# taz.de -- Gekündigter Busfahrer und Betriebsrat: Kurioser Kurswechsel | |
> Die Hamburger Hochbahn hat einen Betriebsrat rausgeworfen. Daraufhin | |
> stellen sich die Kollegen hinter ihn – und ändern dann überraschend ihre | |
> Meinung. | |
Bild: Friedliche Busse, uneinige Mitarbeiter: Betriebshof der Hamburger Hochbah… | |
HAMBURG taz | Die Hamburger Hochbahn hat einen langjährigen Betriebsrat vor | |
die Tür gesetzt. Weil dieser gegen seine Kündigung klagte, muss nun das | |
Hamburger Arbeitsgericht darüber entscheiden, ob die Entlassung rechtens | |
war – und damit indirekt auch darüber, wie der Betriebsrat der Hochbahn | |
künftig zusammengesetzt ist. | |
Ibrahim Vurelli, der betroffene Betriebsrat, geht davon aus, dass die | |
Hochbahn mit ihm einen erfahrenen Arbeitnehmervertreter durch einen | |
jüngeren Kollegen ersetzen wollte. Der 50-Jährige hat seit 29 Jahren als | |
Busfahrer für die Hochbahn gearbeitet. Aufgrund seiner langen Zeit im | |
Unternehmen wurde Vurelli noch nach einem älteren Tarifvertrag bezahlt als | |
jüngere Kollegen. | |
Seit 1998 ist er Betriebsrat und in dieser Position eckte er auch an: „Ich | |
bin unbequem gewesen, auch gegenüber den freigestellten Betriebsräten, die | |
oft mit der Hochbahn verhandeln“, sagte Vurelli, im Gespräch mit der taz. | |
Freigestellte Betriebsräte sind solche, die sich ausschließlich mit der | |
Betriebsratsarbeit befassen dürfen. Vurelli gehört nicht dazu. | |
Ein betriebsratsinterner Streit soll auch zu der Kündigung geführt haben. | |
Ende Mai, so lautet der Vorwurf, soll Vurelli im Streit mit einem jüngeren | |
Kollegen zu weit gegangen sein. Der Kollege wirft ihm Körperverletzung vor. | |
Vurelli dementiert das. Zwar habe es durchaus einen Streit über die | |
Betriebsratsarbeit gegeben, jedoch ausschließlich mit Worten. | |
Vurelli erstattete damals Anzeige wegen Beleidigung, verzichtete jedoch auf | |
einen Strafantrag. Wenige Tage später folgte die Anzeige seines Kollegen – | |
wegen Körperverletzung. Auch ein Strafantrag wurde gestellt. Die | |
Angelegenheit ist inzwischen Sache der Staatsanwaltschaft, von der es | |
heißt, dass es zwei Zeugen gebe. | |
Die Hochbahn kündigte Vurelli – und zunächst sah es so aus, als ob der | |
Betriebsrat sich hinter sein Mitglied stellen würde. Er votierte gegen die | |
Kündigung, woraufhin die Hochbahn Klage beim Arbeitsgericht einreichte. Es | |
ist rechtlich möglich, dass ein Gerichtsentscheid das notwendige | |
zustimmende Votum des Betriebsrats zur Kündigung ersetzt. Das Stichwort | |
hierzu lautet: Zustimmungsersatzklage. | |
Aber was dann geschah, ist kurios: Die Hochbahn bestellte während des | |
bereits laufenden Verfahrens die Zeugen des Vorfalls ein. Die beiden | |
arbeiten ebenfalls bei der Hochbahn. Von den Terminen, bei denen auch | |
Betriebsräte dabei waren, gibt es Protokolle. Ihnen zufolge entlasten die | |
Zeugen Vurelli. Einer der Zeugen hat den Vorfall gar nicht mitbekommen. Ein | |
zweiter bestätigt lediglich den Streit, nicht jedoch das Handgemenge. Nur | |
unterschrieben haben die Zeugen die Angaben offenbar nicht. Lediglich ein | |
Hochbahner zeichnete sie sachlich richtig. | |
Doch obwohl es diese Treffen gab, änderte der Betriebsrat seine Meinung. | |
Bei einer zweiten Abstimmung votierten die Betriebsratskollegen im Sinne | |
des Unternehmens. Die Hochbahn kündigte Vurelli nun mit Zustimmung des | |
Betriebsrats. Er ist seitdem arbeitslos. Ein anderer Kollege wird zudem auf | |
seinen Betriebsratsposten nachrücken. Die Zustimmungsersatzklage wurde von | |
der Hochbahn für erledigt erklärt, sodass ein hierzu vor dem Arbeitsgericht | |
angesetzter Termin gar nicht erst stattfand. | |
Doch weshalb stimmte der Betriebsrat der Kündigung schließlich zu? Der für | |
die Hamburger Hochbahn zuständige Betreuungssekretär der Gewerkschaft | |
Ver.di, Max Leininger, sagte: „Ich gehe davon aus, dass die Vorwürfe so | |
schwerwiegend sind, dass der Betriebsrat sich genötigt sah, zuzustimmen.“ | |
Leichtfertig mache ein Betriebsrat das nicht. Ähnlich sieht es Klaus | |
Ceglecki, der Betriebsratsvorsitzende der Hochbahn: „Da gab es weitere | |
Erkenntnisse, die dazu führten, dass der Betriebsrat dem zweiten Antrag | |
zugestimmt hat“, sagte er. | |
Nur wie diese neuen Erkenntnisse aussehen, ist völlig unklar. Zwar | |
existieren außer den Protokollen noch zwei Fotos des Kollegen von Vurelli, | |
die angeblich den Vorfall zeigen. Doch zu sehen ist auf den Bildern nur der | |
Kollege selbst. Es sind mit einem Handy angefertigte, undatierte Selfies. | |
Bei der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht wird es möglicherweise aber gar | |
nicht im Detail um die Frage gehen, ob es einen tätlichen Angriff gab oder | |
nicht. Auch der Zeitpunkt der zweiten Abstimmung des Betriebsrates ist | |
streitbar. Da sie erst lange nach der ersten Abstimmung erfolgte, wurde | |
dabei offenbar die gesetzliche Frist nicht gewahrt, anders als bei der | |
ersten Abstimmung. | |
Die Hochbahn möchte sich zu dem ganzen Fall nicht äußern, solange das | |
Verfahren noch läuft, wie eine Sprecherin erklärte. Eindeutig ist, dass das | |
Unternehmen den Busfahrer mit aller Macht loswerden möchte: Zweimal bot die | |
Hochbahn Vurelli bislang Geld an, um das Verfahren abzukürzen. Der lehnte | |
jedoch jedes Mal ab. „Ich muss noch 16 Jahre arbeiten“, sagte er. Wenn die | |
Hochbahn das berücksichtige bei den Abfindungszahlungen, dann sei er | |
bereit. Seine Kündigungsschutzklage soll im Februar vor dem Arbeitsgericht | |
verhandelt werden. | |
27 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Grundke | |
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