| # taz.de -- Ein Plätzchen für Rio Reiser: Sänger der bewegten Zeiten | |
| > Statt Heinrich soll der Name des „Keine Macht für niemand“-Sängers | |
| > stehen: Berlin-Kreuzberg bekommt seinen Rio-Reiser-Platz. | |
| Bild: Hat in Berlin schon einen Platz: am Grab von Rio Reiser | |
| Zur westdeutschen Revolutionsromantik zählt unbedingt, dass da in jedem | |
| frisch besetzten Haus einer mit der Gitarre saß und dieses eine Lied | |
| klampfte, während alle um ihm herum euphorisiert schrien, so laut, wie sie | |
| nur konnten: „Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus …“ | |
| Das sind die entscheidenden Zeilen vom „Rauch-Haus-Song“, mit dem Ton | |
| Steinen Scherben die Besetzung des Bethanien feierten. Trotz und Hoffnung, | |
| das andere, bessere Leben … was sich alles in einer eher schmächtigen | |
| Person verkörperte: Rio Reiser, der Sänger der Kreuzberger | |
| Revoluzzerkapelle, die bei ihren frühen Touren durch Westdeutschland die | |
| Stimmung dort mindestens so aufzukochen hatte, dass nach jedem Konzert | |
| wenigstens ein Haus in der betreffenden Stadt besetzt wurde, wo dann wieder | |
| dieser Song … | |
| Zur Wahrheit zählt aber auch, dass Ton Steine Scherben und Rio Reiser sich | |
| in diesem stets sich drehenden Hamsterrad gar nicht wirklich glücklich | |
| fühlten und sich deswegen Mitte der Siebziger Jahre sogar vom Acker | |
| machten. Beziehungsweise anders herum: sie bewegten sich weg vom harten | |
| Kreuzberger Pflaster und zum Acker vom nordfriesischen Flecken Fresenhagen | |
| hin, wo der Sänger ja tatsächlich auch verstorben ist, am 20. August 1996. | |
| Dort in Fresenhagen wurde er auch bestattet und hatte erst mal einige Jahre | |
| seine Ruhe, bis er im Februar 2011 auf den Alten St.-Matthäus-Kirchhof in | |
| Berlin umgebettet wurde. Eine Heimholung, die jetzt noch einmal mit der | |
| schon über den engeren Kiez hinaus strahlenden Umbenennung des Kreuzberger | |
| Heinrichplatzes in Rio-Reiser-Platz bestätigt wird. Am Mittwochabend hat | |
| das die [1][Bezirksverordnetenversammlung beschlossen], im September 2020 | |
| sollen die Straßenschilder dann getauscht werden. | |
| Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass dieser Eintrag von Rio Reiser im | |
| Stadtplan als Erinnerungshilfe doch eine einigermaßen statische | |
| Angelegenheit ist und dass wenigstens ergänzend auch ein tätiges Tun den | |
| Mann in Ehren halten würde. Also zum Beispiel einfach Häuser besetzen, weil | |
| die ja weiter eine Ware geblieben sind, weil es trotz der Romantik mit der | |
| Revolution in Westdeutschland nicht wirklich was geworden ist. | |
| Aber so eine namentliche Verortung im Stadtbild bedeutet auch, dass die | |
| Kämpfe, um die es ging, eben schon gekämpft sind und die Häuserfrage heute | |
| ohne Rio Reiser geklärt werden muss. Ein Straßennamenschild heißt | |
| Historisierung. | |
| Und das ist doch auch okay. Jüngeren Menschen mag man dann dereinst auf dem | |
| Rio-Reiser-Platz erklären, dass damit an einen Menschen gedacht wird, der | |
| einer der wenigen wirklichen Rockstars war, die sich Deutschland bis dato | |
| gegönnt hat. So wie die mittelälteren Menschen vielleicht bei einem Paul | |
| Lincke stutzen müssen. Ein Musiker auch er, dem mit dem Paul-Lincke-Ufer am | |
| Landwehrkanal eine schicke Adresse eingerichtet ist. Sein Hit: „Das ist die | |
| Berliner Luft“. Ein Operettenschlager. Und wenige Ecken weiter in Kreuzberg | |
| steht man dann auf dem Platz, der an den Sänger erinnert, der mal „Macht | |
| kaputt, was euch kaputt macht“ gesungen hat. Kreuzberger Mischung. | |
| 30 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Mauch | |
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