| # taz.de -- Parlamentswahl in Weißrussland: Heimspiel für Lukaschenko | |
| > Am Sonntag findet eine vorgezogene Abstimmung statt, die Ergebnisse | |
| > stehen bereits fest. Schon jetzt sind zahlreiche Fälschungen | |
| > dokumentiert. | |
| Bild: Demonstration der Opposition eine Woche vor der Wahl in Minsk | |
| Minsk taz | Treffpunkt ist ein Café unweit des Platzes des Sieges in der | |
| weißrussischen Hauptstadt Minsk. Die Parteizentrale sei verwanzt, sagt | |
| Juras Hubarewitsch, der Chef der proeuropäischen Oppositionspartei Für die | |
| Freiheit (Za Swobodu). | |
| Der Mitvierziger hat frische Neuigkeiten von der vorzeitigen Stimmabgabe. | |
| Im Wahllokal Nummer 571 habe er am Dienstagabend elf Stimmzettel in den | |
| Urnen gezählt. Auf dem am Morgen danach ausgehängten Protokoll seien 107 | |
| Wähler vermeldet worden. Hubarewitsch rief die Polizei und wollte Anzeige | |
| wegen Wahlbetrugs erstatten. Darauf stehen fünf Jahre Gefängnis. | |
| Dasselbe wiederholte sich am Mittwoch im Wahllokal Nummer 565. Auch dort | |
| war die Zahl der abgegebenen Stimmzettel um das zehnfache höher als in | |
| Wirklichkeit. Die Polizei verweigerte die Annahme der Anzeige, sie drohte | |
| Hubarewitsch vielmehr mit Gegenmaßnahmen. | |
| Der prowestliche Oppositionspolitiker hat alles mit seinem Handy | |
| aufgenommen. Im Café zeigt er seine Aufnahmen. „Der Sieg ist eh auf | |
| Lukaschenkos Seite“, sagt Hubarewitsch. „Die Stimmen werden um das | |
| zehnfache erhöht, wenn mehr als 50 Prozent der Bürger zur Urne gehen, sind | |
| die Wahlen gültig.“ | |
| ## Vorfristig zur Abstimmung | |
| [1][Der weißrussische Autokrat Aleksander Lukaschenko], der seit 1994 | |
| regiert, lässt diese Woche ein neues Parlament wählen. Wie immer müssen | |
| Studierende, Armeeangehörige und Häftlinge in den fünf Wochentagen vor | |
| Sonntag wählen. Hauptwahltag ist am Sonntag. | |
| Die vorzeitige Stimmabgabe öffne laut [2][OSZE] und Opposition der | |
| Wahlfälschung Tür und Tor. „In der Nacht zum Samstag werden jeweils ganze | |
| Packen von bereits ausgefüllten Stimmzetteln dazu gelegt“, sagt | |
| Hubarewitsch. Die internationalen Wahlbeobachter sind am Sonntag unterwegs. | |
| „Die Resultate stehen schon fest. Lukaschenkos Kandidaten gewinnen“, glaubt | |
| Hubarewitsch. | |
| Dennoch setzt seine Partei Für die Freiheit ihren Wahlkampf fort. Denn nur | |
| einen Monat alle vier Jahre darf öffentlich politische Werbung gemacht | |
| werden, die von den Inhalten Lukaschenkos abweicht. Diese Chance will sich | |
| keine der knapp zehn Oppositionsparteien von den Kommunisten bis zu den | |
| Rechtskonservativen entgehen lassen. | |
| Dieses Jahr hat der Diktator die Parlamentswahlen um ein Jahr vorgezogen. | |
| Für die 110 Parlamentssitze dürfen 516 Kandidaten antreten, wie die | |
| Präsidentenzeitung Belarus Segodnia (Weißrussland heute) berichtet. 13 | |
| Kandidaten hätten in letzter Minute wieder ausgeschlossen werden müssen, 33 | |
| freiwillig verzichtet, schreibt das stramme Lukaschenko-Organ. | |
| ## Von der Liste gestrichen | |
| Ein prominentes Opfer der nachträglichen Ausschlüsse ist die liberale | |
| Vereinigte Bürgerpartei (OGP). Oppositionspolitiker Anatoli Lebedko, einst | |
| Parteichef und politischer Gefangener, erzählt im 17. Stock eines | |
| Geschäftshauses im Zentrum von Minsk aus welch fadenscheinigen Gründen die | |
| OGP-Kandidaten wieder von den Wahllisten gestrichen wurden. | |
| Einer Kandidatin etwa sei die Organisation einer unerlaubten Demo | |
| vorgeworfen worden, klagt Lebedko. Auch er trauert nur den verlorenen | |
| Wählertreffen nach. „Das Parlament hat unter Lukaschenko eh keine Macht“, | |
| sagt Lebedko. | |
| Bei der letzten Parlamentswahl 2016 ließ Lukaschenko erstmals zwei | |
| Abgeordnete der Opposition in seine handverlesene Obere Kammer. Für 2019 | |
| rechnet Lebedko erneut mit ein paar „unabhängigen“ Abgeordneten, die jedoch | |
| eher stillhalten würden. „Eine wirkliche Opposition wird genauso wenig | |
| zugelassen, wie die Stimmen in der Wahlnacht zum Montag wirklich ausgezählt | |
| werden“, sagt Lebedko. | |
| Beobachter rechnen damit, dass 2019 noch etwas mehr als üblich gefälscht | |
| werden muss, denn die Zustimmung zu Lukaschenkos Regierung ist so niedrig | |
| wie lange nicht mehr. Das hängt damit zusammen, dass der Autokrat nicht | |
| einmal mehr Wahlgeschenke verteilen konnte, seitdem der bisherige | |
| Verbündete Russland seine wirtschaftlichen Subventionen fast ganz | |
| gestrichen hat. | |
| Das Verhältnis zwischen Lukaschenko und Putin ist angespannt. Umso größer | |
| wurde in Minsk Lukaschenkos Besuch in Wien von Anfang der Woche gefeiert. | |
| „Eine Partnerschaft mit reicher Geschichte“, hatte Belarus Segodnia | |
| getitelt. Lukaschenkos Plan ist klar: Er will Brüssel wieder gegen Moskau | |
| ausspielen und von beiden Geschenke erhalten. Die EU scheint bereitwillig | |
| in diese Falle zu tappen. „Der Druck des Westens, dass freie und faire | |
| Wahlen abgehalten werden, ist nicht mehr spürbar“, sagt Lebedko resigniert. | |
| 16 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Paul Flückiger | |
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