# taz.de -- Kolumne Heult doch!: Kopffüßler im letzten Kitajahr | |
> Man könnte das letzte Kitajahr einfach genießen – wenn nicht Kinderärzte | |
> und Erzieherinnen den Zoom auf das künftige Schulkind richten würden. | |
Bild: Reicht das schon für die Schule? | |
Für den Kleinen ist das letzte Kitajahr angebrochen. Man könnte das einfach | |
genießen, diese Freiheit, bevor Hausaufgaben, Schulferien und Stundenpläne | |
einen Takt vorgeben, von dem man sich nie wieder freimachen wird. Weil aus | |
Stunden- später Dienstpläne werden, dafür macht man ja Hausaufgaben, dass | |
das später klappt mit dem Job. | |
Ja, genau, der Kapitalismus ist eine verdammte Stechuhr und frisst unsere | |
Kinder etc. pp., und das wissen wir ja längst, aber etwas Besseres ist uns | |
Erwachsenen bisher nicht eingefallen. Jedenfalls geht diese ganze | |
Herumoptimiererei am Kind ziemlich genau dann los, wenn das letzte Kitajahr | |
anfängt. Dann packen Kinderärzte und Erzieherinnen den Zoom aus und gucken | |
sich den Leistungsträger in spe genauer an: Hält er den Stift korrekt? Das | |
leichte Lispeln bei „Schokolade“ ist immer noch nicht weg? Ab zum | |
Logopäden! | |
Damit das nicht falsch verstanden wird: Ich bin ein Fan von | |
Vorsorgeuntersuchungen, ich habe bei meinen beiden Kindern bisher nicht | |
eine einzige verpasst. Die Vorteile, die zwei Kitajahre auf die sprachliche | |
Entwicklung der Kinder haben, insbesondere wenn es nicht um Peanuts wie ein | |
bisschen Lispeln beim Wort Schokolade geht, sind mir bekannt. Ich bin auch | |
interessiert daran, was die Erzieherin über mein Kind denkt, denn ich | |
glaube, dass Eltern ihre Kinder lieben und genau deshalb nicht immer in | |
klarem Licht sehen. | |
Außerdem habe ich, apropos anstrengen, meinem großen Sohn neulich einen | |
langweiligen Vortrag darüber gehalten, dass ich es extrem blöd finde, wenn | |
er seine falsch geschriebenen Vokabeln im Englischtest nicht in sein | |
Karteikartendings übertragen wolle, weil, wozu kaufe ich das Dings, von | |
alleine lerne er sie wohl kaum … ein bisschen anstrengen müsse er sich. (Es | |
war abends, ich war gerade über die seit Tagen nur halb aufgebaute | |
Carrera-Bahn gestolpert, hatte lange nichts gegessen und war genervt.) | |
Ich ziehe also voll mit als vollwertiges Mitglied dieser | |
Leistungsgesellschaft. Und trotzdem saß ich neulich bei dieser | |
Vorsorgeuntersuchung, ein Jahr bevor die Schule losgeht, und hatte keine | |
Lust auf das, was da kommen würde. | |
„So“, sagte die Arzthelferin und rückte das Kind an einen Tisch, darauf ein | |
Blatt Papier und fünf Buntstifte, „wer ist denn dein Freund in der Kita?“ … | |
„Ähm, F.“, sagte das Kind. – „Gut, dann malst du jetzt mal F. und den … | |
da vor dem Fenster und dein Haus.“ – „Uh“, sagt das Kind, „das wird s… | |
Ich würde sagen: Das wird unmöglich, mein Kind malt weder Bäume noch Häuser | |
und auch seine Freunde nicht. Es malt überhaupt nicht, obwohl wir viele | |
Buntstifte haben, alle angespitzt, denn sie nutzen sich ja nicht ab. Das | |
große Kind malt nämlich auch nicht freiwillig (schreiben kann es trotzdem, | |
und das sogar so, dass man es lesen kann). | |
## Die Dreiecke klappen | |
Zum Glück ist die Praxis voll, und weil die Arzthelferin zu dem | |
kreischenden Kleinkind eilt, dass geimpft werden soll (impfen finde ich | |
auch toll!), haben wir Zeit für die Malaufgabe. Das Kind guckt ratlos auf | |
das Blatt, den Stift immerhin in der Hand. „Hm“, sagt es und malt bei dem | |
Versuch, sein Haus zu zeichnen, aus Versehen zwei parallele Striche, die | |
aussehen wie ein Stamm. Den Baum hätten wir also, F. gesellt sich als | |
Kopffüßler dazu, das Haus ist im Wesentlichen ein Dach – immerhin, die | |
Dreiecke klappen. | |
Klar, das reicht nicht: „Also, ich würde sagen, an der Feinmotorik müssen | |
Sie arbeiten“, sagt der Arzt. Und zum Kind: „Achtet denn deine Mama darauf, | |
dass du ordentlich mit Messer und Gabel isst?“ – „Nein“, sagt das Kind.… | |
„Also wir üben das schon“, sagt die „Mama“. Das Kind guckt irritiert. | |
Wir haben also viel zu tun, bis die Schule anfängt. Das Kind muss malen | |
lernen, und eine Schleife binden können soll es auch. (Erzieherin: „Das ist | |
klassisches Vorschulprogramm!“) Es muss Schokolade sagen und die am besten | |
auch mit Messer und Gabel verspeisen können. Und das Seepferdchen-Abzeichen | |
wäre auch nicht schlecht. Wir werden uns anstrengen. | |
17 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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