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# taz.de -- Proteste in Algerien: Präsidentenwahl wird zu einer Farce
> Trotz Polizeigewalt lassen die Demonstranten nicht locker. Sie und die
> Opposition fordern einen Wahlboykott. Denn nur fünf Kandidaten dürfen
> antreten.
Bild: Proteste gegen Algeriens Regierung am 1. November in Algier
Tunis taz | Algeriens Staats- und Sicherheitsapparat geht zunehmend
repressiv gegen [1][Protestbewegung und Opposition] vor. Zwar wurde das
Gros der im Rahmen der imposanten Massenproteste vom vergangenen Freitag
verhafteten Demonstranten wieder freigelassen, doch ein Gericht in Algier
ordnete Untersuchungshaft gegen vier Protestierer an. Gegen sieben weitere
wurden Ermittlungen eingeleitet.
Landesweit soll es mehr als 200 politische Gefangene geben. Darunter
befinden sich vor allem im Zuge von Protesten verhaftete Demonstranten,
aber auch oppositionelle Aktivisten wie der Linkspolitiker Karim Tabbou,
der Präsident des Jugendverbandes RAJ, Abdelouahab Fersaoui, und der
86-jährige Veteran des algerischen Unabhängigkeitskrieges, Lakhdar
Bouregaa.
Einsatzkräfte der Polizei stürmten zudem am Sonntag ein Gerichtsgebäude im
westalgerischen Oran und lösten ein Sit-in streikender Richter und
Staatsanwälte auf. Algeriens Justiz ist seit Beginn eines unbefristeten
Streiks vor rund zwei Woche paralysiert.
Der Widerstand gegen die zunehmend autoritär agierende Staats- und
Militärführung geht damit ungebremst weiter und erreicht immer neue, bisher
fest unter staatlicher Kontrolle stehende Institutionen.
## Abstimmung ungewiss
Trotzdem halten Algeriens Armeechef und De-facto-Machthaber [2][Ahmed Gaïd
Salah] und die hinter ihm stehende Staatsführung unbeirrt an den für den
12. Dezember geplanten Präsidentschaftswahlen fest. Ob der Urnengang
stattfinden wird, ist jedoch ungewiss.
Denn Protestbewegung und Opposition lehnen die Abstimmung und einen von der
diskreditierten Staatsklasse kontrollierten und oktroyierten politischen
Übergangsprozess unter den gegebenen Voraussetzungen weiter vehement ab.
Sie befürchten, der Wahlgang werde – wie in den letzten 20 Jahren –
manipuliert und das Ergebnis vorab hinter verschlossen Türen ausgehandelt
werden.
Wasser auf die Mühlen der Wahlgegner ist dabei die am Wochenende
bekanntgegebene und in den Augen vieler wenig vertrauenerweckende
Kandidatenliste für den Wahlgang. Die neue „unabhängige“ Wahlkommission
hatte fünf der 23 Bewerbungen gebilligt. Doch alle fünf gelten als
Vertreter der herrschenden Eliten oder hatten sich in der Vergangenheit von
diesen kooptieren lassen.
Neben den beiden ehemaligen Premierministern Ali Benflis und Abdelmajid
Tebboune schafften es auch der gemäßigt islamistische ehemalige
Tourismusminister und Chef der jahrelang vom Regime kooptierten Partei El
Bina, Abdelkader Bengrina, sowie der frühere Minister für Kultur, Azzedine
Mihoubi, auf die Liste.
## Karriere im Staatsrundfunk
Mihoubi, der im staatlichen Rundfunk Karriere machte, schied erst im
Frühjahr aus der Regierung aus und ließ sich im Juli zum Interimschef der
zwischen 1997 und 2019 mitregierenden Partei RND wählen. Derzeit werden
Benflis die größten Chancen eingeräumt, sich die Unterstützung der Armee zu
sichern und die Wahl zu gewinnen.
Benflis’ Ambitionen auf das formell höchste Staatsamt sind nicht neu.
Nachdem er sich 2003 mit dem im April 2019 aus dem Amt gejagten
Expräsidenten Abdelaziz Bouteflika überworfen hatte, trat Benflis bei den
Wahlen 2004 und 2014 gegen seinen früheren Weggefährten Bouteflika an,
verlor aber haushoch.
Protestbewegung und Opposition misstrauen ihm, war er es doch, der 2001 als
Premier das umstrittene Dekret zum faktischen Demonstrationsverbot in der
Hauptstadt Algier unterzeichnet hatte.
Mit Justizminister Mohamed Charfi sitzt ein langjähriger Verbündeter
Benflis’ der Wahlkommission vor. Der Vorteil läge auch daher bei Benflis,
heißt es vonseiten der Opposition.
5 Nov 2019
## LINKS
[1] /Neuer-Zulauf-fuer-Massenproteste/!5637711
[2] /Proteste-in-Algerien/!5614331
## AUTOREN
Sofian Philip Naceur
## TAGS
Ahmed Gaid Salah
Protest
Algerien
Präsidentenwahl
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Algerien
Abdelaziz Bouteflika
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Algerien
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