# taz.de -- Theologische Zoologie: Das Tier im Menschen | |
> Rainer Hagencord ist Biologe und Priester. Ein Gespräch über | |
> Billigfleisch als Sünde, das Tierische im Menschen, die Fehler der | |
> Theologie und die Rolle von Ochs und Esel bei Jesu Geburt. | |
Bild: Das Schaf, der Esel, das Kamel: Zuerst gesehen bei Franz von Assisi. | |
taz: Herr Hagencord, der Mensch wurde aus dem Paradies vertrieben. Was ist | |
mit dem Tier passiert? | |
Rainer Hagencord: Die Bibel schweigt, aber es ist naheliegend, dass es den | |
Garten Eden nicht verlassen hat. Allerdings ist der Garten Eden kein Ort, | |
sondern das Bild für einen Wesenszustand. | |
Steht das Tier damit etwa Gott näher als der Mensch? | |
Thomas von Aquin sagte, das Tier lebt Gott unmittelbar. Ein großes Wort. | |
Die Gottunmittelbarkeit hat der Mensch verloren. Wenn man mit dem Bild von | |
Eden spielt, dann wird es plötzlich doch greifbar. Es wird deutlich, wir | |
Menschen haben die Verantwortung und die Last, unser Leben zu gestalten, | |
mit Leiden und Tod umzugehen, wir müssen uns selbst finden. Jeder, der sich | |
auf die Begegnung mit einem Tier einlässt, ihm wirklich in die Augen | |
schaut, der sieht, dass das Tier diese Not der Identitätsfindung, die Sorge | |
vor dem Tod nicht kennt. | |
Theologische Zoologie heißt Ihr Institut - womit genau beschäftigen Sie | |
sich? | |
Damit, die biblischen Texte neu zu sichten, auch im Umfeld ihrer | |
Entstehungsgeschichten von vor 2.000 Jahren. Man kann die Bibel auf | |
unterschiedliche Arten lesen. Analysiert man die biblischen Texte über | |
Mensch, Tier und Gott mit wissenschaftlichem Anspruch, also einer | |
historisch-kritischen Methode, dann können wir feststellen, dass die Tiere | |
in der Theologie des Alten Testaments eine besondere Wertschätzung haben. | |
Ich glaube, dass ich mit diesen Appellen, mit denen die Kirche die Menschen | |
jahrelang klein gehalten hat, nicht weiterkomme. Aber mit tatsächlichen | |
Fakten, wie ich die Bibel zu lesen habe, wie die Theologie anders denken | |
kann, einerseits und biologischen Fakten andererseits, kann ich eine | |
Bewusstseinsveränderung hervorrufen. Das ist Ziel meines Institutes. | |
Wie gestalten Sie Ihre Arbeit? | |
Neben meinen Lehraufträgen in Hochschulen in Münster möchte ich, dass das | |
Thema auch stärker in Schulen seinen Platz findet. Ich glaube, dass Kinder | |
und Jugendliche ein ganz anderes Gespür haben für Fragen nach | |
Massentierhaltung, Fleischkonsum und Respekt vor der Natur. Sie können viel | |
verändern, da habe ich auch ein politisches Interesse. Außerdem möchte ich | |
das Thema in Bildungs- und Exerzitienhäusern und Klöstern setzen. Derzeit | |
bin ich mit Pilotprojekten unterwegs, auch in Zoos und Nationalparks. | |
Aber wie lässt sich Gegensätzliches wie Religion und Wissenschaft vereinen? | |
Indem ich hingehe und die Fakten aus der Zoologie, vor allem aus der | |
Verhaltens- und Evolutionsbiologie, erschließe und mich frage, was sage ich | |
als Theologe dazu. Wenn ich biblische Texte und auch theologische | |
Argumentationsfiguren sichte und vergleiche, dann ziehe ich daraus | |
Konsequenzen sowohl für die Anthropologie als auch für ethische Postulate. | |
Dann gucke ich auch in die Malerei, Dichtung und die Poesie, in all die | |
anderen Spuren der Anthropologie, die auch eine Wertschätzung für die Natur | |
beibehalten haben, und damit bin ich wieder in anderen | |
Wissenschaftsdisziplinen. | |
Wird es wohl bald auch die Disziplin Theologische Botanik geben? | |
Die Begriffe klingen dann sehr schwierig. Aber jenseits aller Begriffe ist | |
es natürlich klar Folgendes zu sagen: Wenn wir unsere christlichen Wurzeln | |
noch einmal sichten, und das ist Aufgabe meines Institutes, dann müssten | |
wir im Grunde auf eine neue Ehrfurchtshaltung kommen gegenüber allem, was | |
lebt. Da würde ich dann auch die Pflanzen nicht ausschließen. Die Gefahr | |
ist immer, dass man in eine Esoterik rutscht. Dann werden Pflanzen | |
plötzlich auch beseelt. Mir geht es eher darum, eine andere Haltung des | |
Menschen gegenüber der Natur zu begründen, und zwar mit theologischen und | |
naturwissenschaftlichen Argumenten. | |
Was können Sie Ihren Theologiestudenten Besonderes mitgeben? | |
Tatsächlich eine Neusichtung und Neulektüre der biblischen Texte. Ich | |
erlebe auch in diesem Semester, dass manche Studierende dasitzen und große | |
Augen bekommen, obwohl sie kirchlich sozialisiert sind. Aber eine solche | |
Wertschätzung für das Tier, die sich in der Bibel findet, haben sie noch | |
nicht erlebt. Die Tiere sind vergessen in der Theologie, in der Bibel sind | |
sie das nicht. Deswegen ist mein erster Ansatz, eine Art Schocktherapie zu | |
veranstalten und die Leute erst einmal die biblischen Texte richtig lesen | |
zu lassen. | |
Aber warum erst so spät? | |
Man hat etwas überlesen, vielleicht auch bewusst ausgeklammert. Der Mensch | |
ist in der Neuzeit neu definiert worden. Die großen Denker damals sahen den | |
Menschen als Herrscher über die Natur, mit natürlich großartigen Folgen, | |
was Freiheit und Autonomie des Menschen betrifft. Allerdings haben sie | |
dabei oft auf Kosten der Natur und der Tiere argumentiert. Als | |
Wissenschaftler muss ich auch andere Sichtweisen in den Vordergrund rücken, | |
die auch das Tier und Natur wertschätzten. Nikolaus von Kues zum Beispiel | |
ist für mich ein großer Denker. | |
Auch eine Neusichtung der Bibel hinsichtlich der Rolle des Menschen wäre | |
sicher interessant. | |
Das ist wirklich naheliegend. Wenn Sie das Tierische wertschätzen und somit | |
auch dessen Anteile im Menschen, kommen schnell die heißen Fragen nach | |
Sexualität und Umgang mit Gefühlen auf. Wir müssen unser Verhältnis zur | |
Natur ändern, aber auch zum eigenen Leib. Wenn wir uns als Gläubige fragen, | |
welche Rolle spielt denn mein Leib, das Animalische in mir für ein echtes | |
Menschsein, dann sind wir mitten in der Anthropologie. | |
Bekommen Sie bei solchen Auslegungen nicht Probleme mit Ihrer Kirche? | |
Mein Bischof stellt mich mit einer halben Stelle frei für diese Arbeit. Das | |
heißt ja schon mal was. Viele Kollegen innerhalb der Kirche schätzen meine | |
Arbeit sehr und merken, dass da ein wichtiges Thema bearbeitet wird. | |
Andererseits bleiben aber auch viele bei der Überschrift hängen. Wenn man | |
nicht mal drei Sätze liest, sondern nur den Begriff, meinen Leute halt, das | |
ist wohl Spinnerei, der kümmert sich um psychotische Katzen und macht hier | |
irgend so einen Fundamentalismus auf. | |
Wie kommt es denn, dass Sie sich so intensiv mit Tieren beschäftigen? | |
Schon als Kind war ich leidenschaftlicher Biologe. Nach meinem | |
Theologiestudium und vier Jahren Arbeit in der Gemeinde brauchte ich von | |
alledem Abstand. Mit Billigung meines Bischofs habe ich dann noch einmal | |
Biologie studiert. Mit Staunen habe ich die Erkenntnisse der Biologie über | |
Denken, Fühlen und Kulturfähigkeit bei Tieren entdeckt und stellte fest, | |
dass das in der Theologie nicht angekommen ist. Außerdem nenne ich es eine | |
Empörung. Empörung darüber, dass Kirche, Theologie und Gemeinden angesichts | |
des unermesslichen Tierleidens heutzutage weiterhin schweigen. | |
Wie hat sich denn ein guter Christ gegenüber Tieren zu verhalten? | |
Ich glaube, das muss jeder selber für sich finden. Bei meinem | |
Konsumverhalten fängt es an: Welches Fleisch kaufe ich, welchen Beitrag | |
leiste ich dafür, dass die Regenwälder nicht weiter abgeholzt und die Meere | |
immer mehr leer gefischt werden – bis hin zur Frage des täglichen Umgangs | |
mit meinen Mitgeschöpfen. | |
Sind Sie Vegetarier? | |
Überwiegend schon. Ich esse ganz gern mal ein Stück Fleisch, aber dann | |
natürlich vom Biometzger nebenan. | |
Gerade zu Weihnachten sind Ochs und Esel allgegenwärtig. Welche Rolle | |
spielen diese Tiere bei Jesu Geburt? | |
Die Bibel redet davon nicht. Franz von Assisi hat als Erster Ochs und Esel | |
in die Krippe gestellt. Das liegt natürlich auch an der | |
agrarwirtschaftlichen Kultur. Diese Tiere waren einfach immer da. Da steht | |
nicht spektakulär eine Giraffe oder ein Krokodil, sondern die Tiere, mit | |
denen Israel permanent zu tun hatte. Jesus selbst reitet beim Einzug in | |
Jerusalem auf einem Esel. | |
22 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Lilian Grundler | |
## TAGS | |
Kolumne Wirtschaftsweisen | |
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