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# taz.de -- In Berlin ist Natur für Menschen da: Macht euch der Erde untertan
> Mit Animismus könnte man doch mal gegen den grassierenden
> Anthropozentrismus andenken. Den Segen des Papstes hätte man dabei.
Bild: Was wird er wohl denken, der Jaguar?
Am 11. November machte ich in der Komischen Oper die überraschende
Erfahrung, dass dort jetzt auch schon gegen den westlichen
Anthropozentrismus laut gedacht wird. Und ich meinte, das wäre eine Macke
von mir, dass ich mich bei aller Empathie für Tiere und Pflanzen ständig
über dieses menschenzentrierte Denken aufrege.
An dem Abend in der Komischen Oper ging es um „Menschen und Tiere“. Und der
eingeladene katholische Seelsorger und Verhaltensbiologe [1][Rainer
Hagencord], der im Institut für Theologische Zoologie in Münster mit zwei
Poitou-Eseln „auf Augenhöhe“ therapeutisch arbeitet, forderte, den
„despotischen Anthropozentrismus“ zu überwinden.
Für den Theologen hat „die anthropozentrische Theologie keine Bedeutung
mehr“. Dabei kann sich Hagencord sogar auf den derzeitigen Papst Franziskus
berufen, der meint: „Macht euch die Erde untertan“ – das sei die falsche
Aufforderung zum Handeln. Weil sie von sogenannten guten Hirten stamme. Das
durch die Bibel fundierte Christentum ist eine Schafreligion. Und was
sollen Schäfer schon groß beim Untertanmachen anrichten? So mag man das
anfangs – im Jahr Null und später – gedacht haben. Nun ist die Situation
jedoch eine ganz andere, auch wenn sich im Schaf-Hirte-Verhältnis nicht
groß was verändert hat. Der Papst meint, es müsse nun heißen: „Macht euch
der Erde untertan!“
Es ist schon ein Weilchen her, dass in der taz-Kantine der
Zeit-Korrespondent Thomas Fischermann sein Buch „Der letzte Herr des
Waldes“ vorstellte: ein wunderbares Porträt des jungen Amazonasindianers
Madarejuwa Tenharim, weitgehend dem weißen Europäer ins Aufnahmegerät
diktiert. Aus seiner Welt- und Waldsicht geht hervor, dass er und sein
Stamm, die Tenharim, sich gerade nicht als „Herren“ des Waldes sehen,
sondern umgekehrt, dass sie dessen „Gesetze“ genau befolgen, damit sich der
Wald nicht rächt.
## Jede Lebensform als menschlich sehen
Näheres erfuhr ich bei einem Kongress im Haus der Kulturen der Welt: dass
nämlich die Indigenen der beiden Amerikas dem Anthropozentrismus mit einem
totalen Anthropomorphismus entkommen. Laut dem brasilianischen Ethnologen
Eduardo Viveiros de Castro ist bei ihnen die Idee weitverbreitet, das jede
Lebensform sich selbst als menschlich (an)sieht.
Ich verstand das erst nicht, aber der Ethnologe führte das dann in seinem
Buch „In welcher Welt leben? Ein Versuch über die Angst vor dem Ende“ aus,
das er mit der Pariser Philosophin Déborah Danowski veröffentlichte, die an
der Päpstlichen Universität von Rio de Janeiro lehrt.
Danach gehen die Indigenen davon aus, dass das, was alle von sich selbst
sehen, „ihre ‚Seele‘ ausmacht. Demzufolge sieht ein Jaguar, wenn er einen
anderen Jaguar anschaut, einen Menschen; aber wenn er einen Menschen
anschaut, sieht er ein Schwein oder einen Affen, da dies das von den
amazonischen Indios das am meisten geschätzte Wild ist.“
Die beiden Autoren definieren deren „Animismus“ als „ein ‚anthropomorph…
Prinzip‘, das fähig ist, sich jenem ‚anthropozentrischen Prinzip‘
entgegenzustellen, das uns als eine der tiefsten Wurzeln der westlichen
Welt erscheint“.
Aktuelles Beispiel: Mehrere wissenschaftliche Studien und sogar die
Regierungsrichtlinien des Berliner Senats legen nahe, dass die Natur in der
Stadt zum menschlichen Wohlbefinden beiträgt und dass sie zu wenig ist,
weswegen „die grüne Infrastruktur entwickelt“ werden solle. Nicht um
ihretwegen, sondern für uns Menschen also soll mehr „Natur“ geschaffen
werden, das ist Anthropozentrismus (für Doofe).
Abgesehen davon, dass in Wirklichkeit genau das Gegenteil geschieht. So
wurden zum Beispiel die für Insekten und vor allem Spatzen so wichtigen
Hecken im Besselpark neben der taz und am Neuköllner Weigandufer sogar alle
Büsche und Sträucher entfernt. Eine Mitarbeiterin des BUND sagte dazu:
„Gerade in Wohngebieten werden sie rücksichtslos runtergesägt,
Wildblumenwiesen totgemäht und Gehölze verschnitten“ – der Gentrifizierung
zuliebe.
24 Nov 2019
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## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Kolumne Wirtschaftsweisen
Anthropozän
Berliner Senat
Landwirtschaft
Nachruf
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