| # taz.de -- Prozess wegen Völkermords in Ruanda: Kaffeedirektor vor Gericht | |
| > Ein 71-jähriger Ruander ist in Belgien angeklagt. Zu den Nebenklägern | |
| > gehört die belgische Überlebende eines Massakers, das er veranlasst haben | |
| > soll. | |
| Bild: Belgiens Ex-Premier Charles Michel bei einer Gedenkfeier zum Völkermord … | |
| Brüssel taz | Unter großen Erwartungen ist am Donnerstag vor einem | |
| Schwurgericht in Brüssel der Prozess gegen einen 71-jährigen Ruander | |
| eröffnet worden. Der Prozess gegen Fabien Neretse ist der fünfte in Belgien | |
| in Zusammenhang mit dem [1][Völkermord an Ruandas Tutsi 1994], aber der | |
| erste, in dem die Anklage explizit auf Völkermord lautet. | |
| Auf den Bänken der Nebenkläger nahmen Hinterbliebene von Völkermordopfern | |
| Platz: die Belgierin Martine Beckers, deren Schwester Claire mit ihrem | |
| ruandischen Ehemann Isaic Bucyana, ein Tutsi, und ihrer 20-jährigen Tochter | |
| Katia am 9. April 1994 im Stadtteil Nyamirambo der ruandischen Hauptstadt | |
| Kigali ermordet wurde. Der Angeklagte, damals Direktor der ruandischen | |
| Kaffeebehörde Ocir-Café, ein Hutu, war damals dort ihr Nachbar gewesen. | |
| Laut Anklage holte Neretse an jenem Tag zwei Lastwagen voller | |
| Interahamwe-Milizionäre, der Jugendverband der damaligen ruandischen | |
| Regierungspartei, um die Familien Bucyana-Beckers und zwei weitere | |
| Familien, Gakwaya und Sissi, daran zu hindern, Zuflucht in einer Basis der | |
| UN-Blauhelme in Kigali zu suchen. Die organisierten Massaker an Tutsi und | |
| Gegnern der damaligen ruandischen Regierung wüteten da schon seit zwei | |
| Tagen. Als die Milizionäre mit Soldaten anrückten, eröffneten Letztere | |
| sofort das Feuer. Claire Beckers starb als Erste, danach zehn weitere. Zwei | |
| Menschen überlebten. | |
| Fabien Neretse soll danach nach Mataba gereist sein, nahe der Stadt | |
| Ruhengeri im Nordwesten Ruandas, um dort eine Interahamwe-Miliz zu gründen, | |
| die Massaker beging. Zwei Opfer werden namentlich genannt: Anastase | |
| Nzwamwita, ehemaliger Angestellter der Kaffeebehörde und im Mai 1994 in | |
| einen Fluss geworfen, sowie Joseph Mpendwazi, im Juni von Interahamwe in | |
| Begleitung von Neretse verschleppt. | |
| ## Der Angeklagte streitet jede Verantwortung ab | |
| Der Angeklagte wurde im Jahr 2011 in Frankreich, wo er seit zehn Jahren | |
| gelebt hatte, in Untersuchungshaft genommen, kam dann aber wieder frei und | |
| nimmt an diesem Prozess ohne Haft teil, obwohl ihm als Angeklagter der | |
| „ersten Kategorie“ ruandischer Völkermordtäter – also Planer und | |
| Organisatoren – eine lebenslange Freiheitsstrafe droht. Er streitet jede | |
| Verantwortung für die Morde ab. Im Fall Mpendwazi, so seine Verteidigung, | |
| habe die Armee ihm befohlen, Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, er aber | |
| selbst habe die Verschleppung nicht veranlasst. | |
| „Es nervt mich, seinen Anwalt sagen zu hören, dass er unschuldig sei“, | |
| sagte Martine Beckers im belgischen Rundfunk. „Ich habe die Anklageschrift | |
| gelesen. Ich kenne diese Person. An seiner Beteiligung besteht kein | |
| Zweifel.“ Am Freitag soll die Befragung des Angeklagten beginnen. Der | |
| Prozess dürfte rund sechs Wochen dauern. | |
| Brüssel ist in Europa Vorreiter der juristischen Aufarbeitung des | |
| ruandischen Völkermords. 2001 wurden in Belgien zwei ruandische Nonnen | |
| angeklagt, die im April 1994 Tausende von Tutsi, die in ihrem Kloster Sovu | |
| Zuflucht vor den Mordmilizen gesucht hatte, an die Milizen ausgeliefert | |
| hatten. Das war ein Pilotverfahren. Seitdem hat ein Land nach dem anderen | |
| begonnen, flüchtige Beteiligte am Völkermord aufzuspüren und vor Gericht zu | |
| stellen. | |
| Die Ermittlungen des belgischen Staatsanwalts Damien Vandermeersch im Jahr | |
| 2001 waren, schreibt die Zeitung La Libre Belgique, ein wichtiger Impuls | |
| für das damals noch sehr unerfahrene [2][Ruanda-Völkermordtribunal der | |
| UNO]. Erst später erklärte dieses Tribunal den Völkermord in Ruanda zu | |
| einer juristisch unstrittigen historischen Tatsache, die nicht mehr bei | |
| jedem Verfahren neu nachgewiesen werden müsse. Die ersten Ruanda-Prozesse | |
| in Belgien basierten noch auf den Anklagen „Kriegsverbrechen“ und | |
| „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. | |
| 7 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| François Misser | |
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