# taz.de -- Linke mit neuer Fraktionsspitze: Ganz, ganz viel zu tun | |
> Amira Mohamed Ali wird Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht. Das Erbe wird | |
> schwer. Denn die Fraktion ist nach der Wahl gespaltener denn je. | |
Bild: Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch sind neue Fraktionsvorsitzende der … | |
Berlin taz | Es gab da dieses Bild, kurz nachdem Amira Mohamed Ali am | |
Dienstagnachmittag gegen halb vier zur Fraktionschefin der Linken | |
[1][gewählt worden war]. Sie stand im Clara-Zetkin-Saal der Linksfraktion | |
im Reichstagsgebäude, umringt von zwei Herren: zum einen Co-Fraktionschef | |
Dietmar Bartsch und zum anderen Diether Dehm, einst Vorsitzender ihres | |
niedersächsischen Landesverbandes und bis heute einflussreicher | |
Strippenzieher in der Partei. Mohamed Ali lächelte in eine Kamera, Dehm und | |
Bartsch neben ihr reckten die Fäuste. Gewonnen! | |
Die Szene war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, der | |
Fraktionssprecher scheuchte Neugierige schnell wieder aus dem Saal. Diether | |
Dehm veröffentlichte es dennoch [2][auf Facebook]. Danach gingen Mohamed | |
Ali und Bartsch aus dem Raum und vor die Presse und sie stand im | |
Rampenlicht. Das erste Mal so richtig, seitdem sie vor zwei Jahren in den | |
Bundestag eingezogen war. | |
2017 war Mohamed Ali auf Platz 5 der niedersächsischen Landesliste und als | |
fünfte Niedersächsin für die Linke gerade noch in den Bundestag gerutscht. | |
Zwei Jahre später ist sie Fraktionschefin, Nachfolgerin der bekanntesten | |
Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Eine Traumkarriere als Politikerin. | |
Oder doch eher ein Knochenjob als Trümmerfrau? | |
Wie tief die Fraktion nach dieser knappen Wahl mit zwei Wahlgängen | |
gespalten ist, zeigte sich im weiteren Verlauf des Nachmittags. Caren Lay, | |
die ihre Kandidatur für den Fraktionsvorsitz als Erste angekündigt hatte, | |
hätte als erfahrenere und bekanntere Kandidatin eigentlich die besseren | |
Karten haben müssen. Die Vizefraktionvorsitzende und mietenpolitische | |
Sprecherin sitzt seit 2009 im Bundestag. | |
## Der Frust entlädt sich | |
Mohamed Ali ist nun mit Unterstützung des sogenannten Hufeisens ins Amt | |
gekommen, jenes machttaktischen Bündnisses aus Reformern und Partei-Linken, | |
das vier Jahre lang eine knappe Fraktionsmehrheit gesichert hatte. Doch der | |
Groll gegen diese Machtbündnis war in den letzten Jahren gewachsen. Nun | |
bekamen die übrigen Kandidat:innen für den Fraktionsvorstand den geballten | |
Frust über diesen knappen Wahlsieg und das Wirken des Hufeisens zu spüren. | |
Der erste parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte erhielt nur 39 von 68 | |
möglichen Ja-Stimmen. Und das, obwohl er im Bundestag souverän auftritt und | |
ohne Gegenkandidat:in angetreten war. Von den sechs potenziellen | |
Arbeitskreisleiter:innen, die sich auf sechs Stellen bewarben, fielen zwei | |
im ersten Wahlgang durch, Fabio de Masi und Heike Hänsel. De Masi wurde im | |
zweiten Anlauf gewählt, Hänsel fiel erneut durch. Bartsch wird drei Kreuze | |
gemacht haben, dass er mit 64 Prozent in einem Rutsch zusammen mit Mohamed | |
Ali gewählt wurde. In einem anderen Wahlprozedere wäre er wohl genauso | |
abgestraft worden. | |
Alle drei, Korte, Hänsel und de Masi, stehen par excellence für das | |
Hufeisenbündnis – Korte ist Protegé von Dietmar Bartsch, Hänsel und de Masi | |
hielten stets zu Sahra Wagenknecht. Inhaltlich verbindet sie zwar wenig – | |
wenn Heike Hänsel auf der Bühne des Parteitags Solidarität mit Venezuela | |
proklamiert, geht Korte lieber eine rauchen, damit er nicht explodiert. | |
Aber wenn es in den vergangenen Jahren darum ging, Bartsch und Wagenknecht | |
die Mehrheit zu sichern, hielten sie zusammen. | |
## Kleinster gemeinsamer Nenner | |
Das sogenannte Hufeisenbündnis hat die Fraktion inhaltlich gelähmt. Zu | |
gesellschaftlich relevanten Fragen, ob Klimawandel, Energiewende, Migration | |
oder Zukunft der EU, hörte man von den Linken oft nur ein verdruckstes | |
„Hmpf“, was in etwa dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Reformern und | |
Wagenknecht-Anhänger:innen entsprach. | |
Mit souveränen Mehrheiten wurden an diesem Dienstag nur jene gewählt, die | |
nicht als Vertreter:innen des einen oder des anderen Lagers wahrgenommen | |
wurden: Susanne Ferschl, die als ehemalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende | |
von Nestlé das Thema gute Arbeit verantwortet, André Hahn, der für die | |
Linke im parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste sitzt, und | |
Gesine Lötzsch, die eigentlich schon immer im Bundestag sitzt und | |
zuverlässig das Direktmandat in Berlin-Lichtenberg holt. | |
Vom „Desaster“, vom „Scherbenhaufen“ sprachen einige später am Abend. … | |
Wahl für drei Vorstandsposten muss in der nächsten Sitzungswoche wiederholt | |
werden. | |
## Kein Signal, aber Teelicht für Neustart | |
Doch den Scherbenhaufen gab es in Wirklichkeit schon vor diesen | |
Fraktionswahlen, nur wurde er bei dieser Gelegenheit eben komplett | |
freigelegt. Die Erwartungen an die neue Fraktionsvorsitzende sind riesig. | |
Sie wird daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, die Fraktion zu einen | |
und nach außen hin geschlossen zu repräsentieren. | |
Amira Mohamed Ali ist ein relativ unbeschriebenes Blatt in der Fraktion. | |
Genau das könnte ihre Stärke sein. Sie ist bisher inner- und außerhalb der | |
Fraktion nicht mit starken oder polarisierenden Haltungen zu einem der | |
Reizthemen der Linken (siehe oben) aufgefallen. Wenn sie überhaupt einem | |
der beiden Lager zuzurechnen wäre, dann passte sie mit ihren „grünen“ | |
Themen, die vom Tierwohl bis zur Lebensmittelkennzeichnung reichen, wohl | |
eher ins Kipping-Lager, das diesen Themen in der Linken mehr Gewicht gab. | |
Mohamed Ali hat jedenfalls gesagt, sie wolle auf alle zugehen und mit allen | |
reden. Vielleicht schafft sie es ja aus dem Hufeisen, welches die Mitte | |
überwölbt, irgendwann einen Träger zu formen, der alle verbindet. | |
Ein wirklich überzeugendes Signal für einen Aufbruch in der Linken waren | |
diese Fraktionswahlen noch nicht. Aber vielleicht ein Teelicht für einen | |
Neustart: [3][Caren Lay], die als Fraktionsvorsitzende gegen Mohamed Ali | |
verloren hatte, wurde als Fraktionsvize auf Anhieb mit 43-Ja Stimmen | |
gewählt. Das heißt, auch einige von jenen, die für Mohamed Ali als Chefin | |
gestimmt hatten, wählten Lay zur Stellvertreterin. | |
13 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Fraktionsvorsitzende-der-Linken/!5641680 | |
[2] https://www.facebook.com/51091986850/photos/a.10151747763066851/10156362347… | |
[3] /Zukunft-der-Linkspartei/!5634942 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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