# taz.de -- Opposition in der Türkei: Freilassung aus politischen Gründen | |
> Nach langer Haft kommen die Schriftsteller Ahmet Altan und die | |
> Journalistin Nazlı Ilıcak frei. Die Türkei verlassen dürfen sie nicht. | |
Bild: Der türkische Journalist Ahmet Altan (Archivaufnahme) ist frei – aller… | |
Istanbul taz | Nach mehr als drei Jahren in Haft sind der Schriftsteller | |
[1][Ahmet Altan] (69) und die Journalistin Nazlı Ilıcak (75) in der | |
vergangenen Nacht aus der Haft entlassen worden. Ein Gericht hatte sie am | |
Montagabend unter Auflagen freigelassen. | |
Ahmet Altan, einer der berühmtesten Schriftsteller der Türkei, hatte sich | |
fünf Jahre lang als Chefredakteur der Tageszeitung Taraf als Journalist | |
betätigt und dabei mehrfach im Zentrum heftiger politischer | |
Auseinandersetzungen gestanden. | |
Nazlı Ilıcak ist eine konservative Journalistin, die lange als Grande Dame | |
der türkischen Medienlandschaft galt. Sie war auch eine Legislaturperiode | |
lang Abgeordnete im Parlament, und zwar in den Reihen der islamischen | |
Fazilet (Tugendpartei) – der Vorläuferin der AKP. | |
Als die beiden kurz nach dem Putschversuch 2016 verhaftet wurden, war das | |
für viele ein Schock, weil sich bis dahin kaum jemand vorstellen konnte, | |
dass derart prominente Figuren im Knast landen könnten. Beide wurden | |
beschuldigt, von dem Putschversuch vorab gewusst zu haben und ihn | |
unterstützt zu haben. | |
## Furiose Verteidigungsrede | |
In seinem Prozess 2017 hatte Ahmet Altan in einer furiosen | |
Verteidigungsrede die Anklage auseinandergenommen und klargemacht, dass es | |
bei ihm und Nazlı Ilıcak einzig und allein darum gehe, zwei prominente | |
Kritiker des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mundtot zu machen. Trotzdem | |
wurde er erwartungsgemäß zu lebenslänglicher Haft verurteilt. | |
Im Knast schrieb er das Buch „Ich werde die Welt nie wiedersehen“, eine | |
klarsichtige Abrechnung mit der Herrschaft Erdoğans und anderer Autokraten | |
weltweit. Für dieses Buch wird er Ende November in München mit dem | |
Geschwister-Scholl-Preis geehrt. | |
Doch trotz seiner Freilassung wird Ahmet Altan den Preis nicht selbst in | |
Empfang nehmen können. Wie Nazlı Ilıcak darf auch er die Türkei nicht | |
verlassen. Anfang 2018 waren Altan und Ilıcak zu lebenslanger Haft | |
verurteilt worden, Anfang 2019 hatte das oberste Berufungsgericht der | |
Türkei die Urteile „lebenslänglich“ gegen ihn und Nazlı Ilıcak aufgehob… | |
Die beiden hätten nicht wegen Verstoßes gegen die Verfassung verurteilt | |
werden dürfen, sagten die obersten Richter, sondern lediglich wegen der | |
Unterstützung der islamistischen „Gülen-Bewegung“. Sie wird in der Türkei | |
für den Putschversuch hauptsächlich verantwortlich gemacht. | |
## Klares Indiz | |
In dem erneuten Verfahren vor dem zuständigen Strafgericht in der | |
vergangenen Woche hatten die Richter Ahmet Altan zu zehn und Nazlı Ilıcak | |
zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Dennoch ließen die Richter die beiden | |
unter Auflagen frei, weil sie bereits drei Jahre im Gefängnis verbracht | |
haben. | |
Die Freilassung ist ein klares Indiz, dass ein großer Teil der türkischen | |
Justiz sich mit den politischen Urteilen gegen Kritiker der Regierung aus | |
der Post-Putsch-Phase zunehmend unwohl fühlt. Wie Ahmet Altan in seiner | |
Verteidigungsrede schon deutlich gemacht hatte, können sich | |
„Unrechtsregime“ nur eine begrenzte Zeit an der Macht halten. So wie die | |
beiden aus politischen Gründen verurteilt wurden, kommen sie nun auch aus | |
politischen Gründen wieder frei. Die Zeiten in der Türkei ändern sich. | |
5 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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