# taz.de -- Polizeigewalt zur Wahl in Algerien: Proteste, Prügel, gefüllte Ur… | |
> Demonstrationen und brutale Polizeigewalt am Wahltag in Algerien. Noch am | |
> Abend erklärte sich der frühere Premier zum Sieger. | |
Bild: Algier am Wahltag: Eine regierungskritische Demonstrantin spricht mit Pol… | |
TUNIS taz | Großdemonstrationen in zahlreichen Städten, ein auf Eskalation | |
setzender Polizeiapparat, gestürmte Wahllokale und ein Kandidat, der noch | |
am Wahlabend den Sieg für sich reklamiert. Die gestrigen | |
Präsidentschaftswahlen in Algerien waren ereignisreich, von einem ruhigen | |
Ablauf kann keine Rede sein. Noch am Abend erklärte sich der frühere | |
Premierminister Abdelmajid Tebboune, einer von insgesamt fünf Kandidaten | |
auf das höchste Staatsamt, zum Gewinner der Abstimmung. Er habe im ersten | |
Wahlgang mit 64 Prozent der Stimmen eine absolute Mehrheit geholt, erklärte | |
ein Mitarbeiter seines Wahlkampfstabs in Algier. Die Stichwahl falle aus, | |
Tebboune werde neuer Staatspräsident Algeriens. | |
Zwei weitere Kandidaten ließen ausrichten, es werde eine zweite Runde | |
geben. Offizielle Zahlen gibt es dabei noch nicht. Die staatlich | |
kontrollierte Wahlbehörde ANIE will jedoch noch am Freitag vorläufige | |
Endergebnisse präsentieren. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben von | |
ANIE-Chef Mohamed Charfi bei 41 Prozent. Ein mehr als unglaubwürdiger Wert, | |
herrschte in den Wahllokalen doch überwiegend gähnende Leere. | |
Voll war es stattdessen auf der Straße, demonstrierten doch auch am Tag der | |
Abstimmung landesweit die Menschen lautstark und entschlossen gegen den | |
umstrittenen Urnengang und das zuletzt immer autoritärer agierende Regime | |
unter De-facto-Machthaber und Armeechef Ahmed Gaïd Salah. Allein in der | |
Hauptstadt Algier zogen zehntausende Protestierende durch die Innenstadt | |
und machten ihrem Ärger über die Staatsführung und die zunehmenden | |
Repressalien der Sicherheitsbehörden Luft. Auch in Constantine, Mostaganem | |
und Jijel wurde demonstriert. Das Zentrum des Widerstands gegen die | |
Abstimmung war aber einmal mehr die Berberregion Kabylei östlich von | |
Algier. | |
## Prügel gegen Protestierende und Journalist*innen | |
Zahlreiche Wahllokale blieben in den Provinzen Tizi Ouzoum, Béjaïa und | |
Bouira daher von Beginn an geschlossen. Nirgendwo im Land war die | |
Wahlbeteiligung so niedrig wie hier. In einer Gemeinde nahe Béjaïa hatten | |
Demonstranten schon am frühen Morgen zwei Wahllokale gestürmt und in einem | |
davon offenbar bereits mit ausgefüllten Wahlzetteln gefüllte Wahlurnen | |
gefunden. | |
In Bouira kam es am Nachmittag zu Auseinandersetzungen zwischen der vom | |
Militär kontrollierten Gendarmerie und Protestierenden. Ein Büro der ANIE | |
wurde angezündet und brannte aus. Auch in Béjaïa gingen Hundertschaften der | |
Gendarmerie gewaltsam und mit Tränengas gegen die Proteste vor. In einer | |
Kleinstadt nahe Tizi Ouzou attackierten Sicherheitskräfte bis in die Nacht | |
hinein protestierende Jugendliche. In Tizi Ouzou war der Wahlgang aus | |
Sicherheitsgründen sogar abgebrochen worden. | |
Die Proteste in Algier waren derweil abermals massiv, die Stimmung | |
angesichts des auf Eskalation setzenden Polizeiapparats war aufgeheizt. | |
Sicherheitskräfte prügelten immer wieder auf Protestierende und | |
Journalisten ein, dutzende Menschen wurden verletzt. | |
## Bewegung fordert echten Wandel, nicht neue Köpfe | |
Zwar setzt der Sicherheitsapparat bereits seit Wochen auf eine sukzessive | |
Intensivierung der Repressalien gegen Demonstrant*innen und Oppositionelle, | |
am Wahltag aber nahm die Polizeigewalt noch einmal deutlich zu. Polizei und | |
Gendarmerie setzten offenbar darauf, eine Gegenreaktion der weiterhin | |
konsequent friedlich agierenden Protestbewegung zu provozieren. Bisher | |
vergeblich. | |
Schon am Mittwoch war der Sicherheitsapparat bestimmter als zuvor gegen die | |
Proteste in der Hauptstadt vorgegangen. Allein in Algier sollen am Tag vor | |
den Wahlen mehr als 300 Menschen verhaftet worden sein, erklärte das | |
Komitee zur Befreiung der Gefangenen (CNLD). | |
Begonnen hatten die Proteste gegen Algeriens Staatsführung bereits im | |
Februar. Im April [1][trat der damalige Präsident Abdelaziz Bouteflika | |
zurück] – aber die Proteste gingen weiter. Die Bewegung will mehr als nur | |
kosmetische Personalwechsel an der Staatsspitze, sie will einen echten | |
politischen Wandel – einen Wandel, der mit keinem der fünf Kandidaten | |
realisierbar sein dürfte. | |
12 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sofian Philip Naceur | |
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Abdelaziz Bouteflika | |
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