| # taz.de -- Kolumne Heult doch!: Leiden muss nur der Dino | |
| > Das entspannte Beziehungsleben eines Fünfjährigen: Was man von Kindern | |
| > übers Verliebtsein lernen kann. | |
| Bild: Manchmal mysteriös: die Liebe | |
| Das Kind guckt nachdenklich auf den kleinen Plastikdinosaurier in seiner | |
| Hand, renkt der Figur in Zeitlupe ein Bein ein und wieder aus (ja, Kinder | |
| sind grausam) und sagt: „Hm.“ – „Hm?“, frage ich zurück, gerade gefa… | |
| so schwierigen Überlegungen wie der, ob ich noch mal einkaufen gehen sollte | |
| oder mir gleich beim Abendbrot lieber das Geschrei über das zu trockene | |
| Brot von vorgestern anhöre. | |
| „Hm, was bedeutet das eigentlich genau: verknallt?“, fragt der Kleine und | |
| renkt – quietsch, quietsch – dem armen Dino das Bein wieder aus. – „Äh, | |
| also, wenn man in jemanden verliebt ist, das heißt, wenn du jemanden total | |
| gerne hast...“, sage ich. – „Ach so!“, unterbricht mich der Fünfjähri… | |
| „dann bin ich also verknallt!“, offenbar schwer erleichtert, dass | |
| wenigstens ein Mysterium auf dieser Welt geklärt ist. Sein großer Bruder, | |
| der gerade schon rot anläuft um die tatsächlich picklig werdende Nase, wenn | |
| man das Wort Mädchen in seiner Gegenwart auch nur ausspricht, rennt | |
| hysterisch prustend in sein Zimmer. | |
| „Ach“, sage ich zum Kleinen. „Und in wen bis du verknallt?“ Es stellt s… | |
| heraus, dass das arme Kind gleich zweifach verknallt ist. Zwei Mädchen aus | |
| seiner Kitagruppe sind die, nun ja, ich hoffe mal, Glücklichen, V. und E. | |
| Bei Letzterer wird er ein bisschen rot. Erstere wird hingegen nur beiläufig | |
| erwähnt, immerhin war er mit V. ja sogar schon mal einen Vormittag lang | |
| verheiratet. „Die kennst du doch schon, Mama!“ | |
| Mein Sohn, hatten mir die Erzieherinnen damals nachmittags beim Abholen | |
| zwischen mindestens drei bis fünf Lachanfällen erzählt, habe V. im | |
| Morgenkreis ins Ohr geflüstert, ob er sie vielleicht heiraten solle. | |
| Vielleicht sogar jetzt gleich? V. habe eingewilligt, allerdings habe sie | |
| darauf bestanden, unter dem Namen Dornröschen geehelicht zu werden. Ein | |
| paar andere Kinder hätten dann ein Lied gesungen, und getanzt wurde wohl | |
| auch. | |
| Die beiden seien aber inzwischen wieder getrennt, so wurde mir weiter | |
| kichernd kolportiert, mein Sohn habe nämlich ausgerechnet E. vorhin bei der | |
| Schaukel ein Geheimnis ins Ohr geflüstert – das wiederum ging „Dornrösche… | |
| zu weit, eine offene Beziehung war mit ihr nicht zu haben. Es gab Streit | |
| und schließlich die einvernehmliche Trennung zur Vesperzeit: „V. wollte | |
| nicht mehr, und ich suche mir eine richtige Frau, wenn ich groß bin“, | |
| erklärte mir mein Sohn und schob trotzig sein Fahrrad durchs Kitator. | |
| Ich frage mich ja, warum wir Erwachsenen uns immer so kaputtlachen über | |
| diese kindlichen Liebesgeschichten. Vermutlich, weil man so besser über | |
| sich selbst lachen kann. Comic relief nannte man das, glaube ich, in meinem | |
| Englischstudium, befreiende Komik also, und im Wesentlichen heißt das, dass | |
| man irgendwo in einem Buch anfängt zu lachen, weil die Story zwar total | |
| dramatisch und ernst ist, aber irgendwer macht oder sagt etwas Lustiges, | |
| und das Lachen soll dann guttun. | |
| Diese Kinderverliebtheiten jedenfalls sind banal und komisch und immer ein | |
| bisschen zu dramatisch und deshalb kein bisschen anders als das, was dann | |
| später kommt. | |
| Eine Freundin hat auf mindestens 500 freitäglichen Laufkilometern mit mir | |
| und während zehn vergeblicher Sitzungen mit ihrem Therapeuten über Monate | |
| versucht zu ergründen, warum verdammt sie nicht in F. verliebt ist (so, wie | |
| zuvor schon nicht in T. oder in S.) und warum ihr F. nach einem gemeinsamen | |
| Wochenende gar immer massiv auf die Nerven fällt, obwohl sie sich doch | |
| „echt Mühe“ gebe mit dem Verlieben und es doch objektiv überhaupt nichts | |
| auszusetzen gebe an F. und auch an S. nicht – okay, an H. und T. schon. | |
| Ein Pärchen im Bekanntenkreis wiederum hat beschlossen, statt einer | |
| eingeschlafenen fortan eine offene Beziehung zu führen. Tatsächlich brachte | |
| das einiges in Schwung, die Scheidung steht jedenfalls an. | |
| „Und, hast du E. und V. denn schon gesagt, dass du in sie verknallt bist?“, | |
| frage ich den Fünfjährigen. – „Ach nee, Mama“, sagt das Kind und guckt … | |
| an, als ob ich völlig bescheuert wäre. „Das muss ich doch nicht sagen. Das | |
| wissen die schon.“ | |
| Ich habe dann beschlossen, fortan in der Hinsicht meinem Kind nichts mehr | |
| beibringen zu wollen. Ich lerne jetzt von ihm. | |
| Bei meiner Freundin kam nach F. schließlich K. Sie war sogar verliebt, und | |
| er ging ihr auch überhaupt nicht auf die Nerven. Das Problem war jetzt | |
| eher, wie man das sagt. „Das musst du doch nicht sagen“, sagte ich, „das | |
| weiß der schon.“ | |
| 29 Aug 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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