| # taz.de -- Linke Senatorin über Kampfbegriffe: „Bremen wird nicht extrem re… | |
| > Die Linke Kristina Vogt ist Bremens Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und | |
| > Europa. Ein Gespräch über die Rede von der gesellschaftlichen Mitte. | |
| Bild: Will Menschen in abgehängten Stadtteilen einbinden: Kristina Vogt | |
| taz: Frau Vogt, regieren Sie Bremen vom extremen Rand der Gesellschaft her? | |
| Kristina Vogt: Tja, das ist ja schon irgendwie echt absurd mit diesen | |
| Sortierungen. Die F.A.Z. hat neulich geschrieben, ich sei ein Ultrarealo. | |
| Das fand ich schon ein bisschen gemein. | |
| Am Abend der Thüringenwahl haben Sie die Rede von der Mitte | |
| „phrasenschweinverdächtig“ genannt. Was ist Ihr Problem damit? | |
| Das Konzept Mitte ist extrem dehnbar und total überlastet. Und an dem Abend | |
| wurde diese Mitte benutzt, um ein Drittel der Wähler auszugrenzen: allein | |
| auf der linken Seite. Wenn man dann noch die AfD-Wähler, ob man sie mag | |
| oder nicht, mit ihren 23 Prozent dazu zählt, ist das doch eine sehr | |
| schwierige Definition. Da wird einfach suggeriert, die | |
| bürgerlich-konservativ Wählenden wären die politisch korrekten und der Rest | |
| steht am Rand. Und deswegen: Es ist natürlich albern, dass Bremen extrem | |
| regiert würde – aber Mitte und Extreme sind im Moment so schräge politische | |
| Kampfbegriffe, dass sich damit wohl alles Mögliche sagen lässt. | |
| In Thüringen mögen das taktische Manöver gewesen sein. Aber Bremens | |
| CDU-Fraktionsvorsitzender Thomas Röwekamp hat ja auch hier von diesen | |
| Extremen gesprochen. Ist doch was dran an dem Diskurs? | |
| Das ist ein Versuch, die Deutungshoheit zurückzubekommen, nachdem die Union | |
| große Wählerschichten verloren hatte. Ich finde das allerdings nicht nur | |
| schief, sondern auch hochgefährlich. Wenn man so viele Wähler ausgrenzt, | |
| führt das ja gerade dazu, dass sich diese Menschen vom politischen System | |
| abwenden. Damit stellt die CDU selber erst her, was sie uns unterstellt. | |
| Ihre Partei hat das Links-Sein schon im Namen. Stellen Sie sich damit nicht | |
| selber an den Rand von etwas? Von so einer Mitte zum Beispiel? | |
| Es ist ja klar, dass wir politisch auf ein anderes politisches Klientel | |
| hinarbeiten als die CDU. Wobei überhaupt nicht gesagt ist, dass die | |
| entsprechenden Menschen uns auch wählen, nur weil wir sagen, dass Menschen | |
| in abgehängten Stadtteilen mehr repräsentiert werden müssen. Das ist unser | |
| Versuch, in diesem politischen System einen Ausgleich zu schaffen für | |
| diejenigen, die in einer bürgerlich geprägten Vertretung keine Stimme | |
| haben. Vielleicht sind das soziologische Ränder, aber sicher keine | |
| politischen Extreme. Im Gegenteil: Ich verstehe die repräsentative | |
| Demokratie ausdrücklich so, dass es über Parteien einen Ausgleich der | |
| verschiedenen Interessen gibt. | |
| Also geht es statt links und rechts um Schwachhausen und Gröpelingen? | |
| Nein, es geht um Inhalte. Wir haben mehr Wähler in den urbanen Vierteln als | |
| in Gröpelingen, obwohl wir auch da nicht so drastisch verloren haben wie | |
| SPD und CDU. Wenn man sich das Verhältnis genau anschaut, muss man | |
| vielleicht sagen: Wir werden mehr von den Sozialarbeitern gewählt, die in | |
| Gröpelingen arbeiten, als von den Menschen die dort leben. Das heißt aber | |
| ja trotzdem: Es ist wichtig, dass die Linke auch deren politische Position | |
| vertritt. | |
| Weil dort sonst die AfD kommt? | |
| Mir haben im Wahlkampf viele Leute gesagt, dass sie AfD wählen wollen, | |
| obwohl sie ein ordentliches Einkommen und ordentliche Berufe haben. Die | |
| haben Angst, dass die Welt sich verändert und sie da untergehen. Deswegen | |
| haben wir im letzten Wahlkampf ganz klar auch diese Wählerschichten | |
| adressiert. Und man kann ja auch nicht behaupten, dass wir damit erfolglos | |
| gewesen wären … | |
| Also, wer heute Angst um den Status quo hat, wählt nicht konservativ, | |
| sondern rechts oder links? | |
| Dass die Konservativen mit solchen Definitionen von Mitte ringen, zeigt | |
| doch die Unfähigkeit politischer Parteien, sich auf die | |
| gesellschaftspolitischen Prozesse überhaupt einzustellen. Die CDU müsste | |
| sich damit beschäftigen, was Strukturwandel bedeutet – was Digitalisierung? | |
| Die Leute haben Angst um ihre Arbeitsplätze und damit nicht nur den | |
| Eindruck, Verlierer der Digitalisierung sondern damit Verlierer der | |
| Gesellschaft zu werden, selbst wenn sie es finanziell auffangen könnten. | |
| Und wenn sie darum eine Partei wählen, die diese Demokratie abschaffen | |
| will, dann ist das ein Defizit der sogenannten Mitte. Die CDU verliert | |
| Wähler, ja – aus Gründen. Weil sie sich mit den drängenden Fragen der Zeit | |
| nicht beschäftigt. Übrigens auch in Bremen nicht. | |
| Die Digitalisierung haben Sie angesprochen, das andere große Thema in Ihrem | |
| Ressort ist die Ausbildungsfrage. Wie kann man das von links besser als von | |
| rechts handhaben? | |
| Klar ist Ausbildung und Qualifizierung das Thema schlechthin. Sämtliche | |
| Berufe sind im Wandel und die Anforderungen werden bis ins Handwerk immer | |
| komplexer. Es geht hier um zwei Sachen: Wir brauchen eine Trendwende, weil | |
| infolge des Bologna-Prozesses alles abgewertet wurde, was nicht Abitur war. | |
| Gleichzeitig haben wir aber auch immer weniger Menschen, die in duale | |
| Ausbildungen gehen. Und die das noch wollen, sind oft nicht in der Lage, | |
| die Prüfungen im ersten Durchgang zu schaffen. Da ist ein Gap, ein | |
| Warteschlagenproblem und natürlich auch ein Matching-Problem. Das wird | |
| nicht einfach zu lösen sein – und nicht ganz billig. Das ist Kern der | |
| Auseinandersetzung um den Ausbildungsfonds gewesen. | |
| Das ist ein klassischer Links-Rechts-Konflikt, oder? Viele in Ihrer Partei | |
| waren dafür, Betriebe zahlen zu lassen, die nicht ausbilden. CDU und FDP | |
| waren entschieden dagegen. | |
| Ich habe nicht die Illusion, dass Betriebe mehr ausbilden, wenn sie eine | |
| Abgabe zahlen müssen. Das sieht man ja auch an der Schwerbehindertenabgabe. | |
| Aber ich sage auch: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, | |
| Schulabsolventen zu unterstützen, die nicht in der Lage sind, eine | |
| Ausbildung ohne begleitende Hilfe zu absolvieren. Natürlich ist das auch | |
| eine finanzielle Herausforderung. Und ich finde nicht, dass das nur | |
| staatliche Aufgabe sein kann. Und dann sagen alle: das Bildungssystem hat | |
| versagt. Aber es versagt auch deshalb, weil es in Deutschland nicht darauf | |
| ausgerichtet ist, bestimmte soziale Milieus auch im Sinne eines | |
| Bildungserfolgs mitzunehmen. | |
| Also geht es um Betriebe gegen Schülerinnen und Schüler? | |
| Die Firmen wollen doch selber qualifizierten Nachwuchs. Da ist eine klare | |
| Schieflage, unter der auch Unternehmen leiden: Kleine und mittlere Betriebe | |
| bilden aus, teilweise auch über ihren eigentlichen Bedarfen. Manche große | |
| Betriebe tun es nicht und sind dann in der Lage, im Eintrittsgehalt noch | |
| einen Hunni draufzulegen. Das haben wir ganz massiv zum Beispiel in der | |
| Pflege gesehen, wo privatwirtschaftliche Träger die von den Öffentlichen | |
| Ausgebildeten wegschnappen. Da muss man schon sehr genau hinsehen und | |
| differenzieren, wenn man Lösungen will. Da geht es nicht so sehr um | |
| politische Koordinaten. Das kann man in politischen Diskussionen vielleicht | |
| mal so zuspitzen, aber bringen tut das nichts. | |
| Also doch eher Pragmatik und Klein-Klein? | |
| Die Frage ist doch, wie du das gestaltest. Klar bin ich da | |
| superpragmatisch, aber das heißt nicht, dass ich vergessen hätte, wo unsere | |
| Partei steht. Ich will Lösungen, die dafür sorgen, dass wir bestimmte | |
| Milieus nicht vergessen. Es ist ja nicht die Aufgabe der CDU, daran zu | |
| denken – das ist unser Job. Deswegen funktioniert parlamentarische | |
| Demokratie. Die läuft sicher nicht immer rund, aber hätten wir sie nicht, | |
| wäre alles noch sehr viel schlimmer. Dann hätten wir vielleicht | |
| Verhältnisse wie in den USA: Da interessiert es niemanden, was mit den | |
| Schwarzen und Latinos ist – ob die in Berufe kommen, oder nicht. | |
| Ja? Nehmen Sie es so wahr? | |
| Als wir in Washington waren, haben wir eine Stadt erlebt, die über die | |
| letzten 20 Jahren komplett gentrifiziert wurde. Vorher hatte die Stadt 70 | |
| Prozent schwarze Bewohner. Jetzt leben da gut verdienende Weiße. Ich habe | |
| die Leute gefragt, wo denn die Schwarzen jetzt seien. Das hat da niemanden | |
| interessiert. Die haben sich noch nicht einmal die Frage gestellt und das | |
| ist schon krass. Das meinte ich: Wir haben hier immer noch einen Ausgleich | |
| – auch weil wir dafür sorgen, dass solche Fragen nicht unter den Tisch | |
| fallen. | |
| 13 Nov 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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