| # taz.de -- Brexit und Neuwahl: Merry Christmas, Britain | |
| > Das ewige Gezänk um den Brexit ist weder zu verstehen noch auszuhalten. | |
| > Auch Boris Johnsons Populismus hilft nicht gerade dabei, das Land zu | |
| > einen. | |
| Bild: Neuwahlen und besinnliche Vorweihnachtszeit, das passt nicht zusammen | |
| Erinnern Sie sich noch an die Vorweihnachtszeit im vergangenen Jahr? Als | |
| Großbritanniens damalige Premierministerin Theresa May am 12. Dezember eine | |
| Misstrauensabstimmung um ihr Amt als konservative Parteichefin gewann? Es | |
| scheint fast so, als hätte das Land was gegen den Advent: Am 12. Dezember | |
| dieses Jahres werden [1][Neuwahlen in Großbritannien] der Besinnlichkeit | |
| den Garaus machen. | |
| Jetzt überschlage man einmal im Kopf, was dazwischen passiert ist – die | |
| BritInnen stimmten doch bei Europawahlen ab, May weg, Johnson da, | |
| Austrittsvertrag doch aufgeschnürt, etliche Streitereien) – und was nicht: | |
| der Brexit. Und zwar an drei verschiedenen Stichtagen nicht. | |
| Ist es da ein Wunder, dass sich selbst Brexit-GegnerInnen hier wie dort | |
| einen langen, traumfreien Winterschlaf wünschen? Oder dass der britische | |
| TV-Sender Sky News einen Brexit-freien Fernsehkanal aufmacht – weil das | |
| ewige Gezänk einfach nicht mehr zu verstehen, nicht auszuhalten ist, | |
| sondern es die Beobachtenden nur noch müde und verzweifelt macht? | |
| Endlich den Brexit vollenden – in diese Kerbe schlägt Großbritanniens | |
| konservativer [2][Premierminister Boris Johnson] seit je. Er hatte | |
| argumentiert, die Neuwahlen seien nötig, um das Parlament handlungsfähig zu | |
| machen, damit man endlich mal fertig werde mit dem [3][Austritt aus der | |
| Europäischen Union]. Doch dabei nutzt Johnson eine gefährliche | |
| Parlament-versus-Volk-Strategie, die die Menschen gegen PolitikerInnen mit | |
| abweichender Haltung aufwiegelt. | |
| Ein Satz, der sein Vorgehen verdeutlicht: „Dieses Haus kann das Land nicht | |
| länger als Geisel halten“, sagte der Premierminister etwa in der | |
| vergangenen Woche im britischen Unterhaus, um für Neuwahlen zu plädieren. | |
| Das Parlament wird hier also rhetorisch zu einer geradezu verbrecherischen | |
| Institution gemacht. | |
| Es ist ein Merkmal von PopulistInnen, sich selbst als einzig wahre | |
| Vertretung eines glasklaren Volkswillens darzustellen. Dabei übergeht auch | |
| der Populist Johnson geflissentlich, dass sein Land derzeit nicht eben das | |
| geeinteste ist, dass auch andersdenkende Abgeordnete eine Wählerschaft | |
| haben, deren Stimmen sie ja nun erst ins Parlament gebracht haben. | |
| Die Situation ist doch bereits bedrückend genug: Eine Mehrheit der | |
| BritInnen hält Gewalt gegen Parlamentarier für ein vertretbares Mittel, im | |
| Brexit-Streit ihr Ziel zu erreichen, hieß es vor kurzer Zeit in einer viel | |
| zitierten Studie der Universität Cardiff. Nur um das klarzustellen: Diese | |
| Mehrheit gab es bei Brexit-BefürworterInnen wie auch bei den -GegnerInnen; | |
| die Gewaltbereitschaft beider Gruppen unterschied sich nur um wenige | |
| Prozentpunkte. Auch dem Premierminister dürfte klar sein, dass er in solch | |
| einem gesellschaftlichen Klima nicht das Vertrauen in das Parlament | |
| untergraben sollte. | |
| Oberflächlich wirkt es dabei ja tatsächlich so, als seien mittlerweile alle | |
| irre geworden: wenn etwa Parteien wie die schottische SNP und die | |
| Liberaldemokraten im Unterhaus eine Neuwahl am 12. Dezember ablehnen, weil | |
| sie den 9. Dezember als Wahltermin wollen. Die unauflösbar scheinenden | |
| Konflikte im Parlament und das Fehlen einer Mehrheit für Johnson mögen | |
| vorgezogene Neuwahlen auf Dauer unausweichlich gemacht haben. | |
| Aber dass sie wirklich zu diesem Zeitpunkt kurz vor Weihnachten nötig | |
| wären, um Johnsons ausgehandeltes Brexit-Abkommen umzusetzen, ist stark zu | |
| bezweifeln. Deshalb schrieb die Financial Times auch am Dienstag: | |
| „Britische Wähler sollten sich darüber im Klaren sein, dass der Zeitpunkt | |
| der Wahlen zum Vorteil der Konservativen Partei gesetzt wurde und nicht, | |
| wie Herr Johnson behauptet, weil das Parlament den Brexit blockiert.“ | |
| Womöglich richtet sich Johnsons Strategie auch noch gegen sich selbst: Als | |
| Brexit-Bringer gegen jeden Widerstand kann er sich nicht feiern lassen, | |
| hat er es doch nicht geschafft, Großbritannien zum Stichtag aus der EU zu | |
| führen. Ganz genau wie seine Vorgängerin. | |
| 1 Nov 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Eva Oer | |
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