| # taz.de -- Marburger Immobilienskandal: Verurteilt, aber nicht ausgeflippt | |
| > In Marburg sind erste Urteile gefallen. Der Prozess zeigt die | |
| > Schwierigkeiten der Justiz, Zocker in die Schranken zu weisen. | |
| Bild: Auch Marburgs letzte linke Kneipe „Havanna 8“ fiel den Betrügern zum… | |
| Marburg taz | In dem Skandal um betrügerische Zockereien mit Immobilien, | |
| [1][der seit Monaten die hessischen Universitätsstädte Marburg umtreibt,] | |
| gibt es ein erstes Urteil. Wegen aktiver und passiver Bestechung wurden am | |
| Mittwoch der Immobilienkaufmann Joachim L. und der Notar Sven S. zu | |
| Bewährungsstrafen zwischen 18 und 22 Monaten verurteilt. Der | |
| Hauptangeklagte Matteo S. muss wegen Untreue, Fahrens ohne Führerschein, | |
| Gründungsschwindel, Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung eine | |
| Haftstrafe von drei Jahren und zwei Monaten absitzen. | |
| Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Marburg gegen mindestens 16 | |
| Tatverdächtige. Sie sollen Millionenkredite erschwindelt haben, in dem sie | |
| dieselben Häuser und Wohnungen mehrfach hin und her verkauft haben. Polizei | |
| und Staatsanwaltschaft haben unter anderem zwei Banken und zahlreiche Büros | |
| und Privatwohnungen durchsucht. 40.000 Telefongespräche wurden abgehört. | |
| Leidtragende des mutmaßlichen Zockerrings waren und sind weiter die | |
| MieterInnen, die von den neuen Eigentümern mit Mieterhöhungen zur Kasse | |
| gebeten wurden. Banken und PrivatanlegerInnen müssen wohl Millionen Euro | |
| abschreiben, weil die abenteuerlichen Wertsteigerungen, die den | |
| Kaufverträgen zugrunde lagen, nicht seriös kalkuliert waren. Ob und wann | |
| die laufenden Ermittlungen allerdings zu weiteren Anklagen und | |
| Strafprozessen führen, ist längst nicht ausgemacht. | |
| Dieser erste Prozess offenbarte nämlich die Nöte der Justiz, einzelnen | |
| Beschuldigten tatsächlich Betrügereien nachzuweisen. Im jetzt ergangenen | |
| Urteil werden lediglich Randerscheinungen des sogenannten | |
| „Immobilienflippings“ geahndet: Notar Sven S. hatte bei der Beurkundung der | |
| Kaufverträge illegal Rabatte gewährt, um von den Geschäften zu profitieren. | |
| Sein Auftraggeber Joachim L. hatte den gesetzeswidrigen Rabatt eingefordert | |
| – eine illegale Absprache, urteilt das Gericht. | |
| ## Mogul in der Provinz | |
| Nur Matteo S., [2][der in kurzer Zeit in Marburg und Gießen ein kleines | |
| Immobilienimperium hatte aufbauen können], trieb es nachweislich zu wild. | |
| Kautionszahlungen von mehr als 200 MieterInnen legte er nicht, wie | |
| vorgeschrieben, auf sicheren Bankkonten an. Die Gelder seien stattdessen | |
| „im Nirwana“ seiner Geschäftskonten verschwunden, sagte die Vorsitzende | |
| Richterin in ihrer Urteilsbegründung; S. habe in Marburg „den | |
| Immobilienmogul gemimt“, mit schnellen Autos und einem aufwendigen | |
| Lebensstil. Auch weil er immer wieder ohne Führerschein fuhr und für die | |
| Gründung einer GmbH hinterlegtes Geld kurz nach Unternehmensgründung wieder | |
| abzog, bleibt er in Haft. | |
| Für eine Verurteilung wegen Betrugs muss die Staatsanwaltschaft in jedem | |
| Einzelfall nachweisen, dass in Kaufverträgen tatsächlich überhöhte Werte | |
| dokumentiert sind. Die Geschädigten solcher Betrügereien wären wohl vor | |
| allem die Banken. Doch laut Auskunft der Staatsanwaltschaft hat bislang | |
| keines der betroffenen Kreditinstitute eine Betrugsanzeige eingereicht. Zum | |
| einen fürchten sie wohl um ihren Ruf, weil sie Kreditanträge zu lasch | |
| geprüft haben könnten. [3][Zum anderen sind sie möglicherweise im Vertrauen | |
| auf außerordentliche Wertsteigerungen im überhitzten Immobilienmarkt | |
| bewusst Risiken eingegangen.] | |
| Unaufgeklärt bleiben deshalb zunächst die eigentlich interessanten | |
| Vorgänge. So muss Joachim L. zwar 250.000 Euro für gemeinnützige Zwecke | |
| zahlen. Als Immobilienkaufmann darf er indes weitermachen. „Er ist ein | |
| seriöser Geschäftsmann“, attestierte ihm sein Verteidiger und fügte hinzu: | |
| „Das sogenannte Immobilienflipping ist nicht strafbar, sondern ein legales | |
| Geschäftsmodell.“ | |
| Ein Kriminalkommissar hatte am ersten Prozesstag am Beispiel vorgetragen, | |
| wie die Chose zwischen den Angeklagten lief: Joachim L. kauft die Immobile | |
| X für 660.000 Euro, 17 Monate später verkauft er sie an Matteo S. für 1,7 | |
| Millionen Euro weiter. Nur sechs Monate später erwirbt Joachim L. dieselbe | |
| Immobilie für 3 Millionen Euro zurück. Eine Wertsteigerung von mehr als 400 | |
| Prozent, trotz Gebühren und Grunderwerbsteuer? | |
| Sicher ist: Auf einem hochspekulativen Markt sind auch Mittelzentren wie | |
| Marburg inzwischen ein Eldorado für zweifelhafte Immobiliengeschäfte. | |
| 18 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christoph Schmidt-Lunau | |
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