# taz.de -- Neuwahl in Großbritannien: Brexit könnte noch Jahre dauern | |
> Derzeit sieht es nach einem Sieg der Tories aus. Aber es kann auch anders | |
> kommen – mit teils kuriosen Folgen für den Brexit. Drei Szenarien. | |
Bild: Geduld, Geduld. Mitte Dezember ist es ja soweit | |
BERLIN taz | In Großbritannien wird am 12. Dezember vorzeitig gewählt. So | |
soll die Pattsituation im Parlament überwunden werden, die seit Monaten | |
eine endgültige Entscheidung über den Ausstieg aus der Europäischen Union | |
verhindert. Derzeit liegen die Tories von Boris Johnson in Umfragen vorn. | |
Der [1][Ausgang des Wahlkampfes ist aber ungewiss]. Drei Szenarien sind | |
denkbar – mit sehr unterschiedlichen Folgen für den Brexit. | |
## 1. Wenn die Tories eine absolute Mehrheit gewinnen | |
Ein klarer Sieg der Konservativen mit einer deutlichen absoluten Mehrheit | |
im Parlament gilt als der wahrscheinlichste Wahlausgang. | |
In diesem Fall wäre der weitere Kurs Großbritanniens in Sachen Brexit | |
vorgezeichnet: Das neue Austrittsabkommen, das Boris Johnson vor zwei | |
Wochen [2][mit der EU ausgehandelt] hat, wird zügig vom Parlament | |
ratifiziert. Am 31. Januar 2020 verlässt Großbritannien die EU mit diesem | |
„Deal“. | |
Danach beginnt eine derzeit auf Ende 2020 befristete Übergangszeit, in der | |
die EU-Regelwerke zunächst weiter in Großbritannien gelten und in der ein | |
Handelsabkommen für die Zeit danach ausgehandelt wird. Eine erneute | |
Verlängerung der Übergangszeit ist möglich, müsste aber bis Mitte 2020 auf | |
den Weg gebracht werden. | |
Das Ziel eines „umfassenden Freihandelsabkommens“ mit der EU bekräftigte | |
Johnson erneut im Parlament bei seiner letzten Fragestunde vor den Wahlen. | |
Es sollten keinerlei Zölle oder Quoten zwischen der EU und Großbritannien | |
eingeführt werden. | |
Anders als noch unter Theresa May vorgesehen soll aber Großbritannien die | |
Möglichkeit haben, von EU-Regeln abzuweichen. Im Parlament nannte Johnson | |
als Beispiele: höhere Standards im Tierschutz, mehr Steuererleichterungen | |
für Unternehmen und Freihäfen und eine großzügigere Regulierung von | |
Biotechnologie. | |
Eine Senkung geltender europäischer Umwelt- und Sozialstandards schließt | |
Johnson aus. Labour wirft ihm aber genau dieses Ziel vor, weil er die | |
automatische zukünftige Befolgung von EU-Regeln in diesen Bereichen aus dem | |
Deal gestrichen und in die unverbindliche „politische Erklärung“ über die | |
Rahmenbedingungen eines Handelsabkommens verschoben hat. Labour behauptet | |
auch, nach dem Brexit wolle Johnson den staatlichen britischen | |
Gesundheitsdienst NHS für US-Unternehmen öffnen – Johnson sagt dazu, der | |
NHS bleibe unangetastet. | |
## 2. Wenn Labour eine absolute Mehrheit gewinnt | |
Mit einer absoluten Labour-Mehrheit rechnet in Großbritannien so gut wie | |
niemand, aber der Labour-Wahlkampf ist auf eine Alleinregierung | |
ausgerichtet. Sollte es Jeremy Corbyn gelingen, alleine eine Regierung | |
bilden zu können, wäre die Zukunft des Brexit völlig offen. | |
Labour lehnt das Austrittsabkommen, das Boris Johnson mit der EU | |
ausgehandelt hat, ab und würde es voraussichtlich nach einem Wahlsieg nicht | |
weiterverfolgen. Stattdessen möchte die Partei mit der EU Neuverhandlungen | |
führen, mit dem Ziel eines viel weicheren Brexit, in dem Großbritannien im | |
Europäischen Wirtschaftsraum und in der EU-Zollunion bleibt. | |
Ein solches Abkommen würde den Briten in einer Volksabstimmung zur Annahme | |
vorgelegt werden. Die Wähler könnten sich zwischen Labours Deal, den Corbyn | |
als „vernünftig“ bezeichnet, und einem EU-Verbleib entscheiden. | |
Kurios ist, dass weite Teile Labours bis hinauf zu Vizeparteichef Tom | |
Watson dafür sind, für den EU-Verbleib zu werben. Sie wollen Labour auch im | |
Wahlkampf als „Remain-Partei“ positionieren, um vor allem Jungwähler nicht | |
an Liberaldemokraten, Grüne oder schottische Nationalisten zu verlieren. | |
Denn nur wenn die junge Generation Corbyn so massiv wählt wie 2017, hat | |
Labour eine Siegchance. | |
Folglich wäre Labours Brexit-Kurs, erst mit der EU einen neuen Deal | |
auszuhandeln und dann in Teilen der eigenen Partei bei einer | |
Volksabstimmung gegen diesen Deal und für den EU-Verbleib zu trommeln. | |
Corbyn selbst will bei einer Volksabstimmung neutral bleiben und „umsetzen, | |
was das Volk entscheidet“. | |
## 3. Wenn keine Partei eine absolute Mehrheit bekommt | |
Keine Mehrheit für niemand und ein zersplittertes Parlament wie heute – das | |
gilt zwar nicht als der wahrscheinlichste Wahlausgang, aber auszuschließen | |
ist er nicht. Für den Brexit würde das bedeuten, dass die | |
Beschlussunfähigkeit und Lähmung in Westminster, zu deren Beendigung die | |
Neuwahlen angesetzt wurden, weitergeht. | |
Den neuverhandelten Brexit-Deal ins neugewählte Parlament einzubringen und | |
auf eine Annahme bis Ende Januar zu hoffen, würde wahrscheinlich nur | |
geschehen, wenn eine konservative Minderheitsregierung unter Boris Johnsons | |
Führung im Amt bliebe. | |
Aber Johnsons Autorität wäre dahin, die Erfolgsaussichten wären ungewiss. | |
Eine weitere Brexit-Verschiebung Ende Januar 2020 wäre wahrscheinlich, weil | |
der Druck wachsen würde, das Volk per Referendum entscheiden zu lassen. | |
Ein unverzügliches zweites Brexit-Referendum wäre auch der Preis, den | |
Liberaldemokraten und schottische Nationalisten für die Unterstützung einer | |
Labour-Minderheitsregierung verlangen würden. Die Liberaldemokraten | |
verlangen zudem einen anderen Premierminister als Jeremy Corbyn, die | |
Schotten ein neues Unabhängigkeitsreferendum. | |
Letzteres würde vermutlich bedeuten, den Brexit auszusetzen, bis klar ist, | |
wie groß Großbritannien hinterher noch ist. Sollte auf ein zweites | |
britisches Brexit-Referendum ein Schottland-Referendum folgen, das zur | |
schottischen Unabhängigkeit führt, wäre sicherlich ein drittes britisches | |
Brexit-Referendum ohne Schottland nötig. In jedem Fall würde es Jahre | |
dauern, bis ein Brexit vollzogen oder abgesagt werden kann. | |
31 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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