „Linke Poot“ (plattdeutsch: linke Hand), der Pfarrersohn
Albert Bitzius heißt als Schriftsteller „Jeremias Gotthelf“. Einen Witz
hingegen machte der jüdische Schauspieler Wolfgang Völz, als er einmal in
einer Talkshow angesichts des fortwabernden Antisemitismus scherzhaft
seinen Geburtsnamen mit „Aaron Treppengeländer“ angab.
Ob Lady Gaga oder Jeremias Gotthelf, die Wahl eines Künstlernamens kann
Programm sein. Robert Zimmerman nennt sich „Bob Dylan“ nach dem irischen
Dichter Dylan Thomas, Bernd Weidung will „Thomas Anders“ sein; Samuel
Langhorne Clemens wählte als Künstlername „Mark Twain“, einen Ausdruck aus
der Sprache der Flussschiffer, der „Zwei Faden Wassertiefe“ bedeutet und
den Clemens in seiner Jugend als Steuermann auf dem Mississippi
aufschnappte – ein einprägsamer Name und Symbol der Verwurzelung des Autors
im amerikanischen Volk.
Selbst Amerikaner dürften auf Hilfe angewiesen sein, um hinter die
Bedeutung von „Mark Twain“ zu kommen. Dagegen springt es einen förmlich an,
wenn jemand „Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky“ heißt:
So nannte sich Friedrich Theodor Vischer, als er Goethes zweiteiligen
„Faust“ 1862 mit einem „Faust III“ verhohnepipelte.
Das Kryptonym bringt Name und Inhalt zur Deckung – ein anderes, modernes
Beispiel dafür ist „Jakob Arjouni“ mit seinen Kriminalromanen um den
Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya: Unter Arjounis Klarnamen Jacob
Benjamin Bothe hätten die Romane den Lesern nicht ganz so viel Türken- und
schmuddelige Großstadt-Authentizität vorgemacht.
## Vermännlichung als Hilfe
Überhaupt, einem was vormachen! Weil Männer es leichter haben, nannte sich
Amantine Aurore Lucile Dupin, verheiratete Baronne Dudevant, „George Sand“
und konnte sich freuen, dass man den Stil ihres Romans „Indiana“ von 1832
„typisch männlich“ fand. Die österreichische Schriftstellerin Bertha
Eckstein-Diener vermännlichte, aristokratisierte und anglisierte sich sogar
zu „Sir Galahad“, unter welchem Namen 1932 ihre matriarchatsgeschichtliche
Darstellung „Mütter und Amazonen“ erschien.
Weil es aber Frauen leichter haben, wenn ein „Fräuleinwunder“ ausgerufen
wird, gibt es Männer, die namentlich ins andere Geschlecht wechseln wie
Michael Zeller, der 2009 mit dem Roman „Falschspieler“ (!) als „Julia Rot…
debütierte, oder wie Claus Heck, der sich als deutsch schreibende Rumänin
Aléa Torik ausgab und mit dem Roman „Aléas Ich“ (!) jene Beachtung fand,
die er unter seinem Echtnamen nicht erhielt. Der Name „Aléa“ übrigens
dürfte sich dem „Aleator“, dem Würfelspieler, und der „Aleatorik“, ei…
zufallbasierten Kompositionstechnik, verdanken.
Das Spiel mit der Identität kann aber auch etablierten Autoren dazu dienen,
unerkannt Neues auszuprobieren oder zu testen, ob man auch Erfolg hat, wenn
nicht der eigene Name auf dem Buchdeckel steht. Günter Grass versuchte es
1968 und brachte als „Artur Knoff“ in der Schriftenreihe des Literarischen
Colloquiums Berlin, den „LCB Editionen“, ein schmales Bändchen mit
Erzählungen heraus. Das Büchlein war ein Ladenhüter. Grass’ andere Bücher
waren es nicht.
Und warum der Erfolgsautor Martin Luder seinen Namen in „Martin Luther“
änderte, liegt ja bei seinem hochmoralischen Gewerbe nahezu auf der Hand.
9 Dec 2019
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Künstlernamen
Pseudonyme
Loriot
Gastronomie
Thomas Kemmerich
Pseudonyme
Saskia Esken
Sprachkritik
Türkei
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