# taz.de -- Elternratsvorsitzender über Rücktritt: „Es gab Diffamierungen“ | |
> Der Vorsitzende des niedersächsischen Landeselternrats, Mike Finke, legt | |
> sein Amt nieder. Seine Vorschläge sorgten für heftigen Gegenwind. | |
Bild: Unterrichtsausfall finden alle fatal. Aber was man dagegen tun sollte, is… | |
taz: Herr Finke, nach zwei Jahren als Chef des Niedersächsischen | |
Landeselternrats sind Sie jetzt vom Amt zurückgetreten. Warum? | |
Mike Finke: Die Angriffe gegen mich als Person und als Vorsitzender waren | |
zu stark. Seit elf Jahren bin ich als Elternvertreter aktiv, davon über | |
neun Jahre im Vorstand des Landeselternrats Niedersachsen. Ich habe also | |
schon einiges erlebt in diesem Ehrenamt. Auch mit Gegenwind kann ich | |
umgehen, das muss man aushalten können in solch einer Funktion als | |
Interessenvertreter der Erziehungsberechtigten von 1,1 Millionen | |
Schülerinnen und Schülern in Niedersachsen. Aber jetzt war ein hinnehmbares | |
Maß eindeutig überschritten worden. | |
Was bekamen Sie zu hören? | |
Ich sei unfähig, fachlich inkompetent, ich solle zurücktreten. Es gab | |
darüber hinaus Diffamierungen und Verleumdungen meiner Person gegenüber, zu | |
denen ich mich hier nicht weiter äußern möchte. | |
Warum sollten Sie zurücktreten? | |
Oft wegen ganz „banaler“ Dinge, die ich gesagt habe. Die manche aber | |
offensichtlich nicht hören wollten. Beispielsweise habe ich Ende des | |
vergangenen Jahres in einem Interview gesagt, dass lange Schulwege die | |
Familie belasten. Ich selbst erlebe das täglich. Meine Familie wohnt auf | |
dem Land, meine Kinder haben einen Schulweg von circa 90 Minuten pro | |
Strecke. Wenn sie nach Hause kommen, nach einem Schultag mit | |
Ganztagsunterricht, sind sie total erledigt und müssen oft erst einmal ein | |
wenig schlafen. Dann wachen sie am Abend auf und machen ihre Hausaufgaben. | |
Das belastet, und zwar alle in der Familie. | |
Manche empfinden das als Jammern auf hohem Niveau? | |
Ich bekam „Erziehungsratschläge“, so etwas wie: Soll er doch in die Stadt | |
ziehen. Oder: Will der jetzt eine eigene Buslinie? | |
Im Sommer haben Sie Lehrkräften eins eingeschenkt und ihnen – zugespitzt | |
formuliert – Jammern auf hohen Niveau bescheinigt: Sie bekämen viel Geld | |
für wenig Arbeit. | |
Dafür habe ich einen regelrechten Shitstorm geerntet, vielfach wurde mir | |
die Kompetenz abgesprochen, darüber urteilen zu können. Ich war überrascht, | |
weil ich als Vater und als Elternvertreter täglich sehe, welcher | |
Arbeitsbelastung Lehrkräfte ausgesetzt sind. Das sage ich auch. Die | |
Anforderungen sind gestiegen, die Arbeit an den Schulen wird durch den | |
Lehrkräftemangel zusätzlich erschwert. Das gehört dringend geändert. Aber | |
eben nicht allein durch höhere Gehälter. Dass ich vieles in manchen Medien | |
Abgedruckte im Übrigen so nie gesagt habe, interessierte allerdings kaum. | |
Mehr Geld bedeutet mehr Anerkennung der Leistung. | |
Fallen aber allein durch mehr Geld für die Lehrkräfte weniger | |
Unterrichtsstunden aus? | |
Wodurch würde der Stundenausfall denn verringert? In Niedersachsen fehlen | |
über 300 Lehrkräfte. | |
Indem beispielsweise Förster als Unterstützer für Sachkundelehrer | |
eingesetzt werden. Nicht alle scheinen zu wissen, dass man studieren muss, | |
um Förster zu werden. Ich kann mir auch temporäre Kooperationen mit anderen | |
Berufssparten vorstellen. Warum sollte ein Wattführer nicht mal ein Projekt | |
„Watt“ in der Schule übernehmen? Schließlich ist er der Experte für das | |
Thema. | |
Ihre Idee findet keinen Zuspruch? | |
Jeder Unterricht, den Quereinsteiger übernehmen, ist auf jeden Fall besser | |
als jede ausgefallene Stunde. Über die Qualität der Ausbildung von | |
Quereinsteigern muss an anderer Stelle diskutiert werden. | |
Eigentlich müssen Ihnen die Lehrkräfte dankbar sein für Ihre Offenheit? | |
Leider ist das Gegenteil der Fall. Viele halten meine Vorschläge für | |
unprofessionell. Ebenso meine Forderung, beispielsweise wegen der | |
wachsenden Anzahl verhaltensauffälliger Kinder und der Inklusion verstärkt | |
Erzieher, Sozialpädagogen und Therapeuten in den Grundschulen einzusetzen | |
und dadurch Lehrkräfte zu entlasten. | |
Hat Sie denn niemand unterstützt? | |
Doch, es gab durchaus Unterstützung von Personen in Gewerkschaften und | |
anderen Verbände, die mir zur Seite gesprungen sind. Aber in der Breite | |
sind nur wenige aufgestanden. | |
Woran liegt das? | |
Ich habe das Gefühl, dass viele aus einer Angst heraus schweigen, selbst | |
solchen Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Niemand möchte „infiziert“ werden, | |
viele verhalten sich opportunistisch. | |
Auch Eltern? Immerhin sind sie und ihre Kinder Leidtragende einer | |
unglücklichen Bildungspolitik. | |
Es sollte unbedingt ein rückschlussfreies Beschwerdemanagement für Eltern | |
geben. Wenn sie also mit irgendetwas nicht einverstanden sind oder sehen, | |
wo etwas schiefläuft in der Schule, sollte es eine unabhängige Stelle | |
geben, die prüft, was an den Vorwürfen dran ist. Das würde meines Erachtens | |
persönliche Angriffe und Verleumdungen sowie die oft anonymen Angriffe im | |
Netz eindämmen. | |
Sollte der Staat gegen Hate Speech und digitale Übergriffe vorgehen? | |
Ich bin kein Freund von bevormundenden Regelungen. Aber hier plädiere ich | |
klar für ein Eingreifen des Staates. Besser wäre zwar, auf Anfeindungen im | |
Netz moderierend zu reagieren, also dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst | |
zu hartem Hate Speech kommt. Aber jene, die davon betroffen sind, sollten | |
mehr staatliche Unterstützung bekommen. | |
11 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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