# taz.de -- TV-Kommissarin Lena Odenthal: Ermittlungen vom Rande her | |
> Seit 30 Jahren arbeitet Lena Odenthal als Kommissarin im „Tatort“. Diese | |
> Rolle hat eine Menge für Frauenfiguren im deutschen Fernsehen bewegt. | |
Bild: Die dritte Folge: Ben Becker und Ulrike Folkerts | |
Sie kommt von Buchmüller, sie kommt von Wiegand. Lena Odenthal, | |
„Tatort“-Kommissarin, Ludwigshafen, Dienstantritt 1989. [1][Und die nach | |
ihr, sie alle gibt es auch] – vielleicht sogar: vor allem – wegen ihr. Oder | |
wer erinnert sich bittschön an Buchmüller und Wiegand? Eben. Zu den beiden | |
aber später mehr. | |
Die Geschichte der Lena Odenthal ist eine Geschichte übers deutsche | |
Fernsehen. Und über seinen Wandel. Sie hat ihn mit vorangetrieben, dank | |
ihrer unaufgeregten Präsenz am Sonntagabend. Diese Rolle hat in jenen 30 | |
Jahren mehr für Frauenfiguren im deutschen TV getan als alle Intendanten | |
zusammen. Und das von Ludwigshafen aus, Arbeiterstadt, BASF-Zentrale, das | |
dreckige Geschwisterkind der Barockstadt Mannheim auf der anderen | |
Rheinseite. Weit ab vom Schuss. Und wie oft mit Außenseiterpositionen, sie | |
lassen die Freiheit, einfach mal zu machen. | |
Auch deswegen kann Odenthal heute als jenes deutsche TV-Vorbild herhalten, | |
das das Streifenpolizistinnen-Duo Cagney und Lacey in den 1980ern in den | |
USA war – oder, früher, Miss Marple in Großbritannien. | |
Zum Dienstjubiläum hat sich der SWR als Demonstrationsmaterial [2][„Der Tod | |
im Häcksler“ von 1991] ausgesucht. Es war die dritte Folge, Nico Hofmann | |
führte Regie, das Buch schrieb Stefan Dähnert, der junge Ben Becker spielte | |
einen Milchbubi-Polizisten im Dorf Zarten in der pfälzischen Einöde. Die | |
Klamotten eines Mannes tauchen auf, der zwei Jahre zuvor verschwunden war, | |
Odenthal fährt 200 Kilometer von Ludwigshafen gen West, um dem Fall mit dem | |
Jungkollegen vor Ort nachzugehen. | |
## Frauen nur als Spurenelement | |
Nun, 28 Jahre später, erzählen sie alle die Story weiter. Folkerts, | |
Hofmann, Becker, Dähnert und die Pampa in „Die Pfalz von oben“ | |
(Erstausstrahlung am 17. November). Damals fuhr Odenthal mit ihrem Käfer | |
raus in die Eifel zu Polizeimeister Tries, heute mit ihrer glänzenden | |
Dienstlimousine. Beide sind sie geblieben, beide ganz außen, am | |
geografischen Rand. | |
Um die Wucht begreiflich zu machen, mit der Odenthal wirkte, hier erst mal | |
das Setting. Dass ihr erster Fall ausgerechnet Ende Oktober 1989 | |
ausgestrahlt wurde, macht es natürlich ziemlich leicht, das Gefühl dieser | |
Zeit zu evozieren. Als auf den Bildschirmen vor allem Männer erklärten, was | |
da gerade an der deutsch-deutschen Grenze passierte. Als TV-Kommissare wie | |
Brinkmann, Stoever oder Schimanski noch im Dreiteiler mit Fliege, mit | |
Trenchcoat und Grüß-Gott-Hut, im Parka unterwegs waren. | |
Frauen als serielle Hauptfigur mit Verantwortung über Leben und Tod, als | |
jene, die das Chaos ordnet, Unrecht aus der Welt räumt, die qua Berufsstand | |
mit gesellschaftlicher und staatlicher Autorität ausgestattet ist, die gab | |
es 1989 nicht. Und davor nur in Spurenelementen. | |
Auf ostdeutscher Seite startete der „Polizeiruf 110“ 1971 in Folge eins | |
gleich mit einem gemischten Team: Sigrid Göhler ermittelte zwölf Jahre lang | |
als Leutnant Vera Arndt mit Oberleutnant Peter Fuchs (Peter Borgelt). | |
Danach wurde es mau, 1972/73 war Leutnant Helga Lindt (Karin Ugowski) zwei | |
Mal im Einsatz, Anne Kasprik 1988 ein Mal als Unterleutnant Görz, 1989 ein | |
Mal als Leutnant Ikser. Aber alle drei immer nur Sidekicks. | |
## Odenthal als „die Neue“ | |
Und dann waren da die beiden „Tatort“-Vorgängerinnen: Kommissarin Marianne | |
Buchmüller (Nicole Heesters), die 1978 im dekolletierten weißen | |
Rüschennachthemd ihren ersten von drei Auftritten in Mainz hatte, sonst | |
aber so selbstredend emanzipiert war, dass sie sogar heute funktionierte; | |
drei Jahre später abgelöst von Kollegin Hanne Wiegand (Karin Anselm) für | |
die Gegend Baden-Baden, Freiburg, Mainz, Karlsruhe. Sie wird sieben Jahre | |
lang mit Rüschenbluse und Twinset bleiben, man hilft ihr in den Mantel, | |
öffnet ihr die Autotür. Und dann kam Lena Odenthal als „die Neue“. | |
Alle drei beim SWF: Der Sender hatte offenbar vor, etwas zu ändern im | |
männlichen „Tatort“-Universum. Und setzte auf Drehbücher, die immer wieder | |
illustrierten, wie borniert die Menschen drumherum sind, immer nur die | |
Männer im Ermittlungsteam zu adressieren – obwohl die Nummer eins eine Frau | |
ist. | |
Mit Odenthal verschob sich alles. Für die Dimension ein bisschen | |
Zahlenkram: 1997 gab es mit Kommissarin Lürsen (Bremen) und KHK Sommer | |
(Hamburg) zum allerersten Mal mehr als eine Hauptermittlerin in der | |
Tatortwelt zeitgleich; parallel ab 1993 Katrin Sass im Potsdamer | |
Polizeiruf, ein Jahr später Angelica Domröse für die Stuttgarter Filiale, | |
im ZDF ab 1994 Kommissarin Bella Block und eine Hälfte von „Ein starkes | |
Team“. Das war’s. | |
Der Sprung zu heute: [3][Allein bei den „Tatort“-Teams] sind die | |
Hauptrollen auf 17 Frauen und 23 Männer verteilt (die Neuen in der Schweiz | |
und Saarbrücken mitgerechnet, Bremen weggelassen) – dazu der Rest des | |
öffentlich-rechtlichen TV-Krimi-Universums, Prohacek, Heller, Lucas und all | |
die anderen. | |
## Die „Lederbraut“ | |
Das wirkt viel, doch Frauen als Vorbilder im TV bleiben rar. Noch eine | |
Runde Zahlen: Laut der [4][Malisa-Studie über das Fernsehjahr 2016] | |
tauchten Frauen in 32 Prozent der deutschen Fernsehserien als Hauptfiguren | |
auf. Und in nicht fiktionalen Sendungen als Expertinnen, die – wie | |
Kommissarinnen auch – die Welt erklären, Orientierung stiften, gerade | |
einmal zu 21 Prozent. Als Ulrike Folkerts erstmals antrat, musste der | |
Sender in der Pressemappe noch über ihre Rolle erklären: „Lena Odenthal ist | |
eine starke Frau. Sie hat gelernt, sich durchzusetzen. Männer gehören zu | |
ihrem Alltag.“ Ja, lautes Lachen. | |
„Lederbraut“ nannte der Spiegel sie noch 1994, da war sie erst fünf Folgen | |
alt. „Das war das Thema in den neunziger Jahren“, kommentierte Ulrike | |
Folkerts in einem Spiegel-Interview vor 15 Jahren, „zu zeigen, dass Frauen | |
als Ermittler ernst zu nehmen sind.“ Erst als 1996 Mario Kopper (Andreas | |
Hoppe) als Partner dazu kam, baute der SWF ihre Sendezeit auf mehrere | |
Folgen im Jahr aus. | |
Ohne Odenthal oder Folkerts kleiner zu machen: Kopper ist ein Grund für die | |
30 Jahre. Die Frauenversion, die sie zeigt, ohne Mann, Kinder, Gspusi (gut, | |
in den ersten drei Folgen hatte sie einen Freund, der ihr aber auf den Keks | |
geht, weil er nicht rafft, wie unplanbar ihre Arbeitszeiten sind), ihr Ding | |
machend, losgelöst von Geschlechterbildern, die in den Neunzigern fester | |
zementiert waren als heute: Mit Kumpel und WG-Bewohner Kopper bekam sie | |
einen Sidekick, der sie dramaturgisch befreite und auf Dauer sie selbst | |
sein ließ. | |
Sie muss nichts. Egal ob sie 28 ist oder 58, die Figur bleibt | |
wiedererkennbar, ohne öde zu werden. Dafür ist ihre Persönlichkeit zu | |
ungefällig. Man kann wahllos durchzappen, in die „Zärtlichkeit des | |
Monsters“ von 1993, wo sie endlich Lederjacke tragen darf statt Pelzkragen | |
und Ohrringe oder „Maleficius“ aus diesem September, nun fest etabliert in | |
der Post-Kopper-Ära mit LKA-Analystin Stern (Lisa Bitter). Immer jene Lena | |
Odenthal mit dem festen Schritt, dem geraden Blick, die Kopper 1996 ein | |
„Warum gehste nicht wieder zur Sitte, Kopper, und spielst Mau-Mau?“ | |
hinknallte. | |
Damit öffnete sie den Spielraum für alle anderen. Für die grantelnde Bibi | |
Fellner mit ihrer Pornokarre in Wien. Nina Rubin in Berlin, die auch mal | |
ein paar Tage lang mit den gleichen Klamotten zum Dienst kommt. Conny Mey | |
in Frankfurt, bei der es vollkommen wurscht ist, dass sie ein bisschen | |
billig aufgemotzt wirkt. Die alleinerziehende Lenski im Brandenburger | |
Polizeiruf und die Stereotypen sprengende Sophie Haas in der ARD-Serie | |
„Mord mit Aussicht“. Sie alle kommen: von Odenthal. | |
2 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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