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# taz.de -- Zürcher Bunker aus dem 2. Weltkrieg: Wehrhafte Schweiz
> Wie die Eidgenossen Hitlers Armee trotzen wollten: In Zürich kann man das
> anhand zahlreicher Bunker und Befestigungsanlagen besichtigen.
Bild: Einer der eilig hingeworfenen Bunker in Zürich: der A4839, MG-Stand mitt…
Kriegsgeschichte ist, wenn man sie von politischem Rechtfertigungsgerede
und Generalstabsweisheiten befreit, eine lehrreiche Sache: Zwei Studenten
der [1][ETH Zürich] dokumentieren in ihrer Masterarbeit die Überreste des
militärischen Verteidigungsdispositivs der Schweizer Armee gegen einen
erwarteten Angriff von Hitlers Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs.
Der „Fall Nord“ wie er im Jargon der Militärs hieß, beruhte auf der
Grundüberlegung, die Schweiz entlang der Linie von Sargans im Osten über
Zürich im Zentrum bis nach Basel im Westen zu verteidigen. In seinem
Operationsbefehl Nr. 2 vom 4. Oktober 1939, also gut einen Monat nach
Beginn des Zweiten Weltkriegs, befahl General Henri Guisan – die Schweizer
Armee hat in Friedenszeiten keinen, in Kriegszeiten immer nur einen General
– die militärische Befestigung der Linie Sargans–Zürich–Basel.
Für den zentralen Abschnitt der „Limmatstellung“ eruierten die Zürcher
Studenten 111 rund um Zürich verteilte und mehr oder weniger vollständig
erhaltene Befestigungsbauten: Bunker, geschützte Maschinengewehrstände,
Panzersperren, unterirdische Kommandoposten. Und dazu gibt es jetzt auch
die „Bunkerwanderkarte“ beim „[2][Zentrum Architektur Zürich]“.
## Offener Markt für Drogenabhängige
Allein im Zürcher Stadtzentrum finden sich neun erhaltene militärische
Befestigungen. Wer den Zürcher Hauptbahnhof in westlicher Richtung
verlässt, gerät auf das an der Limmat gelegene Platzspitz-Areal, eine
Halbinsel, die als „Needle Park“ in den 80er Jahren weltweite Berühmtheit
erlangte, weil sich hier täglich zwischen 2.000 und 3.000 Drogenabhängige
auf einem offenen Markt mit Stoff versorgten.
Allein 1991 gab es hier 21 Drogentote. Hunderte suchtkranke Menschen, die
Überdosen genommen hatten, wurden von Sanitätern gerettet, Polizei und
Behörden verloren die Kontrolle. Anfang 1992 wurde der Platzspitz
geschlossen, aber zunächst verlagerte sich die Szene nur, bis sich eine
realitätsgerechte, humane Drogenpolitik durchsetzte und internationale
Anerkennung erfuhr.
Folgt man vom Platzspitz aus dem linken Ufer der Limmat, dem Sihlquai,
betritt man ein weiteres Zürcher Konflikt- und Problemfeld, ein Gewerbe-
und Wohngebiet, an dem entlang sich bis 2013 der berüchtigte Straßenstrich
ausbreitete. Seither wurde die Straßenprostitution an die Peripherie, in
das Außenquartier Altstetten und die dort errichteten „Verrichtungsboxen“
ausgelagert.
## In großer Hektik errichtet
An diesem Abschnitt des Limmatufers, der ehemaligen „Limmatstellung“
mitten in der Stadt, finden sich noch vier Bunker, versteckt in den Sockeln
der Pfeiler von zwei Straßen- beziehungsweise Eisenbahnviadukten. Ein
Bunker wurde in den Sockel eines alten „Seiltransmissions-Umlenkungsturms“
eingebaut. Die Errichtung der Befestigungen erfolgte ab Oktober 1939 in
großer Hektik und ohne sachgerechte Koordination mit dem einzigen Ziel,
den virtuellen militärischen Gegner aus dem Norden in die Städte und
Dörfer zu locken und dort zum Kampf Haus um Haus zu zwingen.
Auch direkt an der Promenade zum Zürichsee (General-Guisan-Quai) sind noch
vier Leichtmaschinengewehrstände erhalten. Deren militärischer Sinn bleibt
jedoch restlos fragwürdig, denn die Stellungen sind auf den See
ausgerichtet. Mit einer Attacke der deutschen Binnenmarine oder mit der
Beschlagnahmung ziviler Schiffe für militärische Angriffe rechneten wohl
nicht einmal die exaltiertesten Schweizer Offiziersköpfe.
Zur Rechtfertigung der militärisch und politisch verrückten Idee, sich für
den „Fall Nord“ an der Limmatstellung im Kampf Haus um Haus zu verteidigen,
konnten General Guisan und sein Stab aber nicht einmal Mangel an Wissen und
die Unabsehbarkeit der Folgen ihres Handelns vorschützen.
## „Ein einziges Trümmerfeld“
Sie wussten, was sie taten, und der General selbst formulierte, was man am
Ende sehen würde, wenn der „Fall Nord“ einträte: „Ruinen, einen enormen
Block, einen dicht zusammengekneteten Kuchen von Ruinen, das ganze Ufer
entlang, keine Fassaden, keine Kirchen, keine Bäume mehr, ein einziges
Trümmerfeld, eine Mondlandschaft, […] alle die engen Straßen und Gassen
verstopft vom Schutt der eingestürzten Gebäude, alle Brücken zerstört.[…]
Eine Stadt, eine Stadtruine, die sich hält, verteidigt, nicht kapituliert
[…]“
Besonnene Köpfe versuchten vergeblich, die wild gewordenen Militärs und den
General von ihrem Vabanquespiel mit dem Häuserkampf abzuhalten. Dass die
nördliche Schweiz nicht zur „Mondlandschaft“ zusammengeschossen wurde,
liegt zuletzt an der Schweizer Armeeführung.
Im Mai/Juni 1940 gelang der Heeresgruppe C der deutschen Wehrmacht mit
Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (1881–1944) unter Verletzung der
belgischen Neutralität die Umgehung und mit Generaloberst Guderian die
Überwindung der Maginot-Linie.
Erst dieses Ergebnis moderner Kriegführung mit massierten Panzerverbänden
und Luftunterstützung – die Schweizer Armee verfügte 1939 über 24
Leichtpanzer und 38 Flugzeuge – öffnete General Guisan und der Armeeführung
die Augen für die Antiquiertheit und Aussichtslosigkeit ihrer
Verteidigungsstrategie mit der Option eines selbstmörderischen Orts- und
Häuserkampfs.
## Zeugen einer bizarren militärischen Entscheidung
Nach nur acht Monaten und viel Improvisation wurde dieses
Verteidigungsdispositiv sang- und klanglos verabschiedet. Übrig geblieben
sind die 111 Befestigungswerke allein im Raum Zürich als Zeugen einer
bizarren militärischen Entscheidung.
Angesichts des Schwindens der militärischen Bedrohung aus dem Norden
entschloss sich General Guisan Anfang Juli 1940, große Teile der Armee zu
demobilisieren und die Restarmee in den [3][Zentralraum der Alpen, ins
„Réduit“], zurückzuziehen.
Hier wurde in drei großen Bergfestungssystemen der Rückzugsraum für Teile
der Armee, für die Armeeführung, die politische Führung und das Parlament
geschaffen. Einen realistischen Tauglichkeitstest musste auch die
„Réduit“-Strategie nicht bestehen, denn die Schweiz blieb vom Kriege fast
vollkommen verschont. Der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt beschrieb in
seinen Notizen zum „Winterkrieg in Tibet“ (1981) mit scharfsinnigem
Sarkasmus eine militärisch-politische Elite, die sich vor der Welt, vor dem
Feind und vor dem eigenen Volk „in ihrem Bunker“ schützen müsse.
Die Strategie des „Réduit“ hat den Frieden von 1945 überdauert, weniger im
Dienst der Armee als im Interesse der Bau- und Betonindustrie, der es
gelang, das Bunkerbauen unter Bungalows und öffentlichen Gebäuden zur
nationalen Tugend zu erklären.
Die Stadt Luzern etwa baute 1987 einen zivilschutztauglichen Bunker für 50
Millionen Schweizer Franken, der im Stresstest jedoch nicht 10.000 Menschen
Schutz und Versorgung bot, sondern nur 200. Die Bundesregierung in Bern
wollte deshalb von der Stadt Luzern 40 Millionen Franken an Subventionen
erstattet haben. Der Betonindustrie war das egal, sie war längst aus dem
Schneider – und im nationalen Bunkermuseum ist noch viel Platz.
28 Nov 2019
## LINKS
[1] /Studieren-an-der-Elite-Uni-ETH-in-Zuerich/!5461348&s=eth+z%C3%BCrich/
[2] http://www.zaz-bellerive.ch
[3] /Historiker-ueber-Schweiz-und-Brexit/!5315093&s=r%C3%A9duit/
## AUTOREN
Rudolf Walther
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